© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/14 / 18. April 2014

Den Moslems Regeln setzen
Österreich: Mit der Reform des hundert Jahre alten Islamgesetzes will die große Koalition Defizite bei der Integration bekämpfen
Reinhard Liesing

Österreich braucht ein neues Islamgesetz. Zumindest wenn es nach der Meinung der rot-schwarzen Regierung geht, ist das im Jahr 1912 ins Leben gerufene Gesetz dringend novellierungsbedürftig. „Integration“ sei eine der „großen Herausforderungen Österreichs für den Erhalt des sozialen Friedens“, erklären SPÖ und ÖVP in ihrem Regierungsprogramm. Defizite im Zusammenleben sollten „gezielt vermieden“ werden. Das neue Islamgesetz soll Rechte und Pflichten der über 500.000 Moslems regeln, präzisiert der Minister für Europa, Integration und Äußeres, Sebastian Kurz (ÖVP), die Sachlage.

Der Islam ist in Österreich fest etabliert – stärker noch als in Deutschland oder in der Schweiz. Denn im Gegensatz zu den Nachbarstaaten sind die Rechte der Moslems nicht nur unter der verfassungsrechtlich garantierten Glaubensfreiheit gewahrt, sondern mittels eines eigenen Gesetzes ausdrücklich anerkannt. Bereits im Juli 1912 hatte Kaiser Franz Joseph das „Gesetz betreffend die Anerkennung der Anhänger des Islams nach hanefitischem Ritus als Religionsgesellschaft“ unterzeichnet, das vom Reichsrat beschlossen worden war.

Seitdem wird an öffentlichen Schulen islamischer Religionsunterricht erteilt. Imame werden juristisch behandelt wie Geistliche, Moscheen wie Kirchen und Synagogen. Mehr als 200 Moscheen und Gebetsräume sind in Österreich registriert, islamische Gemeinden in allen Bundesländern präsent.

Vorbehalten in Bevölkerung Rechnung tragen

Zwar bilden die Katholiken nach wie vor die mit Abstand größte Religionsgemeinschaft Österreichs. Diese haben aber binnen dreier Jahrzehnte einen Rückgang von sieben Millionen (1971: 93 Prozent der Bevölkerung) auf jetzt 5,5 Millionen Kirchenmitglieder (66 Prozent) hinnehmen müssen. Die moslemische Glaubensgemeinschaft hingegen wuchs in dieser Zeitspanne von 0,3 auf 6,2 Prozent Bevölkerungsanteil – eine Steigerung von 22.000 auf 516.000 Personen. Sie hat damit den Anteil der Protestanten überflügelt.

Diese Entwicklung mag zum Teil erklären, warum sich knapp jeder zweite Österreicher vor der Ausbreitung des Islam fürchtet. Fast drei Viertel der von einem Meinungsforschungsinstitut befragten tausend Personen waren der Auffassung, der Islam sei mit westlichen Wertvorstellungen (Demokratie, Freiheit, Toleranz) nicht vereinbar. 72 Prozent beklagten sich darüber, daß sich „die zugewanderten Moslems Lebensweise und Spielregeln des Zusammenlebens in Österreich nicht genügend anpaßten“.

Diese Auffassungen sind bei den Anhängern von vier der fünf im Parlament vertretenen Parteien ziemlich gleichermaßen gegeben. Selbst unter Sozialdemokraten glauben nur 15 Prozent an diese Vereinbarkeit. Die große Koalition will diesen Vorbehalten Rechnung tragen.

Zu den „Eckpunkten“ des neuen Islamgesetzes gehört der „Anwendungsvorrang des staatlichen Rechts“. Niemand könne sich unter Berufung auf den Islam außerhalb der staatlichen Gesetze stellen, „von A wie Arbeitnehmerschutz bis Z wie Zivilrecht“. Auch der Religionsunterricht dürfe nicht im Widerspruch zur staatsbürgerlichen Erziehung stehen. Geregelt werden soll zudem die Seelsorge beim Bundesheer, in Gefängnissen und in Krankenanstalten. Geschaffen werde „ein rechtlicher Rahmen für Friedhöfe“, und die Imam-Ausbildung habe künftig allein auf universitärem Niveau stattzufinden. Über heikle Fragen gibt es allerdings mit der „Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich“ (IGGiÖ) noch Diskussionsbedarf. Beispielsweise ob sich eine Religionsgemeinschaft innerhalb Österreichs finanziere oder auch Geld aus dem Ausland erhalten dürfe. Offen ist auch, welche einzelnen Glaubensrichtungen des Islam unter das neue Gesetz fallen und welche nicht. Darüber hinaus bedarf es der Klärung, ob, wie im Falle von Schülern, auch Arbeitnehmer für islamische Feiertage freigestellt werden können, wobei die Arbeitgeber ein Wörtchen mitzusprechen haben dürften.

Derweil fühlt sich die „Initiative Liberaler Muslime in Österreich“ (ILMÖ), die allerdings nur eine Minderheit der Muslime im Land vertritt, darob düpiert, daß die Regierung – in institutioneller Gestalt des im Kanzleramt angesiedelten Kultusamts – nur mit der IGGiÖ verhandele. Der „IGGiÖ-Alleinvertretungsanspruch“ stehe im Widerspruch zu einem Urteil des Verfassungsgerichtshofs und begünstige „die Fundamentalisten“.

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