© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/14 / 18. April 2014

Im Herzen verachtet
Zum 150. Geburtstag Max Webers: Zwei Biographien reduzieren den großen Soziologen auf Zwergenstatur
Markus Brandstetter

Max Weber war der größte deutsche Denker nach Nietzsche und vor Adorno und Heideg-ger, wenn wir Ludwig Wittgenstein als Österreicher außen vor lassen. Weber hat sich sein Leben lang mit drei großen Fragen beschäftigt. Erstens: Wie ist der Kapitalismus entstanden und warum nur in Europa? Warum wurde in Europa zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert der Einfluß der Religion schwächer und welche Konsequenzen hatte die daraus resultierende Rationalisierung des Weltbildes für Mensch und Gesellschaft?

Zweitens hat Weber das Postulat der Wertfreiheit, das in den Naturwissenschaften schon lange selbstverständlich war, auf die Gesellschaftswissenschaften ausgeweitet. Er hat also gesagt, daß die Soziologie zumindest danach streben müsse, ihre Gegenstände objektiv und wertfrei zu untersuchen – eine Forderung, die zu Webers Zeit, als Geschichte, Philosophie und Soziologie weit und breit zur Legitimation bestehender Verhältnisse eingesetzt wurden, keine Selbstverständlichkeit war.

In einem dritten Fragenkomplex hat Weber ergründet, welche Qualitäten Religionsstifter, Kaiser und Könige, Feldherren und Revolutionäre haben müssen, damit andere Menschen sich ihnen unterwerfen. Die spezielle Aura, die hier zum Tragen kommt, nannte Weber „Charisma“, und Webers Begriff des „charismatischen Herrschers“ hat es ebenso aus den Soziologiebüchern in die Alltagssprache geschafft wie der des „Idealtypus“.

Weltbekannt jedoch wurde Weber durch seine Protestantismus-These. Die besagt: Das Aufkommen des Protestantismus im 16. Jahrhundert war die Voraussetzung für die Entstehung des Kapitalismus, der von Europa nach Amerika und von dort in die ganze Welt exportiert wurde. Rationale Lebensführung gepaart mit Rückzug in die Innerlichkeit, Orientierung an harter Arbeit, Verdienst und Gewinn und die Belohnung im Jenseits dafür – das sind die Gründe für den wirtschaftlichen Aufstieg Europas seit der Renaissance.

Die „Heiligenverehrung“ gehe auf seine Frau zurück

Im angelsächsischen Raum ist Webers Protestantismus-These die bekannteste Theorie eines deutschen Soziologen überhaupt. Engländern, Amerikanern und Skandinaviern, alle mehrheitlich protestantisch, hat Webers Gedanke seit jeher geschmeichelt. Da hatten sie nun schwarz auf weiß den Beweis, daß ihr Wohlstand durch harte Arbeit verdient, damit also gottgefällig, gut und richtig war. Und auch die Kehrseite der Medaille, daß wer faul und arm ist, daran auch selber schuld sei, läßt sich mit Webers Protestantismus-These gut begründen, was wohlhabende Protestanten seit jeher erfreut. Webers These wurde in den hundert Jahren seit ihrer Aufstellung wohl ergänzt und kritisiert, aber nie widerlegt.

Genau jetzt aber, da Max Webers 150. Geburtstag ansteht, kommen zwei Biographen auf genau diese Idee: Die Protestantismus-These, schreiben sie, sei Kokolores und längst widerlegt. Weber habe zwar ein Riesenwerk hinterlassen, dieses bestehe aber hautsächlich aus Bruchstücken. Und überhaupt: Die ganze Heiligenverehrung, die ihm seit seinem allzu frühen Tod (er starb 1920 mit 56 Jahren) zuteil geworden ist, die habe er seiner hyperaktiven Witwe, die ihr langes restliches Leben seiner Beweihräucherung widmete, und seinem einflußreichen amerikanischen Übersetzer, dem Harvard-Professor Talcott Parsons, zu verdanken. Weber, meint der FAZ-Redakteur Jürgen Kaube am Schluß seiner Biographie, sei nicht besser gewesen als seine fast vergessenen Zeitgenossen Émile Durkheim und Georg Simmel. Deren einziges Problem mit Blick auf den Nachruhm sei es nur gewesen, nicht Marianne Weber geheiratet zu haben.

Und auch Dirk Kaesler, emeritierter Professor für Soziologie und ausgewiesener Weber-Experte, kommt zu dem Schluß, daß die Protestantismus-These in vielen Punkten als widerlegt gelten muß. Als Kronzeugen dafür zitiert er – genau wie Kaube – ausgerechnet Heinz Steinert, ein winziges Licht in der großen Welt der Soziologie, ein kritischer Kriminologie, der ein Leben lang behauptet hat, daß Strafe, Rache, Gefängnisstrafen nutzlos und Gefängnisse demzufolge abzuschaffen seien. Der also nahm sich 2011 Max Weber vor und meinte, ihn auf 300 Seiten dadurch zu erledigen, daß er Weber mißverstandene Zitate und Übersetzungsfehler vorwarf, was in wenigen Details berechtigt ist, an Webers zentraler These jedoch überhaupt nicht zu rütteln vermag.

Diese abfällige Einstellung zur Protestantismus-These zeigt den ganzen Geist, der in beiden Biographien weht, recht schön. Beiden Autoren geht es darum, einen wahrhaft großen Mann und Wissenschaftler herunterzuschreiben, seine Bücher, Theorien und Verdienste in Frage zu stellen und sein Leben und Leiden so lange lächerlich zu machen, bis nur noch eine Karikatur davon übrigbleibt. Von Kaesler wird Weber als „kleiner Max“ oder „Schlagetot“, seine Frau als „Dienerin“ oder „Gefährtin“ abqualifiziert, obwohl sie viel mehr war. Überhaupt Marianne Weber: Die Reihe großer Männer, die von Frauen halb zerstört wurden, reicht von Sokrates über Mozart, Nietzsche und Gustav Mahler bis zu F. Scott Fitzgerald und Hank Williams. Wie schön, daß Weber eine Frau hatte, die – neben einer eigenständigen Karriere als Frauenrechtlerin – ihr Leben ihrem großen Mann widmete. Ohne Marianne hätte Max Weber nach seinem Zusammenbruch nie mehr auf die Beine gefunden, sondern wäre in einem Sanatorium verdämmert.

Kaube kann mit Webers kraftvoller Art und seinen menschlich-allzumenschlichen Reaktionen nichts anfangen, ist immer baß erstaunt, wenn Weber eifersüchtig, zornig oder arrogant wirkt, obwohl ein gescheiter Biograph genau das verstehen und erklären sollte. Weder Kaube noch Kaesler können die Krisen und Einschnitte in Webers Leben auch nur ansatzweise enträtseln. Die Krisen sind das Zerwürfnis mit dem überstrengen Vater (1897) und Webers vollständiger, geistiger wie körperlicher, Zusammenbruch ein Jahr danach.

Der große Einschnitt ist Webers Beziehung zu Else Jaffé, einer intelligenten und attraktiven Frau, die ihren Mann sowohl mit Max Weber als auch Webers Bruder Alfred betrog. Weber war sexuell devot veranlagt, und Else Jaffé bot ihm die Art dominanter Sexualität, die solche Menschen eben brauchen. So etwas mag einem Biographen nicht gefallen, aber in einer ernsthaften Lebensbeschreibung muß das thematisiert werden, was jedoch weder Kaube noch Kaesler sich traut.

Max Weber durchlitt viele persönliche Krisen

Dirk Kaesler hat für sein Riesenwerk offenbar seinen alten Zettelkasten ausgeleert und alles herausgeholt, was er über Weber wußte. Er hat die ganzen Unterlagen zu den Weber-Seminaren herausgeholt, die er in seinem Leben abgehalten hat, alles aneinandergekleistert und dazwischen noch seitenlange Zitate im wenig augenfreundlichen Kursivdruck untergebracht. Trotzdem finden sich inmitten all dieser sperrigen Gelehrsamkeit einige herausragende Kapitel. Webers USA-Reise, seine zwiespältige Haltung zur Deutschen Gesellschaft für Soziologie und seine kritische und visionäre Einstellung zur Tagespolitik sind gut und klar dargestellt – wenn nur das ganze Buch so wäre.

Es ist schade, daß ein so großer Mann wie Max Weber, dessen Theorien auf der ganzen Welt höchste Wertschätzung genießen, in seinem Heimatland nur noch Biographen findet, die ihn als Material für ihre Bücher zwar gerne ausbeuten, im Herzen aber verachten. Nirgendwo wird dies deutlicher als in der Einleitung zu Kaeslers Buch, wo der Biograph Weber zustimmend mit dem Vater der Brüder Karamasow vergleicht und ihn als „seltsamen Menschen, Sonderling und Einzelnen“ bezeichnet, obwohl Dostojewski den alten Karamasow nur Zeilen nach Kaeslers seitenlangem Zitat als den „Typ eines nichtsnutzigen und ausschweifenden Menschen“ charakterisiert, „der gleichzeitig auffallend unvernünftig ist“. Max Weber war nichts von alledem. Ein guter Biograph muß so etwas wissen.

Jürgen Kaube: Max Weber. Ein Leben zwischen den Epochen. Rowohlt Verlag, Berlin 2014, gebunden, 496 Seiten, Abbildungen, 26,95 Euro

Dirk Kaesler: Max Weber. Preuße, Denker, Muttersohn. Verlag C.H. Beck, München 2014, gebunden, 1.007 Seiten, Abbildungen, 38 Euro

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