© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/14 / 09. Mai 2014

Die den Haß säen
Klaus-Jürgen Bremm hat sich den verschiedenen Formen der Propaganda im Ersten Weltkrieg gewidmet
Karlheinz Weissmann

Der Begriff „Propaganda“ hat einen negativen Beigeschmack. Das ist schon lange so, aber die Propaganda des Ersten Weltkriegs hat wesentlich dazu beigetragen, den Beigeschmack bis zur Ungenießbarkeit zu steigern. Die Ursache liegt in der erstmaligen Entfaltung des ganzen Tableaus moderner Massenbeeinflussung zwischen 1914 und 1918: von der öffentlichen Rede und dem Aufmarsch über die Produktion von Büchern, Broschüren, Zeitschriften, seriösen Zeitungen und Regenbogenpresse, Maueranschlägen, Klebemarken, Ansichtskarten und Plakaten bis zu Puppenspiel, Theateraufführung, Fotografie und Film. Alles wurde genutzt, um die Heimatfront zu stärken und den Feind zu diskreditieren oder symbolisch zu vernichten.

Asymmetrie in der Art der Haßrhetorik

Trotz der Schlüsselstellung, die die Propaganda für die Geschichte des Ersten Weltkriegs hatte, fehlt es bis heute an Gesamtdarstellungen dieses Komplexes, und selbst für einzelne Themenfelder muß man auf ältere Literatur zurückgreifen. Insofern war die Absicht des Theiss-Verlags, die Lücke mit dem Buch von Klaus-Jürgen Bremm „Propaganda im Ersten Weltkrieg“ zu schließen, ausgesprochen begrüßenswert. Bremm stellt tatsächlich nach einer kurzen historischen Einführung die Entwicklung in Deutschland und den alliierten Staaten (mit Ausnahme Rußlands) dar. Er setzt dabei einen besonderen Akzent auf den Ausbau der für die Propaganda verantwortlichen Institutionen, die erst nach und nach entstanden und immer weit davon entfernt blieben, „Propagandaministerien“ im späteren Verständnis des Wortes zu sein. Die Phase des Experimentierens zog sich lange hin, und der unterschiedliche Propagandastil der Gegner war immer auch geprägt von ihrem politischen Stil, das heißt, man vertraute in Deutschland und Frankreich stärker staatlicher Kontrolle, in Großbritannien und den USA stärker dem Konzept des public private partnership.

Grundsätzlich kann man Bremm in diesen Abschnitten seines Buches folgen, wenngleich irritiert, daß die französische Propaganda nur sehr am Rande behandelt wird und in einem merkwürdig wohlwollenden Licht steht: Der vom Verfasser erwähnte „sakrale Patriotismus“ und die antideutsche Indoktrination der Schulen waren jedenfalls keine Kriegsfolgen, sondern seit Jahrzehnten etabliert; und ob es angesichts der Brutalität, mit der Clemenceau Jagd auf „Drückeberger“ machte und die Mili-tärmeutereien niederschlug, angemessen ist, die nationale Geschlossenheit der Franzosen und die Fähigkeit der „republikanischen Regierung“ zu feiern, „Krisen immer wieder zu meistern“, während der deutsche „Burgfrieden“ lediglich als Popanz auftritt, erscheint zumindest fragwürdig.

Gravierender wirken sich allerdings eine Reihe von Fehleinschätzungen Bremms in bezug auf die Hauptträger alliierter Propaganda, die USA und Großbritannien, aus. Denn weder läßt sich pauschal sagen, daß die Bevölkerung der USA grundsätzlich gegen den Kriegseintritt war, noch daß eine so einflußreiche Figur wie der Ex-Präsident Theodore Roosevelt von Anfang an auf der Seite der Entente stand; weder gab es „bedingungslose Empathie mit Opfern jedweder Art“ – die deutschen spielten eben keine Rolle –, noch fehlte die Zensur, die seit dem Frühjahr 1917 die schärfste in der Geschichte der USA war und unerbittlich alles verfolgte, was „unamerikanisch“ wirkte, die Bereitschaft zur Freiwilligenmeldung minderte oder die edlen Motive des nationalen Einsatzes in Frage stellte.

Besonders betroffen waren von diesen Maßnahmen die Deutschamerikaner und die ihnen zur Verfügung stehenden Publikationen. Ein Sachverhalt, der von Bremm sowenig behandelt wird wie die Agitation gegen diese Bevölkerungsgruppe als „innerer Feind“. Dieselbe Lücke findet sich dann auch in bezug auf die in England lebenden oder naturalisierten Deutschen, die zu den bevorzugten Zielen „Schwarzer Propaganda“ gehörten, die von den Massenblättern der „Pressezaren“ Alfred Northcliffe und Max Beaverbrook betrieben wurde.

Deren Einfluß auf die Entwicklung der britischen Propaganda erwähnt Bremm zwar, aber ohne präzisen Blick darauf, was die Meinungsmacher über die „Hunnen“ verbreiteten und in den Köpfen verankerten. Er weist zwar darauf hin, daß es Greuelpropaganda gegeben habe, aber weder die Massivität noch der Inhalt werden einer Analyse unterzogen.

Wenigstens stellt der Verfasser fest, daß die alliierte Propaganda gegen Deutschland auf dessen Seite „keine Entsprechung“ fand, daß es kaum irgendeinen „Versuch zu einer echten Haßrhetorik“ gegeben hatte. Da diese Asymmetrie aber offenbar nicht in das Geschichtsbild Bremms paßt, sieht er sich gezwungen, einen „Propagandamythos“ zu behaupten.

Demzufolge war die Wirkung der alliierten Propaganda kaum von Bedeutung, nur die Republikfeinde und dann Hitler hätten sich auf dieses Muster bezogen, um ihre eigene hemmungslose Agitation zu rechtfertigen. Eine solche Auffassung kann niemand ernsthaft vertreten, der sich mit der Materie gründlich beschäftigt. Sie entspricht allerdings den Vorgaben historischer Korrektheit. Um zu einem sachgerechteren Ergebnis zu kommen, hätte es genügt, jenen britischen Autoren zu folgen, auf die auch Bremm sich stützt, und die zu dem Ergebnis kamen, daß die „Büchse der Pandora“ von den demokratischen Staaten geöffnet wurde, die, um die Kriegsbereitschaft ihrer Völker zu erzeugen und zu erhalten, skrupellos auf jede Auslassung, Täuschung, Halbwahrheit oder Lüge zurückgriffen, und damit eine teuflische Saat säten, von der das Kaiserreich eben nichts wissen wollte.

Klaus-Jürgen Bremm: Propaganda im Ersten Weltkrieg. Konrad Theiss Verlag, Darmstadt 2013, gebunden, 188 Seiten, Abbildungen, 24,95 Euro

Foto: Französisches Propagandaplakat zum angeblichen „deutschen Strafgericht“ im belgischen Löwen: Täuschung, Halbwahrheit, Lüge

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