© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/14 / 18. April 2014

Hochgesänge auf die bäuerliche Familie
In der Heimat tief verwurzelt: Zur Erinnerung an den aus der Zeit gefallenen Südtiroler Schriftsteller Joseph Georg Oberkofler
Wiebke Dethlefs

Bis in die frühe Nachkriegszeit galt Joseph Georg Oberkofler als bedeutendster der lebenden Tiroler Schriftsteller. Der am 17. April 1889 geborene Bauernsohn aus St. Johann im abgelegenen Südtiroler Ahrntal sah sich ursprünglich für den Priesterberuf bestimmt, brach aber das Priesterseminar ab. Er begann in Innsbruck Philosophie zu studieren, wendete sich jedoch bald wieder davon ab. Georg Trakls großer Mentor, Ludwig von Ficker, veröffentlichte 1911 einige seiner Gedichte.

Äußerlich unversehrt, kehrte der Soldat Oberkofler aus dem Ersten Weltkrieg seelisch zerrüttet zurück – die Abtrennung Südtirols 1919 verstärkte zudem seine innerliche Zerrissenheit. Inzwischen arbeitete er in Innsbruck als Lektor beim Tyrolia-Verlag und erzielte erste kleinere literarische Erfolge. Was ihm aber weitaus schwerer zu schaffen machte, war das Verbot der Einreise in seine inzwischen zu Italien gehörende Heimat.

Doch mit den Jahren mehrte sich sein Ruhm, und zu Beginn der dreißiger Jahre galt er als neue, wortmächtige dichterische Stimme aus dem Alpenraum. 1935 konnte er erstmals seine Heimat wieder besuchen. Wahrscheinlich gab diese Begegnung dem Dichter einen besonderen Schub, denn jetzt erst entstanden seine großen, immer als „episch“ apostrophierten chronikhaften Romane. 1938 wurde er mit dem Österreichischen Verdienstkreuz für Kunst und Wissenschaft ausgezeichnet. 1952 setzte ein Schlaganfall seinem Schaffen ein vorläufiges Ende, doch erhielt er in der Nachkriegszeit noch zahlreiche Ehrungen. 73jährig starb er am 12. November 1962 und wurde auf dem Dichterfriedhof von Mühlau bei Innsbruck unweit Georg Trakls beigesetzt.

Hymnische Verse von feierlichem Klang

Oberkoflers dichterisches Gestalten ist geprägt von seiner Herkunft. Überall spürt man bei ihm die daseinsbestimmende Dreiheit seiner Kindheit: Gott, Hof und Familiensippe. Die bäuerliche Familie ist bei ihm Keimzelle aller dichterischen Überhöhung. Die spätere Literaturgeschichtsschreibung positionierte Oberkofler in der „Heimatkunst“, einer allgemeinen künstlerischen Strömung zwischen 1890 und 1930, die sich bewußt antimodern, antiintellektuell und antirationalistisch gab und von ihren Kritikern als Vorläufer der Blut-und Boden-Ideologie angesehen wird.

Trotz der allgegenwärtigen Mystifizierung des Bauerntums in seinen Werken – Oberkofler selbst schreibt vom „Leben uralter Höfe nach Gottes und der Erde Gesetz“ – entging er der Vereinnahmung durch die Nationalsozialisten. Oberkofler hatte zwar mit einem kleinen literarischen Beitrag im „Bekenntnisbuch österreichischer Dichter“ den Anschluß begrüßt, blieb aber ansonsten der NS-Bewegung gegenüber distanziert. Er hatte keine offiziellen Ämter inne und empfing keine direkten Ehrungen durch das Regime, abgesehen vom eher unbedeutenden „Volkspreis für die deutsche Dichtung“ 1939 für seinen Roman „Der Bannwald“. Dadurch entging er in den Nachkriegsjahren einer Stigmatisierung.

Mit im wesentlichen dreien seiner Werke schuf Oberkofler seinen literarischen, wenn auch heute stark verblaßten Ruhm. Es ist neben „Der Bannwald“ der Roman „Das Stierhorn“ (1939) sowie der Gedichtband „Nie stirbt das Land“ (1937). „Der Bannwald“, Oberkoflers Hauptwerk, ist die Geschichte eines alten Bauerngeschlechts. Die Familie versucht seit Jahrhunderten, einen vor Lawinen und Steinschlag schützenden Hochwald zu bewahren. Äußere Ereignisse wie ein mutmaßlicher Totschlag, Ehebruch und Verleumdung bringen jedoch das althergebrachte familiäre Gefüge zum Einsturz.

Am letzten Nachkömmling des Geschlechts exerziert der Autor gleichsam antike Konflikte, entstanden aus Schuldgefühlen durch verletzte Ordnung, die nur mit dem Leben gesühnt werden können. Allerdings läßt Oberkofler dabei kein auswegloses Schicksal walten, sondern überall bestimmen dennoch Glaube und Frömmigkeit das Geschehen. Schon die zeitgenössische Kritik pries das Buch als „Epos größten Ausmaßes“.

Im „Stierhorn“ liegt ebenfalls eine großangelegte breitgemalte Familiensaga vor. Auch hier ist es die alte Tiroler Familie der Arnsteiner, deren Angehörige durch größte Leiderfahrungen und seelische Verwirrungen nicht in die Knie gezwungen werden, sondern frei und „sittlich gerichtet“ ein neues Leben beginnen dürfen. In beiden Büchern adelt Oberkofler seine Bauern, läßt sie in ungewohnter archaisierender Hochsprache reden. Oberkofler sieht sein Werk als edelste Dichtung an und drückt einen höchsten, letzterreichbaren Sinn aus. Die Bauern sind Träger dieses höchsten Sinns oder Ethos und handeln und reden daher so und nicht anders.

Aus der Erschütterung des ersten Wiedersehens mit der Heimat entstanden die Gedichte des Bandes „Nie stirbt das Land“. Es sind hymnische, rhapsodische Verse von feierlichem Klang, dabei in schlichter volksliedhafter Sprache, die das Tiroler Bauerntum heroisieren. Sie sind in Gehalt und Sinn jedoch weit von heutigem Denken und Fühlen entfernt, wie es beispielsweise das Gedicht „Das junge Paar“ zeigt: „Nachts ans Fenster klopft er an. / Ihr Herz ist licht und aufgetan. / Beide stehen Hand in Hand / Schweigend vor verschwiegnem Land. // Sie schauen sich und sehn sich nicht. / Und Gott bescheint ihr Angesicht. / Sie gehen sicher ihren Gang. / Er geht durch sie jahrhundertlang. // Viel Sommer sind gewitterschwül. / Bauernliebe ist kein Spiel. / Sie reift die Völker länderweit / Für Bauernzeit und Ewigkeit.“

Zweifellos ist es heute kaum noch möglich, dem Werk Oberkoflers neue Leser zu gewinnen – zu fremd ist uns sein tiefes bäuerliches Ethos geworden. Zumindest aber dem Südtirol-Reisenden können seine Romane eine wunderbar horizonterweiternde Begleitlektüre bei der Fahrt durch Puster- und Ahrntal sein, wo die meisten Romane Oberkoflers angesiedelt sind. Und sein Geburtshaus im weltfernen St. Johann im Ahrntal beherbergt ein kleines lohnendes Museum.

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