© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/14 / 02. Mai 2014

Ein verblaßter Stern
Musik: Zum 150. Todestag des heute nur noch selten aufgeführten Komponisten Giacomo Meyerbeer
Wiebke Dethlefs

Selten wurde ein Komponist zu Lebzeiten so bewundert wie Giacomo Meyerbeer. Zwischen 1830 und zumindest bis zum Ersten Weltkrieg galt er als einer der bedeutendsten Musiker der Epoche. Selten aber auch ging es bei einem Künstler solchen Ansehens wenige Jahrzehnte nach dem Tod mit der Reputation so schnell bergab wie bei ihm. Heute schwankt sein Bild „von der Parteien Gunst und Haß verwirrt“. Mit dem Ende des Ersten Weltkriegs war Meyerbeer fast von den Bühnen verschwunden, die Jahre des Dritten Reiches gaben ihm vollständig den Rest. In der Nachkriegszeit setzten wiederholt Renaissance-Versuche ein, doch konnte sich keines der vier Opernhauptwerke Meyerbeers mehr im Repertoire halten. Warum ist das so?

Schumann und Wagner fühlten sich abgestoßen

Er war ein „Phantom der Operngeschichte“, das die „Einheit von Kunst und Kapital mythisiert hat“, wie es Ulrich Schreiber ausdrückte. Der 1791 geborene Sohn der vermögenden jüdischen Bankiersfamilie Beer aus Berlin studierte bei Abbé Vogler in Darmstadt zusammen mit Carl Maria von Weber, dem er bis zu dessen frühen Tode verbunden blieb. 1816 ging er nach Venedig und 1831 nach Paris, von wo er als Opernkomponist fast vierzig Jahre in der europäischen Musikwelt eine dominierende Rolle einnahm. Goethe äußerte gegenüber Eckermann 1827, daß nur einer seinen „Faust“ vertonen könne, „der wie Meyerbeer (…) seine deutsche Natur mit der italienischen Art und Weise verbände“.

Der preußische König Friedrich Wilhelm III. machte Meyerbeer 1832 zum Hofkapellmeister, 1842 avancierte er zum Preußischen Generalmusikdirektor, wobei er sich aber immer nur kurze Zeit in Berlin aufhielt. In dieser Funktion komponierte er 1861 für die Krönung Wilhelms I. in Königsberg einen blechgepanzerten Krönungsmarsch.

Europaweiten Ruhm erzielte er insbesondere mit vier Opern: „Robert le Diable“ (1831), „Les Huguenots“ (1836), „Le prophète“ (1849) und mit der nachgelassenen Schöpfung „L’Africaine“ (1865). Die Wirkung dieser Werke auf die Zeitgenossen rührte aus ihrer effektvollen Mischung von Historienspektakel und Schauerromantik („Robert le Diable“), von religiöser Verzückung und Liebe („Les Huguenots“, „Le prophète“) und auf Exotismen („L’Africaine“).

In der Dramaturgie des suggestiven Geschehens wechseln bühnentechnisch effektvolle Szenerien von deutlich kontrastierendem Charakter. Musikalisch greift Meyerbeer dabei immer wieder auf das Gesetz der Gegensätze zurück und erzielte mit einer zugegeben penetranten Mischung von Trinklied und Gebet, bacchantischen Tanzszenen und Chören, protestantischen Chorälen, gesucht raffinierten Exaltierungen und volksliedhaft einfachen Ariosi damals sensationelle Wirkungen.

In der Führung der Singstimmen wechseln französische und italienische Elemente. Schumann und Wagner fühlten sich davon abgestoßen. Daß einem so „deutsch-innigen“ Gemüt wie Schumann das künstlerische Wesen mißfallen mußte, liegt auf der Hand. Wagner sprach zwar in „Oper und Drama“ mit Blick auf Meyerbeer von „Wirkung ohne Ursache“, ließ sich aber trotz aller musikalisch wie auch antisemitisch begründeten Abneigung gegen Meyerbeer durch dessen Massenszenen und Aufmärsche zu seinem „Rienzi“ (1842) antreiben – von dem einst ironisch gesagt wurde, daß er Meyerbeers beste Oper sei.

Doch man darf nicht vergessen: Meyerbeer beherrschte sein Handwerk in hohen Graden, insbesondere in der Orchesterbehandlung. Mit scharfem Ohr setzt er pointiert die Sprache und Klangfarbe jedes Instruments ein. Eine Vorliebe hat er für klanglich besonders delikate Instrumentalkombinationen, wie beispielsweise in der Kirchenszene im „Prophet“, wo er drei Flöten und Englisch-Horn mit den dreifach geteilten tremolierenden Violinen kombiniert. Sein Lieblingsinstrument (wie auch das Carl Maria von Webers) ist die Klarinette, der er besonders in den tiefen Lagen neue Klangwirkungen entlockt, wie er auch die Behandlung der Blechbläser revolutioniert. Und trotz größten instrumentalen Aufwands werden die Sänger auch in den großen Chor- und Massenszenen nirgendwo vom Orchester erdrückt.

Für Meyerbeer typische Stilelemente gibt es nicht

Demgegenüber steht eine merkwürdige Schwäche in der Melodieführung. Allerorten trifft man bei Meyerbeer in den Szenen und Arien auf sangbare Themen – nur keines davon behält man im Ohr. Typisch Meyerbeersche Stilelemente, an denen sich der Komponist erkennen ließe, gibt es nicht. Bezeichnenderweise erscheint auf Sampler-CDs mit beliebten Opernarien so gut wie nie ein Meyerbeer-Stück.

Meyerbeer ist heute ein mehr als verblaßter Stern am Musikerhimmel. Denn er hatte das Pech, daß gleich nach ihm mit Wagner ein ungleich Größerer die Gattung Oper bediente. Ein Größerer, der in seinen Sujets mit mehr psychologischem Raffinement und mit ungeheuer weitgespannter Gefühlsbreite und sicherlich auch größerer orchestraler Pracht die Welt seiner Protagonisten gestaltete. Und vielleicht auch, weil man um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert zumindest in Deutschland Meyerbeer – dem Juden – ankreidete und neidete, immer erfolgreich und vermögend gewesen zu sein, und ihm dabei auch künstlerisch keine gerechte Beurteilung zuteil werden ließ. Dabei verstand Meyerbeer sich ebenso als Italiener und Franzose, als musikalischer Kosmopolit. Doch anscheinend ist es ihm nicht gelungen, alle diese Wurzeln zu einem ausgewogenen Ganzen zu vereinen, in einer individuell-profilierten Tonsprache zu verdichten.

Doch um zu einer gerechten Würdigung zu kommen, muß man sich mit ihm näher beschäftigen – zum Beispiel durch das Hören seiner Opern.

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