© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/14 / 18. April 2014

Jenes Jahres Spur
Hundert Jahre Erster Weltkrieg: Das Ernst-Jünger-Symposion zu „1914“ in Heiligkreuztal
Sebastian Hennig

Wie jedes Jahr zum Palmsonntagswochenende fand im oberschwäbischen Kloster Heiligkreuztal bei Riedlingen das Symposion des noch immer ein Schattendasein fristenden Freundeskreises der Brüder Ernst und Friedrich Georg Jünger statt.

Anstatt einer buchstäblichen Themenbenennung wie „Freiheit“ oder „Krieg und Frieden“ standen über den Vorträgen des diesjährigen Symposiums nur vier Ziffern: 1914. Doch die Vielfalt in Ansatz und Temperament der Vortragenden ließ diesen Ausgangspunkt oft völlig in Vergessenheit geraten, so wie uns ja auch sonst oft aus den Augen kommt, was die mit dem Jahr 1914 beginnende Umwälzung für unser heutiges Sein noch bedeutet. Wie sollten wir wissen, in welcher Verfassung wir ins einundzwanzigste Jahrhundert eintreten, wenn wir den Eingang ins zwanzigste in seiner Natur, oder Unnatur, fortgesetzt zu begreifen uns weigern? Es besteht immer noch die Gefahr, gedanklich nur um 1914 zu kreisen, anstatt von jenem Ereignis auszukreisen und dabei präzise auf dessen Folgen bis heute zu erfahren.

Zunächst aber eröffnete am Freitag der Althistoriker Alexander Demandt (Berlin) mit einem noch weiter ausholenden Bogen über drei Formen legitimer Gewalt. Er unterschied den heiligen Krieg, den agonalen Ritterkrieg und den gerechten Krieg, die jeweils der Religion, dem Sport und dem Rechtswesen zuzuordnen sind. Dabei wurden die unbarmherzigen Ausrottungszüge der Israeliten gegen die Amalekiter erwähnt, wie die Tatsache, daß weder der agonale noch der gerechte Krieg diesen Vernichtungshaß gegen den Gegner kennen. Man überwand nicht um jeden Preis. Heimtücke und ferntragende Waffen waren verpönt. Sogar noch im Weltkrieg wurden gefangene Offiziere auf Ehrenwort entlassen. Für den Begriff des Heros findet sich keine römische Entsprechung. Der überwiegende Teil der römischen Kriege waren Beistandshandlungen in Bündnisssen, bei denen die Götter der Unterworfenen geehrt und fremde Völkerschaften durch das römische Bürgerrecht eingebunden wurden.

Aus einer ähnlich unanfechtbaren, weil durch jahrezehntelanges Wägen erreichten Position verhandelte am Sonnabendmorgen der Auslandsgermanist Friedrich Gaede den Vergleich der Krieger und politisch denkenden Menschen Ernst Jünger und Erich Ludendorff. Er konstatierte einen beträchtlichen Niveauunterschied beider Persönlichkeiten. In dem Schlachtfeld, als einer „Wüste des Irrsinns“ hat Jünger einen Halt, gerade weil er sich nicht durch den Willen leiten läßt. Eine „traumhafte Sicherheit“ erhält ihn handlungsfähig, darin die Subjekt-Objekt-Trennung aufgehoben ist und er als Teil eines mythischen Erlebens agiert.

Dagegen stellte Reichskanzler Bethmann Hollweg bereits bei der Berufung Ludendorffs fest, daß diesem die Sicherheit fehlte. Ein Stabsarzt, der eine Erschöpfungskrise des Feldherrn behandelte, schrieb seiner Frau: „Ludendorff ist in trostloser Einsamkeit mit der Arbeit verheiratet, muß als Mensch überhaupt erst entwickelt werden. Wer weckt diese Seele?“ Für Jünger dagegen wurde dieser gnadenlose Krieg zum Weckruf seiner Seele. Ein Ruf, der sein ganzes Leben durchschallt und es zugleich als Echolot durchmißt.

Die drei Fachhistoriker Wolfram Pyta, Gerd Krumeich und Nicolas Beaupré bemaßen im Gespräch mit Helmuth Kiesel die Folgen des gewaltigen Verkaufserfolg des Buches „Die Schlafwandler“ von Christopher Clark, was so lange einigermaßen würdig verlief, bis aus dem Auditorium die Frage kam, warum über die Jahrzehnte vor dieser Revision des Forschungsstandes jede Feststellung die in solche Richtung wies, sofort als „Revisionismus“ verunglimpft wurde.

Die Erwiderung der hochmögenden Herren glich nun tatsächlich etwas dem Gebell getroffener Hunde. Es war deutlich zu merken, daß der schöne Schmetterling der geklärten Einsicht noch tief in der Chrysalide der Gewohnheit stak. So verhielten sich unmittelbar nach 1989 auch die „Wendehälse“. Das waren ja nicht dumme, aber linientreue Genossen, deren Schritt noch keinen festen Tritt auf der neuen Generallinie gefunden hatte und die dann bei der gelindesten Erinnerung früherer Feinde an ihre vormalige Position dem alten Reflex forscher Zurückweisung verfielen.

Etwas ganz ähnliches sollte sich am Abend wiederholen. Nach der Vorstellung von Ernst Jüngers Feldpostbriefen durch deren Herausgeber Heimo Schwilk (Berlin) und einem Vortrag von Gerd Krumeich (Düsseldorf) über„Ernst Jünger an der Somme“ am Nachmittag unterhielten sich der Schriftsteller Thomas Hettche und Literaturkritiker Denis Scheck ein wenig aneinander vorbei. Der Autor las aus einem Jünger-Essay seines 2012 erschienenen Buches „Totenberg“ vor. Hettche stellte die Unwürdigkeit eines Ortes wie des Berliner Gefallenendenkmals der Bundeswehr in den Mittelpunkt einer Betrachtung über das Heldische. Während einer kurzen Unterbrechung bemerkte Scheck beiläufig, doch etwas bedrohlich: „Für diesen Text wären sie übrigens in den achtziger Jahren gesteinigt worden.“

Hettche berichtete, seit sieben Jahren Jünger zu lesen, der ihm als Person deswegen so wichtig sei, weil er sich in dessen Werk verlieren könne. Hinderlich sei einer Annäherung an Jünger längst nicht mehr sein angeblicher Militarismus, sondern eine „schräg in der Zeit stehende Klassizität“.

Am Sonntag verblüffte Julia Pfefferkorn (Universität Tübingen) mit einem glasklaren und fast schon szenischen Vortrag über Nietzsches Tanzmetapher in Jüngers Werken über den Ersten Weltkrieg.

Sehr bewegend berichtete Franz Schenk Freiherr von Stauffenberg zum Abschluß als Zeuge der irdischen Gegebenheiten von Jüngers Leben und Ableben in Wilflingen. Es war insgesamt ein für alle Teilnehmer sehr fesselndes Symposion durch die klare Rede und das beredte Geschehen.

Kontakt: Freundeskreis der Brüder Ernst und Friedrich Georg Jünger e.V. , Postfach 1208, 88492 Riedlingen www.juenger-freundeskreis.de

Foto: Ernst Jüngers Stahlhelm (l.) mit dem Einschußloch aus der Schlacht von Cambrai (1917) sowie der Stahlhelm eines durch seine Hand gefal-lenen britischen Offiziers auf einem Bücherregal Jüngers in Wilflingen: Auf dem Schlachtfeld hat er einen Halt gefunden

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen