© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/14 / 25. April 2014

Milch und Honig fießen in Brüssel
EU-Beamte: Die „Staatsdiener“ in Europas Hauptstadt genießen keine Privilegien. Behauptet die Kommission. Die JUNGE FREIHEIT hat sich das genauer angeschaut.
Henning Hoffgaard

Die Europäische Kommission versteht sich in Deutschland als Aufklärer. Aus diesem Grund hat sie eine eigene Internetseite eingerichtet, auf der die „Mythen über die Europäische Union“ mit „wahren Fakten“ verglichen werden sollen. Zwölf dieser Mythen hat sich die Kommission vorgeknöpft. Allein drei davon beschäftigen sich mit den Gehältern der knapp 50.000 EU-Beamten.

Seit Jahren kursieren Berichte über den Gehaltsluxus der als „Eurokraten“ verspotteten Arbeitnehmer in Brüssel. Das Thema war dem britischen Premierminister David Cameron so wichtig, daß er Ende 2013 mit einem Scheitern des gesamten EU-Haushalts von 2014 bis 2020 drohte, sollte der Verwaltungsapparat nicht sparen. Dabei ging es immerhin um fast eine Billion Euro. Eine Zahl mit zwölf Nullen. Am Ende ließ sich Cameron dafür feiern, daß auch die EU-Beamten ihren Beitrag zur Bewältigung der Euro- und Wirtschaftskrise leisten würden: zwei Jahre keine Gehaltserhöhung, Anhebung der Wochenarbeitszeit von 37,5 auf 40 Stunden, Erhöhung des Renteneintrittsalters von 63 auf 66 Jahre.

Die Gewerkschaft der EU-Beamten, die Union Syndicale, veranlaßte das Vorhaben zu einer dramatischen Warnung: „Der Rat will unseren Tod!“ Konkret befürchtete die Gewerkschaft einen „massiven Kaufkraftverlust“ ihrer Mitglieder. Auch daß Flugspesen nur noch für sogenannte „Economy Class“-Reisen erstattet werden sollen, sorgte für Empörung. Für weit weniger öffentliche Aufmerksamkeit sorgte dagegen die Tatsache, daß die Beiträge der EU-Beamten für ihre Altersvorsorge seit 2011 von 11,6 auf 10,3 Prozent gesenkt wurden. Dadurch erhöhte sich das Nettogehalt der Betroffenen um bis zu 240 Euro im Monat.

Zahlreiche Privilegien und steuerfreie Zuschüsse

Der Sprecher der EU-Kommission in Deutschland, Reinhard Hönighaus, rechtfertigte den Schritt gegenüber der JUNGEN FREIHEIT: „Die EU-Beamten sollen genau soviel einzahlen, wie für eine nachhaltige Ausstattung des Pensionsfonds gebraucht wird. Nicht weniger, aber auch nicht mehr. Wenn also die Gehälter und die Kaufkraft der Beamten sinken und damit auch ihre künftigen Pensionsansprüche, dann sinken naturgemäß auch die Beiträge.“

Viele Arbeitnehmer in Europa müssen jedoch trotz der Aussicht auf immer geringere Renten immer mehr Geld in die staatlichen Versicherungssysteme einzahlen. Hinzu kommt, daß die EU laut einer internen Studie der europäischen Statistikbehörde Eurostat bis 2045 etwa 100 Milliarden Euro für die Pensionen ihrer Beamten aufwenden muß. Zugleich verwies Hönighaus darauf, daß deutsche Beamte nicht einen Cent in die Rentensysteme einzahlen. Dennoch klingen die Brüsseler Zustände für die meisten Arbeitnehmer wie ein Traum.

Nur, was verdient eigentlich ein Beamter der Europäischen Union? Wer versucht, dieser Frage nachzugehen, gerät schnell in ein undurchschaubares Dickicht aus Privilegien, Zuschüssen, Sonderregelungen und Paragraphen. Eine Gehaltstabelle findet sich in der Verordnung 31 „über das Statut der Beamten und über die Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Europäischen Atomgemeinschaft“. Die ist 235 Seiten stark, in ihrer ersten Fassung aus dem Jahr 1962 und wird bis heute aktualisiert.

Insgesamt kennt die EU 18 Besoldungsstufen mit Einstiegsgehältern von 2.654 bis 16.919 Euro brutto. In der Regel steigen die Bezüge alle zwei Jahre. Das Höchstgehalt für einen Generaldirektor beträgt 18.370 Euro. Zum Vergleich: Bundeskanzlerin Angela Merkel verdient im Monat 16.684 Euro. Das Durchschnittsgehalt der EU-Beamten liegt bei etwa 5.000 Euro im Monat. Ein Arbeitnehmer in Deutschland kommt laut dem Fachdienst Statista auf etwa 2.500 Euro.

Doch die reinen Gehaltszahlungen sind nur eine Seite der Wahrheit. Neben ihren Grundbezügen erhalten die Beamten der Union zahlreiche weitere Zuschläge, Vergünstigungen und Privilegien:

Zum Grundgehalt bekommen verheiratete EU-Beamte eine monatliche Haushaltszulage von 170,52 Euro sowie zwei Prozent zusätzlich zum Grundgehalt.

Für jedes Kind erhalten die Angestellten der EU 372 Euro Kindergeld. In Deutschland liegt der Satz bei 184 Euro. Beim dritten Kind zahlt der deutsche Staat 190 Euro. Ab dem vierten 215.

Zusätzlich erhalten EU-Beamte, die nicht aus Belgien kommen oder nicht in ihrem Heimatland leben, eine Auslandszulage von 16 Prozent aufs Grundgehalt (mindestens jedoch 509 Euro), Haushaltszulage und Kindergeld.

Auch beim Schulbesuch greift die Europäische Union den Beamten unter die Arme. Für Kinder unter sechs Jahren werden 91,02 Euro Vorschulgeld bezahlt, besucht das Kind eine gebührenpflichtige Schule, steigt der Zuschuß auf 252,81 Euro im Monat.

Referatsleiter erhalten ab einem gewissen Dienstgrad eine sogenannte Managementzulage von etwa 4,2 Prozent.

Ein verheirateter EU-Beamter mit zwei Kindern und einem Grundgehalt von 5.000 Euro kann wegen dieser Zuschläge mit fast 7.500 Euro brutto rechnen. Wer allerdings glaubt, im Gegenzug zu den hohen Zuschüssen müßten auch entsprechend hohe Steuern und Abgaben gezahlt werden, sieht sich getäuscht. Im Durchschnitt müssen die Beamten in Brüssel etwa 20 Prozent ihres Gehalts abführen. Das Geld fließt dann direkt in den Haushalt der Europäischen Union.

Der Satz für die Krankenversicherung liegt für die EU-Beamten bei 1,8 Prozent des Grundgehalts. Arbeitnehmer in Deutschland zahlen einen Eigenanteil von 8,2 Prozent.

Für ihre Pension müssen die Angestellten in Brüssel 10,3 Prozent ihres Grundgehalts ausgeben. Der Höchstsatz des Ruhegehalts beträgt bis zu 70 Prozent des letzten Grundgehalts. In Deutschland liegt der Satz für die Rentenversicherung derzeit bei 18,9 Prozent, die von Arbeitgeber und Arbeitnehmer aufgebracht werden müssen. Beamte zahlen in Deutschland nicht ins Rentensystem ein.

Zur Unfallversicherung tragen die Beamten mit 0,01 Prozent ihres Grundgehalts bei.

Die Lohnsteuer steigt für die EU-Beamten progressiv an. Wer etwa 3.500 Euro Grundgehalt verdient, zahlt 15 Prozent Steuern. Bei mehr als 6.900 Euro werden 45 Prozent fällig. Alle Zulagen und Vergünstigungen bleiben jedoch steuerfrei.

Andere Sozialversicherungen werden nicht fällig.

Auf einen kleinen Teil des Einkommens wird zudem eine zeitlich begrenzte sechsprozentige Sondersteuer fällig.

Alles in allem zahlen die Beamten der Europäischen Union damit weit weniger Steuern als die Arbeitnehmer und Beamten in Deutschland. Die baden-württembergische Europaabgeordnete Inge Gräßle (CDU) hat in den vergangenen Jahren wiederholt darauf hingewiesen, daß das EU-Steuerrecht den Dienst in der EU deswegen weiterhin attraktiv mache und weitere Privilegien überflüssig seien. Zur Veranschaulichung verglich sie die Belastung durch die Lohnsteuer in Deutschland mit den EU-Abgaben. Das Ergebnis ist eindeutig (siehe Grafik).

EU-Beamte müssen kaum Steuern zahlen

Selbst die am stärkten belasteten EU-Beamten zahlen nur rund 25 Prozent Steuern auf ihr Bruttoeinkommen inklusive der Zuschüsse. Ein vergleichbarer Arbeitnehmer in Deutschland muß dagegen 39 Prozent seines Einkommens abführen. Dabei stellte Gräßle auch die Frage, welches Einkommen in Deutschland gezahlt werden müßte, damit man auf das Nettogehalt kommt, das EU-Beamte erhalten.

Beispiel: Ein verheirateter Arbeitnehmer mit zwei Kindern müßte 7.829 Euro Brutto verdienen, um am Ende 5.000 Euro nach Steuern zu bekommen. Wäre er Beamter bei der EU reichte ihm für das gleiche Nettogehalt ein Verdienst von 5.427 Euro.

Im Klartext: Ein deutscher Arbeitnehmer zahlt 2.800 Euro Steuern, ein EU-Beamter dagegen nur 400. Für die Brüsseler Behörden ist das kein Problem. Man konkurriere schließlich um die besten Köpfe und müsse Hochqualifizierte in die Beamtenlaufbahn locken, heißt es auf der Seite „Mythen über die Europäische Union“. Die Behauptung: „Die EU-Beamten genießen absurde Privilegien, gehen früh in Rente mit Riesen-Pensionen und zahlen dafür nichts“, treffe deswegen nicht zu. Diese Deutung wird allerdings wohl nicht jeder teilen.

 

Die Aufklärerin

Seit 2004 sitzt Ingeborg Gräßle (CDU) im EU-Parlament. Als Mitglied des Haushaltskontrollausschusses hat die heute 53jährige immer wieder die Ineffizienz und die Verschwendung der EU-Verwaltung angeprangert. Dabei scheute sie auch vor klaren Aussagen nicht zurück: „Das System lebt von Intransparenz“, sagt sie über das Gehaltsgefüge der EU-Beamten. Der EU-Kommission wirft sie vor, an keinen Änderungen des komplizierten Paragraphengeflechts interessiert zu sein. „Ich werde angefeindet – am meisten von den Sozis“, klagte sie gegenüber dem Focus. Sich selbst bezeichnet sie als „Überzeugungstäterin“.

Als 2013 eine neue Debatte über die Privilegien der EU-Beamten ausbricht, stellt Gräßle kurzerhand die Gehaltsdaten der Angestellten ins Internet. Das Ergebnis: Mit den zahlreichen Zulagen bekommen einige Beamte mehr Geld als der deutsche Bundeskanzler. Die EU-Kommission reagierte gereizt auf Gräßles Vorgehen und warf ihr eine Verdrehung der Wahrheit vor. Die Zahlen selbst stammen aus einer Anfrage der CDU-Politikerin an die Verwaltung. Obwohl der Haushaltsausschuß hinter ihr steht, hat Gräßle doch kaum Einfluß auf die Gehaltspolitik. Die wird von den Regierungschefs bestimmt.

Foto: Schlaraffenland (nach einer Kinderbuchillustration von Pauli Ebner): Alles nur Mythen über die Europäische Union?

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