© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/14 / 02. Mai 2014

Die Spreu vom Weizen trennen
Organisierte Kriminalität: Rocker stehen in der Öffentlichkeit oft allein am Pranger, laut Zahlen des BKA liegen sie jedoch am unteren Ende der Verbrechensskala
Josef Hämmerling

Rocker – sie sind derzeit eines der Hauptthemen in den deutschen Medien. Kaum ein Tag vergeht ohne Berichte über die Gefährlichkeit der verschiedenen Motorradclubs (MC’s). Gemeint sind damit in erster Linie die Hells Angels, die Bandidos, der Gremium MC, Mongols und der aus Holland nach Deutschland expandierende Satudarah MC. Vor allem heißt es auch immer wieder, die vorgenannten Clubs seien stark in die Organisierte Kriminalität (OK) verwickelt und dadurch besonders gefährlich.

Schaut man aber in die offizielle Statistik, sieht es schon wieder ganz anders aus. Denn danach ist die Kriminalitätsrate der Rocker gesunken, zum Teil sogar sehr deutlich. So heißt es im aktuellen Lagebericht des Bundeskriminalamts Organisierte Kriminalität 2012 wörtlich: „Im Jahr 2012 richteten sich 26 OK-Verfahren (4,6 Prozent) gegen Angehörige von Rockergruppierungen (2011: 32, 2010: 35, 2009: 21, 2008: 15).“

Die großen MCs waren wie folgt betroffen: Hells Angels 10 (2011: 20), Bandidos 7 (2011: 6), Gremium gegenüber dem Vorjahr unverändert vier und ebenfalls unverändert Mongols mit einem. 26 von 568 OK-Verfahren.

Inflationäre Razzien suggerieren Notlage

Wichtig ist die Formulierung: Die Ermittlungsverfahren richteten sich nicht gegen die MCs selbst, sondern gegen Angehörige der Gruppierungen. Wenn man bedenkt, daß die Polizei die Mitgliederzahl bei den Hells Angels auf bundesweit etwa 1.000 Personen schätzt, wird also gerade einmal gegen ein Prozent der Mitglieder der Höllenengel im Bereich der Organisierten Kriminalität ermittelt. Anders ausgedrückt: Bei 990 der Mitglieder gibt es keinerlei Erkenntnisse, daß sie der OK angehören.

Fragt man Staatsanwaltschaft und die Gerichte nach genauen Zahlen, wie viele Rocker denn nun wirklich verurteilt wurden, heißt es immer, diese Zahlen habe man nicht vorliegen, da viele ja in die nächste Instanz gehen würden.

Laut BKA-Lagebericht gab es 2012 darüber hinaus 31 Ermittlungsverfahren (2011: 25) gegen OK-Gruppierungen mit Verbindungen zu Angehörigen von Rockergruppierungen. Also wieder nicht mit Verbindungen zum MC selbst, sondern erneut gegen Angehörige der MCs, die damit also indirekt in diese Verfahren eingebunden waren. Schwerpunkte waren Rauschgifthandel und -schmuggel, Gewaltkriminalität, Zuhälterei sowie Waffenhandel und -schmuggel.

Zusammengenommen sind dies knapp zehn Prozent der OK-Verfahren. Mit 210 Verfahren (37 Prozent) bildet der Rauschgifthandel (vorrangig Kokain und Cannabis sowie Heroin und synthetische Drogen) den Schwerpunkt der Organisierten Kriminalität. Gefolgt von Eigentumskriminalität sowie der Kriminalität im Zusammenhang mit dem Wirtschaftsleben, die beide je 75 (13,2 Prozent) Verfahren auf sich vereinen.

Wie sieht es denn mit der sonstigen Kriminalität aus? Die in den vergangenen Wochen veröffentlichten Kriminalitätsberichte des Bundesinnenministeriums und der Länderinnenministerien berichten nichts über Rocker. Selbst in Berlin, wo laut Medienberichten die Rockerszene besonders gefährlich sei, findet man in der Kriminalstatistik für 2013 nicht ein Wort über die auch als Outlaw Motorcycle Gangs bezeichneten Motorradclubs. Zahlen gibt es aber für 2011. Danach wurden in diesem Jahr in Berlin 494.385 Straftaten registriert. Laut Aussagen des Berliner Polizeisprechers Stefan Redlich im Magazin Bikers News gab es im gleichen Zeitraum 506 Ermittlungsverfahren gegen Rocker sowie 63 Festnahmen und 36 Haftbefehle. Selbst falls jedes Ermittlungsverfahren auch zu einer Strafe geführt hätte, wären dies gerade einmal 0,1 Prozent aller Straftaten gewesen!

Bestätigt wird dies durch die in der Vergangenheit schon fast inflationär zugenommenen Razzien sowohl in den Clubhäusern als auch den Wohnungen der Rocker. Wann gab es das letzte Mal Drogenrazzien mit einem Einsatz mehrerer hundert Beamter? Und das, obwohl es alleine in Berlin 2013 fast 13.500 erfaßte Fälle im Bereich der Drogendelikte gab. Dafür durchsuchten am 27. August 2013 rund 280 Beamte in Berlin den Germanenhof und die Wohnungen von Mitgliedern der Hells Angels – ohne jegliche Funde! Nach Angaben Redlichs gibt es auch keine Hinweise, daß diese Razzia vorher durch ein Leck nach draußen drang. Nicht viel anders sah es bei einer bundesweiten Razzia am 29. August aus, bei der 450 Beamte eingesetzt wurden, aber lediglich drei Personen vorläufig festgenommen wurden.

Besonders auffällig ist, daß es gerade in den Wochen vor der Bundestagswahl sehr viele Razzien bei Rockern gab, diese nach der Wahl aber deutlich abflauten. Ein Grund dürfte sein, wie auch aus vertraulichen Informationen aus Polizeikreisen verlautete, daß Razzien gegen Rocker sehr medienwirksam sind und stets eine umfangreiche Berichterstattung nach sich ziehen.

Problem der Streetgangs wird vernachlässigt

Gerade die MCs mit dem martialischen Auftreten mit Kutte und schweren Motorrädern sind dazu bestens geeignet. Mitglieder der Mafia zum Beispiel tragen keine äußerlichen Insignien. So kümmert es die Polizei sowie die Innenministerien überhaupt nicht, für Razzien Kosten in Millionenhöhe zu verursachen, Fragt man die Pressestellen gezielt nach den Kosten, so kommt immer die gleiche Antwort: „Zahlen werden nicht erhoben.“

Etwas ehrlicher ist die Polizei Düsseldorf, die auf Nachfrage, warum denn Kosten für Polizeieinsätze bei außer Kontrolle geratenen Facebook-Partys oder Bombendrohungen bekannt gemacht werden, erklärte: „Bei den angesprochenen Sachverhalten geht es nachrangig immer um die Frage des Schadenersatzes und den Privatklageweg. Hier ist es wichtig und nachvollziehbar, die Kosten eines Einsatzes von Feuerwehren und Polizei transparent zu machen.“ Dabei wäre es für die Öffentlichkeit sehr interessant, zu erfahren, was diese sehr oft erfolglosen Rocker-Razzien kosten.

Laut der hessischen Gebührenordnung werden dem Veranstalter für eine außer Kontrolle geratene Facebook-Party folgende Kosten in Rechnung gestellt: Der Einsatz eines Polizeibeamten im gehobenen Dienst kostet demnach 60 Euro die Stunde, der Streifenwagen 65 Cent pro Kilometer und ein Polizeihubschrauber 600 Euro je 15 Minuten.

Natürlich kann man das nicht eins zu eins umrechnen, aber zumindest ungefähr. Geht man einmal von einer zweistündigen Dauer der Berliner Razzia am 27. August 2013 aus, sind es alleine rund 33.600 Euro für den Einsatz der Polizeibeamten. Da fallen die etwa 1.000 Euro für die Streifenwagen kaum noch ins Gewicht. Am 29. August waren es Kosten von ungefähr 54.000 Euro für die Polizisten und etwa 2.000 Euro für die Streifenwagen. Ob es noch Kosten für eventuell eingesetzte Hubschrauber oder sonstiges gab, ist nicht bekannt. Aber alleine diese beiden Einsätze kosteten den Steuerzahler mindestens um die 90.000 Euro (eher sogar mehr, da bei einem Beamten eines Sondereinsatzkommandos der Stundensatz deutlich höher als 60 Euro liegen wird). Rechnet man hoch, wie viele Razzien es in den vergangenen Monaten gab, kommt man leicht auf einen Millionenbetrag.

Richtig ist, daß die MCs zum Teil selbst schuld an ihrem Image sind. Gerade in den Chaptern der Städte mit großem Rotlichtmilieu gab es zuletzt Verteilungskämpfe. Dabei nahmen viele MCs verstärkt auch ausländische Mitglieder auf, denen es nur um Geld und Einfluß ging. Die alten Traditionen wie das Prinzip der Bruderschaft und selbst das Motorradfahren gelten ihnen nichts mehr – und der in den jeweiligen Clubs geltende Ehrenkodex erst recht nicht. Da fällt es zunehmend schwer, die Spreu vom Weizen zu trennen.

So gab es in vielen Rockerclubs zum Teil massive interne Auseinandersetzungen bis hin zu Schlägereien zwischen den Alten und den, wie sie genannt werden, jungen Wilden. Medienberichten zufolge trafen sich vor kurzem sogar führende Hells Angels aus ganz Europa in Luxemburg, um über diese Problematik zu sprechen. Dabei kam es auch zu Chapter-Auflösungen bei einigen der Clubs. So lösten zum Beispiel die Angels am 25. März 2014 ihre Berliner Chapter auf.

Ein Problem stellen dagegen die vielen Streetgangs dar, wie etwa die Black Jackets oder die Pistons, die mit den traditionellen Rockerclubs absolut nichts gemein haben, in den Medien aber oftmals mit ihnen in einen Topf geworfen werden. Dabei besitzen die Mitglieder dieser Streetgangs meist noch nicht einmal ein Motorrad. Sie sind, auch für die Öffentlichkeit und den Normalbürger, eine weitaus größere Gefahr als Rocker, da jeder ihr Opfer werden kann, der im falschen Moment am falschen Ort ist. Denn ihnen geht es ausschließlich um Geld. Zu unterscheiden sind sie einfach: Denn während Rocker praktisch immer ihre Kutten oder zumindest Clubkleidung tragen, ist bei den Mitgliedern von Streetgangs Zivilkleidung angesagt. So sagt dann auch der Sprecher des Outlaws MC, Mike: „Wir sind schon von weitem zu erkennen, das zeigt doch schon, daß wir keine mafiösen Strukturen haben, denn dann würden wir uns so unauffällig wie möglich verhalten.“

Foto: Mehrere hundert Biker protestierten im September 2009 in Kiel gegen ein generelles Verbot von Kutten: Kritik an der Diskrimierung und „Null-Toleranz-Strategie“ der Behörden

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