© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/14 / 25. April 2014

„Radikal neoliberal mit konservativem Anstrich“
AfD: Eine politologische Blitzanalyse verortet die Partei im europäischen Kontext
Oliver Busch

Die ersten Absätze von Dieter Plehwes kritischer Studie über die Alternative für Deutschland (AfD) dürften im Führungszirkel um Parteichef Bernd Lucke mit Genugtuung gelesen werden. Stellt der Berliner Politologe der AfD doch als sicher in Aussicht, am 25. Mai ins Europaparlament einzuziehen. Und zwar mit einem Stimmenanteil, der das Ergebnis der Bundestagswahl im Herbst 2013 verdoppeln könnte. Was auf diese Frohbotschaft folgt, sind dann für Luckes Mannschaft weniger erfreuliche Thesen (Blätter für deutsche und internationale Politik, 2/2014).

Gerade angesichts des prognostizierten Wahlerfolgs ist es für Plehwe nämlich höchste Zeit, die neue Kraft im Zusammenhang der in fast allen EU-Mitgliedsstaaten erstarkten europaskeptischen bis Anti-EU-Bewegungen genauer unter die Lupe zu nehmen, um daraus mit dem politikwissenschaftlichen Gütesiegel versehenes Wahlkampfmaterial gegen die AfD zu liefern.

Begrifflich zunächst maximal verwaschen argumentierend, Etikettierungen wie „gemäßigt rechts, rechts, rechtsextrem, rechtspopulistisch, nationalistisch, konservativ, neoliberal-konservativ“ nahezu willkürlich streuend, ringt sich Plehwe immerhin zu einer diskutablen Klassifizierung durch. Demzufolge zeichnen sich die Bruchlinien der „neuen europäischen Rechten“ seit 2009 im EU-Parlament ab. Einerseits formierte sich dort die von David Cameron inspirierte Allianz der Europäischen Konservativen und Reformisten (AECR) unter Führung der britischen Tories.

Andererseits die „gemäßigte Rechte“, wiederum mit britischem Übergewicht dank der hyperaktiven UK Independence Party von Nigel Farage, sowie die noch fraktionslosen Abgeordneten der radikalen Rechten, deren nationalistische „Fundamentalopposition“ das Programm von Marine Le Pens Front National derzeit wohl am besten akzentuiert.

Knotenpunkt eines neoliberalen Netzwerks

Allen Gruppierungen unterstellt Plehwe ein gemeinsames ökonomisches Motiv: Der rechte „Backlash“ werde seit den 1990ern in Osteuropa von enttäuschten Prosperitätserwartungen, im Westen von „Abstiegsängsten“ gespeist, wie sie die von Brüssel exekutierte „neoliberale Globalisierung“ ausgelöst habe. Die für die zunehmende Resonanz nicht nur des Front National zentrale Verknüpfung von Brüsseler Neoliberalismus und exzessiv geförderter Zuwanderung unter der Parole „freier Austausch von Menschen und Waren“ (Angela Merkel), präziser gesagt: der Ware Mensch, kommt in Plehwes einäugigem Analyseversuch hingegen gar nicht vor.

Was zwangsläufig die Bemühungen behindert, die AfD im Spektrum der EU-Rechten zu verorten. Denn als „Sammlungsbewegung“, wie Plehwe einräumt, umfasse sie zweifellos verschiedene Kreise. Je nachdem, ob „nationalkonservative, religiös-rechte und neoliberale Kräfte“, oder gar die „rechtspopulistische und -radikale Spreu“ die Oberhand gewinnen, müßte sein Modell folglich variable Zuordnungen zulassen.

Das ist aber nicht der Fall. Vielmehr deklariert es mitten im gärenden Selbstfindungsprozeß der Partei Luckes „neoliberalen“ Flügel für repräsentativ und zukunftsweisend. Die AfD sei also eine „radikal neoliberale Kraft mit nationalkonservativem Anstrich“. Ihre Wahl vorausgesetzt, würden die AfD-Abgeordneten sich gehorsam Camerons AECR attachieren. In die Reihen derer, die ökonomischen Internationalismus für Besitzbürger und Funktionseliten mit sozialpolitischem Nationalismus für das Wahlvolk kombinieren, gehöre die Lucke-Fraktion der AfD jedoch nicht nur wegen der seit langem geknüpften Beziehungen zu Camerons europapolitischer AECR-Denkfabrik und ihren Ablegern.

In der deutschen Parteiengeschichte beleuchte eine Untersuchung der Konrad-Adenauer-Stiftung als autochthonen Knotenpunkt eines genuin neoliberalen Netzwerks den 1994 gegründeten „Bund Freier Bürger“. Von dieser Kleinpartei reichen personelle Kontinuitäten zu den „parapolitischen Vereinen“ im AfD-Vorfeld wie der „Allianz für den Rechtsstaat“ oder dem „Bürgerkonvent“ ebenso wie zum ordoliberalen Ökonomen Joachim Starbatty und zum Ex-BDI-Steuermann Hans-Olaf Henkel, dem „personifizierten Radikalkapitalismus“ (Gero von Randow in der Zeit vom 27. März 2014), beide engste Gefolgsleute Luckes. Gewiß offenbare sich in diesem elitären Konzept nicht die Strategie für eine neue Volkspartei. Für einen Platz im System, rechts von der Union, könnte es aber ausreichen.

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