© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/14 / 25. April 2014

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Die Botschaft der Spione
Marcus Schmidt

Von den oberen Stockwerken des Reichstages und des angrenzenden, ebenfalls vom Bundestag genutzten Jakob-Kaiser-Hauses kann man über den Tiergarten hinweg zum fernen Teufelsberg blicken. Dort, unter 26 Millionen Kubikmeter Trümmerschutt des zerbombten Berlins, errichteten die Amerikaner seit den fünfziger Jahren mehrere Abhörstationen, mit denen sie weit in den sowjetischen Machtbereich hineinhorchen konnten.

Noch heute sind die charakteristischen weißen Kuppeln, unter denen sich einst die Abhöranlagen versteckten, weithin sichtbar. Daß es sich dabei nicht nur um Überbleibsel längst vergangener Zeiten handelt, wurde vielen im Regierungsviertel schon im vergangenen Sommer bewußt, als die merkwürdigen Aufbauten der neuen amerikanischen Botschaft am Brandenburger Tor, und damit nur einen Steinwurf von Reichstag und Kanzleramt entfernt, ins Gerede kamen. Im Zuge der NSA-Affäre war der Verdacht aufgekommen, daß sich auf dem Dach der diplomatischen Vertretungen Abhöranlagen befinden könnten, mit denen möglicherweise auch die Telefongespräche von Bundeskanzlerin Angela Merkel belauscht wurden. Spionage, so lernten die Berliner Politiker damals, ist kein Relikt des Kalten Krieges.

Vor diesem Hintergrund erstaunt ein wenig die Aufregung, die Teile der Öffentlichkeit über die Osterfeiertage ergriff. Das Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln hatte davor gewarnt, daß russische Agenten gezielt Referenten und wissenschaftliche Mitarbeiter von deutschen Politikern, Stiftungen und Ministerien anwerben könnten, um an sensible Informationen zu gelangen. „Für kaum einen Geheimdienst ist die nachrichtendienstliche Aufklärung in Deutschland so wichtig wie für den russischen,“ sagte Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen der Welt am Sonntag. Als Botschaftsangestellte getarnt, würden sich die Mitarbeiter des Geheimdienstes mit den ahnungslosen Zielpersonen anfreunden, um sie abschöpfen zu können, warnte der oberste Verfassungsschützer vor allzu großer Naivität im Umgang mit russischen Diplomaten.

„Mir ist davon nichts bekannt. Ich wundere mich, daß ich das aus den Medien erfahre“, sagte ein verblüffter Christian Ströbele dem Sender N24. Zwar sei allen bekannt, daß auch die Russen spionieren, berichtete der Grünen-Abgeordnete, der dem Parlamentarischen Kontrollgremium zur Überwachung der deutschen Geheimdienste angehört. „Aber so konkret, wie das jetzt in den Zeitungen steht, habe ich das nicht gewußt.“ Maaßen müsse nun klären, was da wirklich dran sei, welche Beispiele es gebe und warum die Abgeordneten nicht vorher warnend darauf hingewiesen worden seien. „Wenn eine akute Gefahrensituation bestünde, wäre es wichtig gewesen, alle Bundestagsabgeordneten zu informieren“, sagte Ströbele. „So sieht es ein bißchen so aus, als wenn es begleitende psychologische Kriegsführung wäre“, vermutete er mit Blick auf die Krise in der Ukraine.

Nun könnte der Spionageverdacht ein Fall für das Parlamentarische Kontrollgremium werden.

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