© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/14 / 09. Mai 2014

Pankraz,
E. Waugh und die reaktionären Dichter

Gleich vier ansehnliche Neu-Editionen mit Werken von Evelyn Waugh hat der Diogenes-Verlag in Zürich jetzt auf den Weg gebracht: das legendäre „Wiedersehen mit Brideshead“, den satirischen Journalistenroman „Scoop“, den tragikomischen Oberlehrerroman „Scott-Kings moderne Welt“ und einen dicken Band mit kürzeren Meistererzählungen unter dem Titel „Ausflug ins wirkliche Leben“. Eine geballte Ladung prächtigster neuerer Literatur also, aber das Unternehmen sieht – zumindest im ersten Augenblick – doch eher wie ein verlegerisches Selbstmordunternehmen aus.

Evelyn Waugh nämlich (1903–1966), der Autor all dieser schönen Sachen, hat zur Zeit und schon seit längerem zumindest hierzulande eine ganz schlechte Presse, trotz der seinerzeit sehr erfolgreichen Fernsehserie „Wiedersehen mit Brideshead“, die nach dem Buch von Waugh gestaltet wurde. Man schimpft ihn (sofern man seinen Namen überhaupt noch in den Mund nimmt) einen „Rassisten“, „frühen Antifeministen“, gar „Antisemiten“, macht sich krampfhaft lustig über seine „aristokratischen Allüren“ und über seinen späten Übertritt zur katholischen Kirche.

Die TV-Serie „Wiedersehen mit Brideshead“ kam bei uns 1983 überhaupt nur ins Fernsehen – wie zuverlässig überliefert ist –, weil der weltberühmte Mime Sir Laurence Olivier darin eine Hauptrolle spielt. Andere in der übrigen Welt beliebte Filme und Serien nach Werken von Waugh, etwa „A Handful of Dust“ mit Alec Guinness oder „The Loved One“ mit Rod Steiger und John Gielgud, bekamen vom hiesigen Vertrieb keine Chance, von der Kritik zu schweigen.

Nun muß man einräumen: Auch schon vor dem Aufkommen der Political Correctness war das Interesse an Evelyn Waugh in Deutschland immer etwas gedämpft, um es vorsichtig auszudrücken; er glich darin Gestalten wie G. K. Chesterton oder C. S. Lewis. Der verstorbene Berliner Theaterkritiker Friedrich Luft, den Pankraz einmal nach den Gründen dafür befragte, antwortete sinngemäß: „Diese Mischung aus britischem Gentleman und katholischer Betschwester geht uns eben einfach auf die Nerven. Entweder – oder. Sonst wird es schnell komisch. Solchen Leuten glaubt man ihr Genie einfach nicht.“

Immerhin räumte Luft ein, daß Waugh in seiner Art tatsächlich ein Genie gewesen sei. Man war sich einig: Waugh bietet Lesevergnügen pur, und zwar auf höchstem Niveau, man überschlägt keine einzige Seite bei ihm, es gibt keine Durchhänger, man ist auf jeden neuen Satz gespannt. Und sein Gespür für witzige, nuancenreiche Dialoge ist phänomenal, ob es nun Bühnenstücke sind oder Romane, ob die Handlung in Zeitungsredaktionen voller sensationsgeiler Zeilenschinder spielt oder in hochvornehmen Bestattungsinstituten, wo man mit Worten eher karg umgeht.

Waugh hatte Humor, makabren Humor, dem aber stets ein Moment von heiligem Ernst beigemischt war. Dieser Sohn eines reichen Londoner Verlegers und Offiziers des Ersten Weltkriegs taugte sehr zum Kritiker der britischen High Society, der er angehörte und deren Macken er genau kannte; doch sein Anliegen war nicht Sozialkritik, sondern Kulturkritik. Er mißtraute dem linearen Fortschritt, ja dem immanenten Sinn menschlicher Existenz im ganzen. Es ging ihm nicht um Inhalte, sondern um „die Form“. So wurde er am Ende seines Lebens noch zum scharfen Kritiker des Zweiten Vatikanischen Konzils.

Heute nun, da das Verständnis für elitäre literarische Außenseiter à la Botho Strauß vollständig verschwunden ist, erscheint Evelyn Waugh, wenn er überhaupt noch irgendwo genannt wird, nur noch als Unhold. In Gero von Wilperts einflußreichem Lexikon der Weltliteratur wird er als „radikalkonservativer Zyniker“ beschrieben – ein vernichtenderes Urteil gibt es zur Zeit nicht. Und anschließend erfahren wir, daß wir es hier mit einem Verfasser von „überdeutlicher, farcenhafter Satire“ zu tun haben, der das moderne Leben nur noch als „Kuriositätenschau“ wahrnehme, als „absurd-phantastische Sinnlosigkeit“.

Kein Leser, der eventuell Lust bekommen hat, nach einem der neuen Diogenes-Bände zu greifen, sollte sich durch derlei Lexikontöne davon abhalten lassen. Evelyn-Waugh-Lektüre lohnt immer, heute mehr denn je. Sie bereitet Vergnügen, evoziert Bewunderung für stilistische Kabinettstücke, vermittelt interessante Erfahrungen, die man anderswo nicht findet. Man kann den Verlag nur ermuntern, den jetzigen vier Neu-Editionen bald weitere desselben Autors folgen zu lassen.

Manche Stücke liegen natürlich schon, tipptopp übersetzt, bei Diogenes auf Lager, so die Romane „Lust und Laster“ („Vile Bodies“), „Schwarzes Unheil“ („Black Mischief“), „Eine Handvoll Staub“ („A Handfull of Dust“). Aber was ist mit Büchern wie „Tod in Hollywood“ (letzte deutsche Übersetzung 1950), „Helena“ (1951)? Was mit den vielen großen Reisereportagen, die Waugh geschrieben hat, was mit den Biographien über diverse Berühmtheiten des Globus, was mit den Tagebüchern des Dichters mit wichtigen autobiographischen Auskünften?

Sicherlich, unter den derzeitigen Umständen wäre die Herstellung einer deutschen Evelyn- Waugh-Gesamtausgabe wohl ein beträchtliches geschäftliches Risiko. Doch interessierte Kunden fänden sich mit Sicherheit, vielleicht sogar in befriedigender Menge. Unterhaltung und Vergnügen für die Käufer wären ja garantiert. Nur müßten sie damit rechnen, von linken Dumpfbacken gelegentlich angerüpelt und als Reaktionär beschimpft zu werden.

Aber wie schreibt Botho Strauß in seinem jüngsten Buch? Der kluge Reaktionär, heißt es da, steht nicht für stumpfsinniges Bewahren von zufällig erworbenen Privilegien oder auch echten historischen Errungenschaften um jeden Preis, nein, er steht für ein aktives Sichkümmern um das, was immer war und was man früher „das Ewige“ nannte, eben das ewig Gestrige. Bei Evelyn Waugh heißt dieses Ewige „die Form“.

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