© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/14 / 02. Mai 2014

Auf eigene Faust
Kriminalität: In grenznahen Orten schließen sich immer mehr Anwohner zu Bürgerwehren zusammen, um ihr Eigentum zu schützen
Hinrich Rohbohm

Gerhard Schwagerick ist zufrieden. Seit April ist die Bürgerstreife von Küstrin-Kietz, einem brandenburgischen Ort mit 800 Einwohnern an der deutsch-polnischen Grenze, offizieller Sicherheitspartner der Polizei. Ein Erfolg der Initiative, in der der 62jährige als Teamkoordinator wirkt. „Jetzt sind wir bei unseren Einsätzen wenigstens versichert, wenn mal was passiert“, sagt er.

Die 22köpfige Gruppe wurde im Januar aus der Not heraus gegründet. Einbrüche und Diebstähle hatten rapide zugenommen. Landmaschinen waren entwendet worden, Gartengeräte und Werkzeuge ebenso wie Fahrräder und Autoreifen. Während sich die Polizei aufgrund von Einsparungen immer stärker aus der Fläche zurückzieht, ergreifen osteuropäische Banden immer stärker die Gelegenheit, in dünnbesiedelten, ohne eigene Polizeistation ausgestatteten Orten auf Diebestour zu gehen. Immer mehr Bürger sehen sich gezwungen, für ihre Sicherheit selbst zu sorgen. Allein in Brandenburg gibt es inzwischen 426 Sicherheitspartner, die als Bürgerstreife durch die Orte patrouillieren. Auch in Mecklenburg-Vorpommern sprießen Bürgerwehren im deutsch-polnischen Grenzgebiet wie Pilze aus dem Boden.

„Hier ist praktisch jeder zweite oder dritte Haushalt Opfer von Einbrüchen geworden“, erzählt eine junge Mutter aus Küstrin-Kietz. Teamkoordinator Schwagerick belegt dies mit Zahlen. „Im vergangenen Jahr hatten wir über 300 Einbrüche zu verzeichnen gehabt“, sagt er. Den Bürgern seines Ortes war das zuviel. Sie nahmen das Problem selbst in die Hand, wollten nicht länger auf „Hinhalteparolen“ der Politik vertrauen. Die Polizei nimmt Schwagerick von der Kritik aus. Sowohl mit der Landes- als auch der Bundespolizei sei die Zusammenarbeit gut. „Die sind ja selbst unzufrieden mit der Situation“, erklärt er und spielt damit auf die Polizeireform in Brandenburg an, die zu einer personellen Verschlechterung bei den Beamten geführt habe.

„Die Sicherheit unserer Familien war einfach nicht mehr gegeben“, faßt Schwagerick die Situation zusammen. In der Regel seien es Polen, die mit Autos, per Boot über die Oder oder mit Karren zu Fuß über die unbeleuchtete Eisenbahnbrücke nachts in den Ort kommen, um auf Diebestour zu gehen. Die Bürgerstreife hat daher Patrouillendienste eingerichtet. Abwechselnd sehen einzelne Gruppen nachts im Ort nach dem Rechten. Sie haben sich Scheinwerfer auf ihre Autodächer gebaut, sich Nachtsichtgeräte besorgt. Auch Funksprechgeräte und Taschenlampen schafften sie sich an. „Alles auf eigene Kosten“, erzählt Schwagerick. Jetzt, wo sie Sicherheitspartner der Polizei geworden sind, gibt es zumindest eine Aufwandsentschädigung. 255,60 Euro zahlt ihnen das Land im Monat. Für alle zusammen. Die Grundausstattung für ihre nächtlichen Kontrollgänge müssen sie sich selbst besorgen.

Hinzu kommen Benzinkosten für die Patrouillenfahrten durch den langgezogenen Ort, der sich über 18 Kilometer streckt. „Da können wir den Leuten allenfalls mal einen Kasten Bier spendieren“, schildert Schwagerick die Situation. „Die Einbrüche werden hauptsächlich von Polen aus den Grenzorten verübt“, sagt ein Mitglied der Bürgerstreife. „Die kennen sich hier ganz genau aus. Tagsüber kundschaften sie aus, wo was zu holen ist, und nachts schlagen sie dann zu“, beschreibt er die Vorgehensweise der Einbrecher, von denen sie einige bereits der Polizei übergeben konnten.

Harte Probe für das Familienleben

„Das sind aber nur die kleinen Fische, die uns ins Netz gehen“, sagt der Mann. An die osteuropäischen Banden, die oftmals als Drahtzieher der deutschlandweit stark zunehmenden Einbruchskriminalität wirken, komme man nicht heran. „Es sind immer wieder andere Leute. Die kennen unsere lasche Justiz und wissen genau, daß kleinkriminelle Ersttäter in Deutschland in der Regel nach ein paar Tagen wieder laufengelassen werden“, erklärt Gerhard Schwagerick mit einem tiefen Seufzer.

Einmal sei der Bürgerstreife ein größerer Fang gelungen. Ein Sattelschlepper war mit mehreren Autos beladen von Berlin aus auf den Weg zur deutsch-polnischen Grenze durch Küstrin-Kietz gefahren und dort von der Hauptstraße in den Ort abgebogen. „Meistens haben die Banden einen weiteren Pkw im Einsatz, der vorfährt, um zu erkunden, ob es im Grenzbereich Polizeikontrollen gibt“, erklärt Schwagerick. Offenbar sei der Sattelschlepper deshalb abgebogen und längere Zeit durch die Wohngebiete gefahren. „Der Verdächtige hatte dann offenbar Panik bekommen und ist über die Äcker geflüchtet“, erinnert sich Schwagerick. Die Bürgerstreife verständigte die Polizei. Gemeinsam konnten sie den Flüchtigen an der Oder stellen. „Sowohl der Sattelschlepper als auch die Autos waren gestohlen.“

Aber was, wenn die Täter Gewalt anwenden? Eine Situation, mit der die Patrouillen bisher nicht konfrontiert wurden. „Da muß man abwägen“, sagt Schwagerick. Die eigene Sicherheit gehe stets vor. Unter den Kriminellen scheint sich das Engagement der Streife herumgesprochen zu haben. Die Einbruchszahlen im Ort seien drastisch zurückgegangen. „Aber uns ist auch klar, daß die Bürgerstreife kein Dauerzustand sein kann.“ Schließlich stelle der nächtliche Einsatz auch das Familienleben der Beteiligten auf eine harte Probe. „Wir kommen von der Arbeit und gehen dann auf Patrouille. Klar kommt da das Familienleben zu kurz. Ewig können wir das nicht weitermachen“, sagt ein Mitglied der Streife.

Bei der Bürgerstreife in Harzheim im Landkreis Euskirchen im äußersten Westen von Nordrhein-Westfalen sieht man das ähnlich. „Wir haben bereits im ganzen Ort für die Jungs Geld gesammelt, als Dankeschön für ihren Einsatz“, sagt Petra Schneider, Ortsvorsteherin von Harzheim. Die Idee zur Gründung einer Bürgerwehr war Ende vorigen Jahres auf dem Stammtisch des örtlichen Junggesellenvereins entstanden. 20 Männer beteiligen sich an Kontrollgängen durch den Ort. Mit Erfolg. Seitdem gab es in dem 400-Einwohner-Örtchen keinen Einbruch mehr. Vor der Bürgerwehrgründung sah das anders aus. Reifen wurden gestohlen, Werkzeug aus Gartenlauben entwendet, Maschinen geklaut. Auch im Betrieb ihres Mannes war eingebrochen worden, erzählt Schneider. „Wir liegen dicht an der Autobahn, das ist für Einbrecher ideal, weil sie so schnell über alle Berge sind“, erklärt eine Anwohnerin.

„Die Drahtzieher sitzen zumeist in den Großstädten wie Köln oder Frankfurt. Von da aus heuern sie Kleinkriminelle an“, schildert Petra Schneider. Erwischt habe die Harzheimer Initiative allerdings noch keinen der Täter. Daß osteuropäische Banden hinter den Einbruchserien stecken, wird aber auch hier vermutet. In einem Nachbarort konnten Anwohner einen Weißrussen auf frischer Tat erwischen.

Die Harzheimer Initiative sieht sich allerdings auch Kritik ausgesetzt. Die Verfolgung von Kriminellen sei zu gefährlich, man solle das doch besser der Polizei überlassen, hatte der Euskirchener Landrat Günter Rosenke davor gewarnt, Bürgerwehren zu bilden. Petra Schneider widerspricht: „Wir können doch froh sein, daß es Bürger gibt, die sich so stark für das Gemeinwohl einsetzen. Das ist heute längst nicht mehr selbstverständlich“. Zudem würden sich die Harzheimer seit Bestehen der Bürgerwehr deutlich sicherer fühlen. „Es ist beklemmend, wenn du auf einmal nach Hause kommst und siehst, daß Fremde in deiner Wohnung waren und deine Sachen durchwühlt wurden“, beschreibt ein Harzheimer Einbruchsopfer seine Empfindungen.

Politiker warnen vor Alleingängen

Vor allem die Kinder im Ort seien verängstigt, sagt er. „Die Polizei rät uns nur, die Augen aufzuhalten, aber das allein hilft uns nicht weiter“, sagt Schneider. Zuviel Zeit vergehe, bis die Beamten vor Ort seien. Bis dahin seien die Täter längst über alle Berge. Seit die Bürgerwehr aktiv ist, kommen sie gar nicht erst. „Die Jungs überwachen alle Zufahrtswege in den Ort, da wird es schwer für Einbrecher“, erklärt Schneider. Die Initiative arbeitet wie die Bürgerstreife von Küstrin-Kietz unbewaffnet.

Daß derlei Maßnahmen Einbrecher abschrecken können, dürfte auch der Fahrer eines weißen Transporters bestätigen, der um vier Uhr morgens durch den Ort fuhr. „Die Jungs hatten ihn mit ihren Autos regelrecht eingekreist und dann die Polizei gerufen. Der Ärmste hatte einen großen Schreck bekommen“, erinnert sich die Ortsvorsteherin, die erklärt, daß es sich in diesem Fall um einen falschen Alarm handelte. Der Mann war lediglich ein Kurierfahrer.

Foto: Gerhard Schwagerick mit Sprechfunk und Taschenlampe: Genug von „Hinhalteparolen“ der Politik

 

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