© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/14 / 09. Mai 2014

Im Rausch der Farben
Retrospektive: Das Frankfurter Städel zeigt 140 Werke des Expressionisten Emil Nolde
Claus-M. Wolfschlag

Seit 25 Jahren wurde der bekannte Expressionist Emil Nolde in Deutschland nicht mehr in einer Retrospektive gewürdigt. Es ist das Verdienst des Frankfurter Städel-Museums, mit einer sehr umfassenden Schau nun die Vielfalt Noldes Schaffens in voller Bandbreite zu vermitteln. Die gezeigten Exponate ermöglichen dabei Einblicke in ein künstlerisches Leben, das sich allzu eindeutiger Klassifizierung entzieht.

Nolde wurde 1867 im Dorf Nolde als Hans Emil Hansen geboren. Seit 1920 liegt der nordschleswigsche Geburtsort in Dänemark, dessen Namen er 1902 nach der Heirat mit einer dänischen Schauspielerin annahm. Ungewöhnlich ist, daß Nolde vom Handwerk kam. Er absolvierte eine Lehre als Holzbildhauer, nahm Unterricht im gewerblichen Zeichnen. Erst der kommerzielle Erfolg der von Nolde aquarellierten humorvollen Bergpostkarten ermöglichte ihm, 1897 als freier Maler nach München zu gehen und in den Folgejahren Unterricht an privaten Kunstschulen zu nehmen.

Außergewöhnlich ist, daß ein solcher Quereinsteiger wenige Jahre später bereits deutschlandweit etabliert war und als Mitglied der Künstlergruppe „Brücke“ und der Berliner Secession in Kontakt mit bedeutenden Künstlern seiner Zeit stand. Schon vor dem Ersten Weltkrieg kam es zu zahlreichen Ausstellungen seiner Werke, die regelmäßig im Feuilleton besprochen wurden. 1913 nahm er an einer Neuguinea-Expedition des Reichskolonialamtes teil. In den zwanziger Jahren folgte der internationale Erfolg, zudem fanden seine Arbeiten Einzug in die Sammlungen von fast zwei Dutzend Museen.

Früher Anhänger des NS-Umbruchs

Dieser Erfolg erscheint um so bemerkenswerter, als Nolde einerseits oft aus heutiger Sicht recht brave Motive wählte, andererseits in der technischen Umsetzung für damalige Verhältnisse sperrig war. Würde man in der gegenwärtigen Kunstszene vermutlich mit bunten Blumenmotiven und Meeresstränden nicht mehr weit kommen, so überrascht es im Rückblick, daß Nolde mit seinen teils groben, fratzenhaften Porträts vor hundert Jahren Zustimmung beim Publikum fand.

Für schlichtere Gegenwartsgemüter ist Nolde mit Blick auf die deutsche Vergangenheit ein Paradoxon: einerseits NS-belastet, andererseits NS-verfolgt. Der Künstler positionierte sich früh als hoffnungsvoller Anhänger des nationalsozialistischen Umbruchs. 1933 stellte er einen Antrag auf Aufnahme in den völkischen „Kampfbund für deutsche Kultur“, ein Jahr später trat er in die „Nationalsozialistische Arbeitsgemeinschaft Nordschleswig“ ein. Viele Briefe belegen seinen Wunsch nach Teilhabe an der Gestaltung der neuen Gesellschaft. Anfänglich noch von NS-Propagandaminister Goebbels gefördert, erfüllt sich Noldes Hoffnung jedoch nicht. 1937 werden 1.102 seiner Werke aus öffentlichen Sammlungen beschlagnahmt, Arbeiten von ihm werden in der Münchner Anprangerungsschau „Entartete Kunst“ gezeigt, dem Maler wird ein Berufsverbot auferlegt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg und der erneuten Umkehrung künstlerischer Bewertungsmaßstäbe erhielt er zahlreiche Ehrungen, so daß er 1956 rehabilitiert sterben konnte.

So kann man heute unbeschwert eine Fülle an Gemälden, Aquarellen und Druckgrafiken genießen, die sehr unterschiedliche Schaffensphasen des Künstlers repräsentieren. Auf fast pointilistische Gartenszenen folgen seine in die Abstraktion gleitenden „Herbstmeere“. Schließlich findet Nolde zu jenem Expressionismus, der heute meist mit ihm verbunden wird. Der Farbenrausch mündet in eine teils flächige Malerei mit grobschlächtig umgesetzten menschlichen Gliedmaßen und Gesichtern, seien es die wilden „Kerzentänzerinnen“ von 1912 oder das fast naive Altarwerk „Das Leben Christi“. Der kunsthistorische Fokus auf diese Schaffensperiode mag ebenso dem Zeitgeist der Bundesrepublik geschuldet sein wie die heutige Bewertung seiner Militärbilder, zum Beispiel „Soldaten“ von 1913, als „sozialkritisch“.

„Ungemalte Bilder“ aus der Zeit der Berufsverbots

Viel interessanter ist der Blick auf die Motive und das Spätwerk. Nolde ist nämlich stets seiner norddeutschen Heimat verbunden geblieben. Das Meer, sei es aus Wasser oder aus Blumen, durchzieht sein gesamtes Schaffen. Hinzu kommt die Beeinflussung durch die Phantastik, denn immer wieder blitzen symbolistische und religiöse Motive auf, von den Bergriesen über das lüsterne Meerweib bis zu Adam und Eva.

Zudem zeigt gerade die Zurücksetzung in der NS-Zeit, daß Not erfinderisch macht und Kreativität hervorbringen kann. In der Zeit des Berufsverbots entstanden im Atelier eine Reihe von Aquarellen, die als „Ungemalte Bilder“ erst nach Noldes Tod bekannt wurden. Ganz stimmt die Bezeichnung nicht, da Nolde die Bilder nach 1945 teils mit Öl in den Gemäldestatus überführte. Bezaubernde symbolistische Szenen entstanden in diesen Jahren. Sie rühren und vermögen Betrachter mit Muße womöglich mehr in den Bann zu ziehen, als die bekannten primitivistischen Bilder der expressionistischen Phase. Zudem ermöglichte jene Zeit offenbar eine Reflexion und ein sehenswertes Spätwerk, das nach einer Phase ausufernder Farbexpression wieder zur Form zurückfand. So konnte ein Zyklus künstlerischen Schaffens geschlossen werden. Ein Segen.

Die Ausstellung „Emil Nolde. Retrospektive“ ist noch bis zum 15. Juni im Städel-Museum, Schaumainkai 63, Frankfurt am Main, täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, Donnerstag und Freitag bis 21 Uhr, zu sehen.

Der Katalog (Prestel Verlag) mit 300 Seiten und 355 Farbabbildungen kostet im Museum 39,90 Euro. Telefon: 069 / 60 50 98-0

www.staedelmuseum.de

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