© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/14 / 09. Mai 2014

Die Hölle siedelt im Paradies
Tiere und Gespenster: Der Actionthriller „Zulu“ führt das heutige Südafrika vor
Sebastian Hennig

Das Presseheft läßt ahnen, in welche Bahnen die synchonisierte Fassung von „Zulu“ das Nachdenken leiten wird. Ein verstörend vielschichtiger Film mündet dort letztlich in die eindimensionale Anklage des verflossenen Apartheid-Regimes. Das Einprügeln auf einen toten Koloß befreit aber nicht von der gegenwärtigen Bedrohung. Zumal die Zustände in Südafrika als Mahnung für Europa taugen.

Die hohe Kultur der Synchronisation im deutschen Filmwesen mit seiner mimetischen Durchdringung bringt auch die Gefahr eines Umdichtens mit sich. Seine ganze betörende Gewalt kann dieser Film nur in der Originalfassung mit Untertiteln entfalten. Die Unterhaltungen und Zurufe in Englisch, Afrikaans und Zulu tragen ganz wesentlich zur Stimmung bei. Sie beschreiben die Personen und ihre Stellung zueinander.

„Zulu“ ist zunächst einmal ein Actionfilm mit Lokalkolorit und als solcher erfüllt er alle Gattungsmerkmale. Doch wenn es sich unbestritten um Mainstreamkino handelt, verfügt es doch hier über eine ganze Reihe von Wirbeln und Strudeln im Hauptstrom seines Erzählens. Der gleichnamige Roman von Caryl Férey liegt dem Drehbuch zugrunde. Bei aller Fiktionalität bleibt die Ausgangslage tatsächlich so haarsträubend, daß Übertreibung unnötig und abschwächend wirken würde. Der Schriftsteller meint: „Wenn man Noir-Romane schreibt, ist Südafrika ein Geschenk Gottes.“ Er meint den Kontrast, den die Schönheit von Licht und Vegetation zur abgründigen Gewalt einnimmt. Der Film spielt das nach allen Regeln seiner Kunst aus. Die Hölle siedelt inmitten des Paradieses. Die Schönheit ist des Schrecklichen Anfang, Mitte und Ende.

Nur zweimal wird diese Farbenpracht verdunkelt. Zu Beginn ist der Knabe Ali zu sehen, wie er Zeuge wird, als sein Vater als „Verräter“ von einem schwarzen Mob in einem Autoreifen lebendig verbrannt wird. Die nackten Füße des fliehenden Jungen werden überblendet mit den Turnschuhen des Polizeiermittlers Ali Sokhelo (Forest Whitaker) auf dem Laufrad. Dieser Mann wird der Hölle ebensowenig entkommen wie sein weißer Kollege Dan Fletcher (Conrad Kemp). Beide suchen die Verbindlichkeit und Treue in einem entfesselten Wahnsinn.

Ihr asozialer Kollege Brian Epkeen (Orlando Bloom) tritt schon gar nicht mehr fest auf. In ständiger Trance schwebt er über den Dingen, ohne dabei zum Zyniker zu werden. Die bildhübsche blonde Reiterin fragt er nach der Zeugenvernehmung: „Stehen Sie uns weiter zur Verfügung?“ Als sie das bejaht, will er wissen: „Was machen Sie heute abend?“ So regeneriert er sich aus den Umständen seiner Arbeit heraus.

Orlando Bloom ist aus der Gnomenwelt aus Peter Jacksons Trilogie „Der Herr der Ringe“, wo er Legolas verkörperte, und zuletzt des „Hobbits“ aufgetaucht und hat in der Rolle dieses Polizisten zu mitreißender Präsenz gefunden. Immer schlampig, verkatert und übellaunig, und doch elegant, zeigt er sich im Bewußtsein der eigenen Abgründe dem Abgrund des totalen Verbrechens als einziger auf Dauer gewachsen. Als der Mann des bedingungs- und fast leidenschaftslosen Wagnisses und der kühlen Präzision bleibt er zuletzt der einzige Überlebende im Wirbel der Vernichtung. Alles Bedächtigere und Feinere muß an diesen Proben zugrunde gehen.

Die zweite finstere Szene zeigt, wie die weißen Polizisten einen Hund auf den jungen Ali hetzen und dieser ihm die Männlichkeit raubt bevor er sie erreicht hat. Als seine Mutter zum Opfer des mechanischen Mordens wird, vergißt der Anhänger von Nelson Mandela zuletzt die Grundsätze der Versöhnung, die ihn bis dahin leiteten. Der Haß hetzt ihn selbst wie ein Tier auf der Spur der Bestie. So rennen zuletzt zwei Männer in die Wüste, wo beide den Tod finden.

Das ist eine Reminiszenz an die große Szene aus Erich von Stroheims Stummfilm „Greed“(1924), in welcher der Hauptprotagonist, am erschlagenen Rivalen angekettet, erkennen muß, daß allein der Tod das Ziel war, dem er so eilig zustrebte. Epkeen kommt währenddessen sogar seiner geschiedenen Frau wieder so nahe wie kaum einer dem anderen in diesem Film, nämlich ebenfalls in der Nähe zum Tod. Und in dieser Nähe tritt zugleich die ganze Erbärmlichkeit des von ihm verachteten Rivalen an ihrer Seite hervor und richtet diesen gleichsam hin.

Hier wird der Film kurz zum Liebesfilm. Ein bemerkenswertes Detail besteht darin, daß Epkeen zuletzt nicht nur seinem Freund und Kollegen ein Grab besorgt, sondern ebenso dessen Widersacher. Hier findet der Versöhnungsanspruch vor der letzten Instanz doch noch zu seinem Recht. Dieser Film unterhält und befreit weit mehr als, sagen wir: der James-Bond-Thriller „Skyfall“, in dem das Lokalkolorit ebenfalls eine Rolle spielt, oder Tarantinos „Django Unchained“.

Auch der französische Regisseur Jérôme Salle begreift seinen Film als einen Gegenentwurf zu den klassischen Rachefilmen und sieht trotz der Härten die Entwicklung in Südafrika als beispielhaft an. Salle lebt seither in Kapstadt. Den Film hat er mit Ressourcen des Landes gemacht. In der Crew gab es nur fünf Franzosen. Außer den beiden Hauptdarstellern arbeitete er nur mit einheimischen Darstellern. Einer davon hat selbst eine Vergangenheit als Gangster. Er wurde vom Drehort von seinem Bewacher abgeholt. Der Ton macht die Musik. Nicht nur im Dialog. Großen Anteil hat auch die Filmmusik von Alexandre Desplat, der schon für Terrence Malick, Stephen Frears und Roman Polanski die klangliche Stimmung erzeugte.

Von der Filmbewertungsstelle in Wiesbaden erhielt „Zulu“ das Prädikat „besonders wertvoll“.

www.zulu-film.de

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