© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/14 / 02. Mai 2014

Das schwarze Loch
Haushalt: Obwohl der Fiskus immer mehr Kasse macht, ist nie genug Geld da / Steuermehreinnahmen stehen Schulden und marode Infrastrukturen gegenüber
Bernhard Knapstein

Die kleine Brücke kurz vor Sprötze in der niedersächsischen Nordheide, die die B 3 über die wichtige Bahnverbindung zwischen Hamburg und Bremen passieren läßt, würde den Autofahrern kaum auffallen. Sie tut es aber. Denn schon im zweiten Jahr ist die Strecke nur noch einspurig befahrbar. Eine Bauampel regelt den Verkehr.

Die Brücke ist seit 2011 marode, die Tragfähigkeit eingeschränkt. Die Sprötzer Brücke ist kein Einzelfall, sondern beschreibt beispielhaft den Zustand der bundesdeutschen Infrastruktur. Das sind unter Einbeziehung von Bundes-, Landes- und Kommunalwegen 644.000 Kilometer öffentliches Straßennetz mit 67.000 Brücken. Bund und Länder geben jedes Jahr 7,4 Milliarden Euro für die Instandhaltung unserer Schlaglochpisten aus.

Die Daehre-Kommission kam 2012 und die Bodewig-Kommission 2013 zu dem Ergebnis, daß jedes Jahr 7,2 Milliarden Euro allein für die Instandhaltung fehlen, um den weiteren Verfall unserer Infrastrukturen zu verhindern, Neubauten nicht inbegriffen.

Ein Fehlbedarf, der die unerwarteten Mehreinnahmen des Fiskus im ersten Quartal des Jahres 2014 in den Fokus rückt. 140 Milliarden Euro an Steuereinnahmen von Bund und Ländern (ohne Kommunen), das sind fünf Milliarden Mehreinnahmen als im Vorjahresvergleich (plus 3,7 Prozent). Das Handelsblatt will auf der Habenseite sogar den besten März aller Zeiten ausgemacht haben. Die Konjunktur zieht jedenfalls an, die deutsche Wirtschaft brummt und spült so neben weiteren Positionen unter anderem 2,6 Milliarden Euro mehr Lohnsteuer (39 Milliarden insgesamt), 1,1 Milliarden Euro mehr Einkommensteuer (11,8 Milliarden Euro insgesamt), 100 Millionen Euro mehr Soli (3,57 Milliarden insgesamt) und 1,3 Milliarden Euro mehr Umsatzsteuer (50,5 Milliarden insgesamt) in die Kassen.

Bezogen auf den Straßenverkehr und die damit verbundene Abnutzung sinkt zwar die Kfz-Steuer aufgrund des hohen technischen Stands unserer Autos um satte 19,2 Prozent auf 1,86 Milliarden Euro im Vergleich zum ersten Quartal 2013, aber die Mineralölsteuer (ohne Heizöl und Erdgas) ist um 3,4 Prozent auf 3,87 Milliarden Euro gestiegen. Mittel für Sanierungsmaßnahmen wären demnach grundsätzlich vorhanden. Allerdings fehlt es an einer Zweckbindung der Steuereinnahmen. Der Staat ist nämlich frei in der Verwendung der Mittel.

Ein Umstand, der unzählige Ratgeber auf den Plan ruft. So fordert das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) mit den Mehreinnahmen zuallererst die kalte Progression auszugleichen, also die Steuermehrbelastung des einzelnen, die dann entsteht, wenn der Staat sich über Gebühr an jenen Einkommenszuwächsen bereichert, die eigentlich steigende Lebenshaltungskosten ausgleichen sollen. Die Beseitigung der kalten Progression würde den Bund circa vier bis fünf Milliarden Euro kosten, schätzt Rolf Kroker vom IW.

Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, möchte die Mehreinnahmen eher in die Infrastrukturen investiert sehen. Der Bund will nun fünf Milliarden jährlich draufsatteln. Dem Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI) Thomas Straubhaar geht das alles noch nicht weit genug. Er fordert den großen Wurf. Ein nationaler Infrastrukturfonds im Umfang von wenigstens 50 Milliarden Euro sol her. Wobei das aktuelle Niedrigzinsniveau genutzt werden müsse. Im Klartext: Es sollen weitere Schulden gemacht werden. Doch über Anleihen solle auch privates Kapital akquiriert werden.

Verschwendung und Mangel an Qualitätsprüfung

Die Infrastruktur des Industriestandorts ist ein Nadelöhr. Mit durchschnittlich 1,8 Kilometer Straßennetz je Quadratkilometer hat das dicht besiedelte Deutschland die weltweit höchste Verkehrswegedichte nach Japan. Deren Belastung erfolgt nicht nur durch deutsche Fahrzeuge, sondern auch durch den Transitverkehr, weshalb Bayern im vergangenen Jahr so hartnäckig die Ausländer-Maut einforderte. Eines der Hauptprobleme beim Investitionsbedarf in die Infrastrukturen ist nach Ansicht des Bundes der Steuerzahler nicht die Abnutzung, sondern die Verschwendung von Mitteln durch „viel zu lässige“ Bauplanungen und den Umgang mit etwaigen Mehrkosten bei Bauverzögerungen. Relikte glatter Fehlplanungen sind die berüchtigten „So da“-Brücken, die in den siebziger und achtziger Jahren zu einem „Schnäppchenpreis“ für noch nicht abgeschlossene und später gekippte Straßenbauplanungen zu haben waren. Skurrilitäten gibt es auch heute noch. So hat der Vorplatz von Darmstadts Hauptbahnhof trotz Kritik ein neues Natursteinpflaster erhalten, das den Belastungen des Busverkehrs nicht standhielt und für 300.000 Euro ausgetauscht werden mußte. Bereits mehrfach wurden Kreisverkehre gebaut, die für längere Schwerlasttransporte wie etwa für Windkraftanlagen unpassierbar sind.

Ein Problem sieht die Gesellschaft für Technische Überwachung (GTÜ) aber auch in dem Mangel an Qualitätsprüfung. 70 Prozent aller Schäden an Bauprojekten träten noch während der Gewährleistungszeit auf, so GTÜ-Sachverständiger Peter Jens Wagner gegenüber der Welt.

Doch nicht allein die Straßen sind betroffen. Auch die Wasserwege sind unterfinanziert. Der Zustand des 1895 fertiggestellten Nord-Ostsee-Kanals etwa ist erbarmungswürdig. Rund 35.000 Schiffe passieren jedes Jahr die weltweit meistbefahrene künstliche Wasserstraße.

Gerade einmal 1,9 Milliarden Euro fließen jedes Jahr in den Unterhalt der 7.700 Kilometer deutscher Wasserstraßen und 330 Schleusen. Und auch die Bahn sieht sich mit vier Milliarden Euro Investitionen in das deutsche Schienennetz unterfinanziert.

Wie gülden das deutsche Füllhorn auch aussehen mag, es reicht vorne und hinten nicht. Kritiken vom Bund der Steuerzahler und auch des Bundesrechnungshofes bezüglich Bauplanung und Risikoverteilung sind daher besonders ernst zu nehmen.

Foto: Straßenbauprojekt in Berlin: Die Infrastruktur leidet, obwohl alleine durch Maut, Energie- und Kfz-Steuer Milliarden zusammenkommen, die aber für soziale Wohltaten zweckentfremdet werden

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