© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/14 / 18. April 2014

Der Stauferkaiser und Frau Gandhi als Vorbild
Beliebtes Hobby mit versteckter Metaphysik: Millionen Menschen beobachten in ihrer Freizeit Vögel
Robert Backhaus

Sensationelle Zahlen teilte zum Frühlingsanfang die Audubon-Gesellschaft, die vor hundert Jahren gegründete US-amerikanische Vereinigung der Vogelbeobachter, mit. Demnach gibt es allein in den USA zur Zeit fünfundzwanzig Millionen Menschen, die als Hauptnebenbeschäftigung das Vogelbeobachten nennen, und man vermutet, daß in Westeuropa und Japan mindestens noch einmal je zwölf Millionen dazukommen. Das Vogelbeobachten ist nach dem Gärtnern zum zweitgrößten Hobby der modernen Menschheit geworden.

Mit der überall gewachsenen Anteilnahme für ökologische Fragen ist das nicht hinreichend zu erklären. Gewiß, Vogelbeobachter sind in der Regel auch große Naturfreunde, aber ihrem Naturinteresse wohnt zusätzlich eine deutlich spirituelle, gleichsam metaphysische Komponente inne, die sie aus der Masse der Zoobesucher, Heger und Jäger heraushebt. Lange galt Vogelbeobachten als eine Schule vornehmer Herrschaft und aristokratischer Grandezza; diese Tradition reicht vom Stauferkaiser Friedrich II. bis zur legendären indischen Ministerpräsidentin Indira Gandhi, deren oft und gern demonstrierte Leidenschaft fürs „bird-watching“ ihre Gegner manchmal richtig in Wut versetzte.

Es stimmt schon: Die himmelan strebende Leichtigkeit vieler Vögel, ihre Farbenpracht und Anmut, ihr scharfes Auge, ihr ritterliches Balzgebaren und ihre enorme Musikalität haben sie vielerorts zu Symbolen der Überlegenheit und Auserwähltheit gemacht. Kein anderes Tier erscheint in der Heraldik so häufig wie der Adler, kein anderes erweist sich als so sinnhaltig wie die Taube, die Inkarnation des Friedens und des Heiligen Geistes.

Mag vielen Vogelbeobachtern die vornehme Abkunft ihres Hobbys auch unbekannt sein – beim Durchschreiten eines österlichen, von Vogelstimmen angefüllten Frühlingswaldes oder Parks spürt wohl ein jeder von ihnen voller Genugtuung die Exzellenz der Sache, die ihm so teuer ist und der er sich hingebungsvoll widmet. Hoffentlich spielt auch das Feiertagswetter mit.

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