© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/14 / 02. Mai 2014

Gefangene Militärinspekteure in der Ostukraine
Ungastliche Geste
Christian Vollradt

Wie man mit Gästen umgeht, ist bei allen kulturellen Differenzen ziemlich unstrittig. Ob in Ost oder West, der Minimalkonsens lautet: Gäste werden bewirtet, und wenn sie wieder gehen möchten, läßt man sie ziehen; das ist der wesentliche Unterschied zwischen Gästen und Gefangenen. Besucher gegen ihren Willen auf einer Pressekonferenz vorzuführen, gehört sicher auch nicht in die Kategorie Gastfreundschaft.

Insofern sagte der deutsche Oberst nicht die Wahrheit, als er vor den Kameras und Mikrofonen im ostukrainischen Slowjansk feststellte, er und die anderen OSZE-Beobachter betrachteten sich als Gäste des selbsternannten Bürgermeisters und Separatistenführers. Wieso also die offensichtliche Schönfärberei? Der maskierte Bewacher im Rücken ist die eine Begründung, Diplomatie die andere. Die drängendere Frage, die dieses unwürdige Zurschaustellen nach sich zieht, lautet allerdings: Handeln die prorussischen Separatisten mit Duldung oder Wohlwollen des Kreml, der auf diesem Wege weitere Sanktionen des Westens abwenden will? Oder haben sich die irregulären Kräfte dort längst von Moskau so weit emanzipiert, daß sie ihr eigenes Süppchen kochen und selbst Putins Macht nicht mehr ausreicht, mäßigend einzuwirken (so er denn wollte)? Letzteres böte noch mehr Anlaß zur Sorge. Daß angesichts dieser Lage in Kürze ein neuer (gesamt-)ukrainischer Präsident gewählt werden kann, wird so oder so immer unwahrscheinlicher.

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