© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/14 / 25. April 2014

„Nein! Ich bin noch nicht fertig!“
Er ist Deutschlands Konservativer Nummer eins: Peter Gauweiler. Dabei sieht sich der neue CSU-Vize vor allem als Aufklärer, der nicht nur Linke, sondern auch Rechte zum Nachdenken bringen will.
Moritz Schwarz

Herr Dr. Gauweiler, wem verdanken Sie Ihren neuen Posten als CSU-Vize?

Gauweiler: Hm ...

Ich mach mal einen Vorschlag: Herrn Lucke und der AfD.

Gauweiler: … da ist der Wunsch der Vater des Gedankens!

Die Münchner „AZ“ schreibt: „Seehofer braucht den Euro-Skeptiker (Gauweiler) als Zugpferd für die Europawahl.“

Gauweiler: Als aufmerksamer Zeitgenosse müßten Sie wissen, daß das Thema Europa für die CSU schon immer eine große Rolle spielt.

Vor zwei Jahren haben Sie vergeblich versucht, Partei-Vize zu werden, damals jedoch, so die „Süddeutsche Zeitung“, „paßte es Seehofer nicht ins Konzept“.

Gauweiler: Es gibt keinen Politiker, der etwas tut, was ihm nicht ins Konzept paßt. Ich sehe das so: Die CSU ist einem Europa der Regionen und Vaterländer verpflichtet und hat eine Schutzfunktion gegenüber Fehlentwicklungen in Richtung EU-Staat.

Moment! Sie sind es, der als Kläger gegen Lissabon-Vertrag und Euro-Rettungspolitik für die Idee vom Europa der Vaterländer steht. Die CSU dagegen – mit ihrer Zustimmung zu all dem – steht für eine Entwicklung hin zum EU-Bundesstaat. Sie und die CSU passen doch in Wirklichkeit europapolitisch gar nicht zusammen!

Gauweiler: Aha, das war aber jetzt keine Frage mehr, sondern ein Plädoyer ...

Ich setze einen Kontrapunkt, der Sie herausfordern soll.

Gauweiler: Dann lassen Sie mich auch ein Plädoyer halten: Die CSU steht einerseits für die Einbindung in die europäische Idee, andererseits gegen die Zentralisierung Europas. Immer gab es in der CSU unter diesen Gesichtspunkten heftige Diskussionen, egal ob Maastricht, Lissabon oder der Euro auf der Tagesordnung standen. Nun kam der Euro in die Krise und die CSU hat dessen Rettung unterstützt. Andererseits aber auch, vertreten durch meine Person, per Intervention in Karlsruhe dafür gesorgt, daß das EU-Konzept – das Münden von immer mehr Euro-Rettung in immer mehr EU-Staat – zerbröselt ist.

Aber ...

Gauweiler: Nein! Ich bin noch nicht fertig. Sie scheinen mir außerdem vergessen zu haben, daß die CSU bis heute die einzige Parlamentspartei ist, die in ihrer Gesamtheit fordert, daß es für die Mitgliedsstaaten eine Möglichkeit geben muß, aus dem Euro auch wieder auszutreten. Und die die Angebote der Schulden-Vergemeinschaftung ohne Wenn und Aber abgelehnt hat.

Aber ...

Gauweiler: Nein! Außerdem hat die CSU – und das sogar aktuell gegen den EVP-Spitzenkandidaten und öffentlich – Eurobonds stets in Gänze abgelehnt, das übrigens gemeinsam auch mit der CDU. Von Anfang an war es wiederum die CSU, die die Maastricht-Stabilitätskriterien gegen alle Widerstände überhaupt erst durchgesetzt hat.

Die Zustimmung zur Euro-Rettung ist in der CSU in der Tat geringer ausgeprägt als bei anderen Parteien, da haben Sie recht. Und es ist sehr ritterlich von Ihnen, Ihre Verdienste mit der Partei teilen zu wollen, aber Sie beschönigen die Situation: Sie, Herr Gauweiler, repräsentieren nicht quasi einen zweiten Pol der CSU-Europapolitik, sondern stehen konträr zu deren – unterm Strich – Zustimmung zur Euro-Rettungspolitik.

Gauweiler: Es braucht immer einen, der den ersten Schritt macht. So funktioniert Politik. Aber mit unterschiedlichen Wirkungen für den einzelnen. Auch unter den CDU-Bundestagsabgeordneten gibt es Euro-Rettungskritiker. Sie haben die für ihre Rolle wichtigen parlamentarischen Ämter verloren. Was aber ist in der CSU passiert? Das genaue Gegenteil! Die CSU hat mich zum Stellvertretenden Parteivorsitzenden gewählt.

Noch mal die „AZ“: „Mit Gauweiler ist die CSU gleichzeitig für und gegen Europa, will ... für die bevorstehende Wahl ... alle Wähler einsammeln.“

Gauweiler: Es ist nichts Verkehrtes daran, eine Wahl gewinnen zu wollen, und die CSU ist und war, auch ohne mich, bis zu einem gewissen Grad auch eine EU-skeptische Partei. Ich darf Sie daran erinnern, daß es die Euro-Befürworter in der CSU waren – also aus Ihrer Sicht die „Bösen“ –, die die Maastricht-Kriterien überhaupt aufs Tableau gebracht haben. Wer für die Rettung unserer Währung ist, ist nicht automatisch für einen EU-Bundesstaat. Daß diese Kriterien über die Jahre verwässert wurden, steht auf einem anderen Blatt. Wir möchten uns aber gar nicht ausmalen, welche Entwicklungen und welche aus diesen Entwicklungen folgende Krisen wir ohne die Kriterien dann erlebt hätten. Nein – bei all ihren Schwächen –, die CSU war immer die Partei, die präsenter, wirkungsvoller und wacher war als andere!

Und doch bleibt, daß der Kurs der Partei grundsätzlich der dieser Euro-Rettung und damit letztlich der hin zu einem EU-Bundesstaat ist. Die „Süddeutsche“ stellt klar: „An der Politik soll auch Gauweiler nichts ändern.“ Und sie zitiert Horst Seehofer: „Es bleibt bei unserer Europapolitik!“

Gauweiler: Natürlich bleibt es bei unserer Europapolitik, zu der natürlich auch die Bundeskanzlerin Angela Merkel gehört. Nur: Was glauben Sie, warum wird Frau Merkel überall in Europa angefeindet? Doch nicht aus dem Grund, aus dem die JUNGE FREIHEIT in ihr ein Feindbild sieht – ganz im Gegenteil: sondern weil die Bundeskanzlerin in den Augen dieser europaweiten Kritik zu knausrig ist mit deutschem Geld und für zu viele Sparauflagen steht. Und schauen Sie sich mal den europapolitischen Forderungskatalog der CSU an: zum Beispiel die nach Halbierung der EU-Kommission. Ist das nichts? Bitte werden Sie nicht Opfer Ihrer eigenen Propaganda! Ich appelliere an Sie: Lassen Sie sich nicht den Blick verstellen. Die Michael-Kohlhaas-Tour ist bei Kleist nur bis zur Mitte der Geschichte sympathisch. Auch rechter Frust ist kein guter Ratgeber. Deutschland braucht für bürgerliche Politik die Klammer der beiden bürgerlichen Volksparteien CDU und CSU. Sie mögen sich ja bei der JUNGEN FREIHEIT neue Parteien wünschen, aber was bitte hat der Untergang der Democrazia Cristiana Italien, dem Land, gebracht? Dem Land, um das es doch geht! Bestimmt nichts Besseres, im Gegenteil – langfristig nur politische Wirrsale. Kapiert ihr das nicht?

Sie glauben nicht, daß die AfD frischen Wind bringt?

Gauweiler: Wissen Sie, ich habe all diese kleinen Formationen kommen und gehen sehen, die Bürgerpartei, den Bund Freier Bürger, die Statt-Partei, die Schill-Partei und wie sie alle hießen. AfD-Chef Bernd Lucke war dreißig Jahre in der CDU, als Wirtschaftsprofessor ein wirklich sachkundiger Mann. Warum habe ich da nie etwas von ihm gehört? Warum hat er nicht für Korrekturen oder einen anderen Kurs in der Euro-Politik gekämpft? Ich nehme die Partei und die Person ernst, aber ich warne: Laßt Euch nicht blenden! Eine Nußschale ist keine Arche.

Sie haben die AfD sogar als „Hallo-Wach-Tablette“ für die CSU bezeichnet.

Gauweiler: Das stimmt ja auch. Neue Parteien signalisieren den Etablierten: Hallo, ihr habt ein Wählerinteresse vernachlässigt, kümmert euch darum!

Nun müssen Sie im Europawahlkampf gegen eine Partei streiten, die Ihnen beim Thema Euro und EU inhaltlich nähersteht als Ihre eigene. Ist das nicht eine schizophrene Situation?

Gauweiler: Ihre Frage wird unserer Beschlußlage nicht gerecht. Ich bitte Sie nochmals, sich über die Beschlußlage der CSU zur Europawahl kundig zu machen. Das liegt mir auch deshalb am Herzen, weil ich diese Beschlüsse weitgehend mitformuliert habe.

Daß die CSU bereit war, Ihre Vorlagen zu beschließen, verdanken Sie das nicht auch dem Druck, der durch die AfD entstanden ist?

Gauweiler: Mein Gott – der politische „Druck“ ist doch nicht durch Ihre AfD entstanden, sondern durch die politischen Probleme, welche die Verschuldungsmöglichkeiten durch den Euro herbeigeführt haben und die Art und Weise, wie dies durch das weltweite Investmentbanking ausgenutzt wurde. Diesen Problemansatz bringt die CSU wirksam zum Ausdruck. Daß jetzt mehrere Protestparteien auftauchen, AfD und Freie Wähler zum Beispiel, und nun mitmischen wollen und die Etablierten herausfordern, finde ich nicht wirklich schlimm: Konkurrenz belebt das Geschäft. Deshalb habe ich auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Sachen Dreiprozenthürde für die Europawahl nicht kritisiert, und die CSU hat es in ihrer Gesamtheit auch nicht getan. Trotzdem bleibt es bei meiner Feststellung: Bürgerliche Politik braucht eine breite und solide Basis, und die finden wir bei den Kleinen nicht. Eine irrlichternde Parteienlandschaft, in der immer neue Parteien erscheinen und wieder verschwinden und man nie weiß, woran man mit ihnen ist – da ist mir eine historisch gewachsene Volkspartei lieber.

Ihr Argument ist ja nachvollziehbar, aber mal Hand aufs Herz: Fühlen Sie sich als Konservativer in der Union noch wohl?

Gauweiler: Ja, warum wollen Sie mir unbedingt etwas anderes einreden?

Sie sind der CSU 1968 doch aus bestimmten inhaltlichen Übereinstimmungen beigetreten. Inzwischen hat die Union zahllose dieser Inhalte aufgegeben. Da liegt die Nachfrage doch nahe und hat nichts damit zu tun, Ihnen etwas einreden zu wollen.

Gauweiler: Zu Beginn unseres Gesprächs haben Sie, lieber Herr Schwarz, sich zu dem Zugeständnis herbeigelassen, daß „die Zustimmung zur Euro-Rettung in der CSU in der Tat geringer ausgeprägt ist, als bei anderen Parteien“. Dieses Anderssein der CSU gilt ja für viele Politikbereiche. Was das angebliche oder tatsächliche Aufgeben von Inhalten angeht, also den Meinungswandel in den Unions-Parteien auf einzelnen Politikfeldern: Bitte führen Sie solche Entwicklungen nicht zwanghaft auf Dummheit oder auf Charakterlosigkeit zurück. Man soll auch als „Rechtgläubiger“ zu neuen Überlegungen oder Einsichten in den Wandel der Verhältnisse kommen können. Und nicht alles, was diesbezüglich unsere Richtung beeinflußt, ist zwangsläufig schlecht. Eine Partei ist kein Museum.

Es geht etwa um die Umwandlung des deutschen Volkes, wie es unser Grundgesetz beschreibt, in eine multikulturelle und gegenderte Gesellschaft. Ist das etwa gut?

Gauweiler: Jeder von uns hat eine linke und eine rechte Seite, im Kopf und im Herzen. Rechts: Differenz, Ordnung, Distanz. Links: Harmonisierung und Einebnung von Unterschieden. Wir brauchen beides, wie rechte Hand und linke Hand. Ich habe selbst lange gebraucht, bis ich das begriffen und akzeptiert habe. Wenn man aber glaubt, die Welt soll nur rechts oder nur links sein, dann wird man sektenhaft oder peinlich, oder beides.

Solche Überlegungen sind Philosophie, nicht Politik. „Sowohl als auch“ – so funktioniert Politik nicht. Politik ist, in Sachfragen eine Entscheidung zu treffen: „Entweder – oder!“

Gauweiler: Politik ist nicht Schablonen-Verteidigung. Nach einer Entscheidung kommt die nächste und dann wieder die nächste und so weiter und so fort. So entwickeln sich die Dinge und das keineswegs geradlinig. Es gab niemanden, der den Satz Erich Honeckers, die Mauer stehe noch hundert Jahre, so gläubig aufgenommen hat wie die Breite des deutschen Bürgertums. Erst heute erkennen wir das, was Erich damals sagte, als völlig lächerlich. Unsere Gedanken müssen in jeder Richtung frei bleiben.

Mal konkret: Die neue Regelung zum Doppelpaß. Der Vorstoß dazu kam ausgerechnet aus der CSU. Hat Sie das nicht irritiert?

Gauweiler: Ich war nie ein Freund des Doppelpasses und bin heute noch skeptisch. Eine Staatsangehörigkeit für das Herz und eine für die Tasche – das geht nicht. Andererseits kann man Loyalitäten verbreitern. Der große Otto von Habsburg hatte mehrere Staatsangehörigkeiten. Mich hat auch eine Bemerkung meines Freundes Peter Scholl-Latour nachdenklich gemacht, die ich ausgerechnet in der Dankesrede gefunden habe, die er aus Anlaß der Verleihung eures Gerhard-Löwenthal-Preises an ihn 2008 gehalten hat: „Die Geschichte Frankreichs und Deutschlands lehrt, daß eine ethnische Geschlossenheit ursprünglich nicht vorhanden war. Wir werden wohl künftig gezwungen sein, zu einem voluntaristischen statt ethnischen Begriff der Nationalität zurückzukehren.“ Ich hoffe nicht, daß Sie jetzt bereuen, mich damals zur Preisverleihung eingeladen zu haben. Auch wenn ich nicht dabeisein konnte. Also: Nichts für ungut.

 

Dr. Peter Gauweiler, gilt spätestens seit seinem spektakulären Sieg vor dem Bundesverfassungsgericht 2009 in Sachen Lissabon-Vertrag in der CSU als Volksheld: „Er hat unsere Ehre gerettet!“ jubelte damals der Parteifreund und spätere Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich. Nun ist dem „Euro-Rebellen“ (Bild) und „schwarzen Querulanten“ (Spiegel) die politische Rückkehr gelungen: Ende 2013 wurde er Stellvertretender Parteivorsitzender der CSU. Dabei endete die erste Parteikarriere 1994 mit seinem Rücktritt als bayerischer Umweltminister. 2002 begann er von vorn, diesmal als Bundestagsabgeordneter. Dabei zählte der 1949 in München geborene Rechtsanwalt schon immer zu den profiliertesten Konservativen in der Union. Immer wieder macht er durch konservative Initiativen auf sich aufmerksam. So forderte er etwa ein zentrales Mahnmal für die Opfer des Bombenkriegs, die Wiedereinführung der D-Mark, eine Volksabstimmung über die Zuwanderung oder stoppte 2005 die Ratifizierung der EU-Verfassung durch eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht.

Foto: Polit-Rebell Gauweiler: „Werden Sie nicht Opfer Ihrer eigenen Propaganda. Ich appelliere an Sie! Die Kohlhaas-Tour ist nur bis zur Hälfte sympathisch. Rechter Frust ist kein guter Ratgeber.“

 

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