© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/14 / 02. Mai 2014

Prunk und Ethos
Asfa-Wossen-Asserate porträtiert Haile Selassi, den letzten Kaiser von Äthiopien
Wolfgang Kaufmann

Asfa-Wossen Asserate, geboren 1948 in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba und 1981 in Deutschland eingebürgert, ist zweifellos eine Bereicherung für unser Land. Zum einen konnte der Historiker, Unternehmensberater und Autor bereits mit bemerkenswert tiefgründigen Werken wie „Deutsche Tugenden“ oder „Manieren“ brillieren – letzteres wurde 2004 dann auch zu Recht mit dem Adelbert-von-Chamisso-Preis ausgezeichnet. Zum anderen beeindruckt sein unaufgeregter, aber durchaus effektiver Einsatz für eine sinnvolle Entwicklungshilfe für Afrika.

Prüfungen zu erleiden wie kein zweites Land in Afrika

Nun erschien Asserates drittes größeres historisches Buch, in dem er das Leben des letzten äthiopischen Kaisers nachzeichnet und zugleich auch tiefere Einblicke in wenig bekannte Aspekte der Geschichte des 20. Jahrhunderts bietet. Das erfordert von ihm allerdings eine komplizierte Gratwanderung zwischen wissenschaftlicher Distanz und angemessener Würdigung der Verdienste von Ras Tafari Makonnen (1892–1975), der im November 1930 als Haile Selassie I., Kaiser von Abessinien und Negusa Negest („König der Könige“) sowie „Siegreicher Löwe des Stammes Juda“ den Thron bestieg und diesen dann 44 Jahre lang innehatte.

Der Autor trägt nämlich selbst die Titel „Prinz“ und „Kaiserliche Hoheit“, weil sein Vater, Ras Asserate Medhin Kassa, nicht nur Vizekönig von Eritrea und Präsident des Kronrates sondern auch ein Neffe des Monarchen gewesen war. Und das macht den promovierten Deutsch-Äthiopier zu einem potentiellen Anwärter auf den Thron in Addis Abeba, sollte das ostafrikanische Land eines Tages zur Monarchie zurückkehren, denn viele der näheren Verwandten von Haile Selassie, darunter seine sämtlichen Söhne, sind inzwischen tot.

Darum läßt Asserate nichts unversucht, sowohl das Kaisertum als auch die Person des letzten Throninhabers so positiv wie möglich zu zeichnen, zum Beispiel durch das Eingehen auf die intensiven Modernisierungsbemühungen der „Macht der Dreifaltigkeit“, wie Haile Selassie wörtlich übersetzt heißt, und den Verweis auf dessen antifaschistisches und antikoloniales Engagement.

Andererseits ist der Großneffe des letzten Kaisers von Afrika aber auch diplomatisch genug, keine reine Lobpreisung des Autokraten vorzulegen, der alles daransetzte, den traditionellen Feudalstaat Äthiopien in eine Erbmonarchie umzuwandeln, und sich selbst als „Auserwählter Gottes“ und Abkömmling von König David sowie Jesus Christus präsentierte. Vielmehr versucht er Verständnis für die Politik Haile Selassies zu wecken, indem er schildert, wie das Kaiserreich Abessinien in den Strudel der Zeitläufte hineingerissen wurde und dabei Prüfungen zu bestehen hatte wie kaum ein zweites afrikanisches Land.

Die Alliierten ließen Mussolini 1935 gewähren

So fiel Italien am 3. Oktober 1935 mit fast 500.000 Mann, 500 Panzern und 350 Flugzeugen in Äthiopien ein, wonach der eiligst angerufene Völkerbund das Aggressionsopfer schmählich im Stich ließ. Ursache hierfür war das Bemühen Großbritanniens und Frankreichs, Mussolini zu einem Bündnis gegen Hitler zu bewegen. Äthiopien bezahlte für den Verrat seitens seiner „Schutzmächte“ mit 760.000 Toten – viele der Opfer waren Zivilisten beziehungsweise Geistliche und starben infolge von Giftgaseinsätzen oder bei der Racheaktion nach einem mißglückten Anschlag auf den „Vizekönig“ Rodolfo Graziani, welche fünfzigmal so viele Menschenleben forderte wie die deutsche Vergeltung für das Attentat auf Reinhard Heydrich im Protektorat Böhmen und Mähren 1942. Im Kampf gegen die Italiener griff der Kaiser übrigens auch höchstpersönlich zu den Waffen und feuerte in seinem Hauptquartier in Dessies mit einer Oerlikon-Fliegerabwehrkanone auf die angreifenden Bomberverbände.

Nachdem Mussolini am 10. Juni 1940 in den Krieg gegen Großbritannien und Frankreich eingetreten war, unterstützten die Briten Haile Selassie zwar bei der Rückeroberung Äthiopiens, versuchten es aber gleichzeitig in ein Protektorat mit extrem eingeschränkter Souveränität zu verwandeln. Symptomatisch für die Haltung Londons war die Antwort eines britischen Offiziers gegenüber einer alten Frau, die den „Befreiern“ danken wollte: „Ich habe es nicht für dich getan, Nigger!“ Der Kaiser, der ab Sommer 1941 wieder in Addis Abeba residieren konnte, quittierte dies mit einer Hinwendung zu den USA, auf die Roosevelt ausgesprochen positiv reagierte, woraufhin Amerika dann die treibende Kraft beim Wiederaufbau Äthiopiens wurde.

Ebenso erhellend sind Asserates Ausführungen über die Ursachen des zunehmenden Popularitätsverlustes von Haile Selassie ab Mitte der fünfziger Jahre. So wendet er sich dezidiert gegen die Schmähschrift des polnischen Journalisten Ryszard Kapuściński mit dem Titel „König der Könige“, in der dem Kaiser vor allem persönliche Bereicherung vorgeworfen wird. Asserates Meinung nach war der Monarch aufgrund seines Alters zunehmend außerstande gewesen, die wachsenden Herausforderungen – vor allem infolge der Separationsbestrebungen Eritreas sowie der dramatischen Hungersnot von 1973 – zu bewältigen.

Haile Selassies Herrschaft endete schließlich durch den Militärputsch vom 12. September 1974. Diesem folgten bald darauf Massaker an der bisherigen Führungselite, wie das vom November 1974, in dessen Verlauf auch Asserates Vater den Tod fand. Der Kaiser überlebte noch bis zum 28. August des Folgejahres und starb dann ebenfalls durch Mörderhand, wonach ihn die neuen Machthaber mit demonstrativer Pietätlosigkeit unter den Dielenbrettern einer Palasttoilette verscharrten. Anschließend regierte Mengistu Haile Mariam das Land bis 1991 im sowjetkommunistischen Stil, was weitere 500.000 Äthiopier das Leben kostete.

Asfa-Wossen Asserate: Der letzte Kaiser von Afrika. Triumph und Tragödie des Haile Selassie. Propyläen Verlag, Berlin 2014, gebunden, 416 Seiten, Abbildungen, 24,99 Euro

Fotos: Der äthiopische Kaiser zu Gast in Bonn mit Bundespräsident Heuss und Bundeskanzler Adenauer: Nach 1941 Verbündeter des Westens; Haile Selassie zieht 1935 in den Krieg: Höchstpersönlich zu den Waffen gegriffen

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