© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/14 / 09. Mai 2014

Knapp daneben
Ohne Plagiat gibt es keine Wissensgesellschaf
Karl Heinzen

Wer sich in seinen Mußestunden bei einem Glas Wein an den großen Seeschlachten der Weltgeschichte erfreuen will, wird dazu bis auf weiteres nicht das opulente Standardwerk der Historiker Arne Karsten und Olaf B. Rader erwerben können. Ihr Verlag, C. H. Beck, sah sich gezwungen, die Auslieferung zu stoppen, da Plagiatsvorwürfe laut geworden waren. Rader soll in seinem Kapitel zur Schlacht von Salamis aus Wikipedia zitiert haben, ohne dies kenntlich zu machen. Zudem wird ihm vorgehalten, sich in seiner Nacherzählung der Schlacht von Trafalgar allzu eng an einen Aufsatz eines anderen Autors anzulehnen.

Der Verlag will mit seiner Maßnahme vermutlich signalisieren, wie wichtig ihm die wissenschaftliche Reputation ist. Diese Ehrpusseligkeit kann heute jedoch nur noch als weltfremd gelten. Bevölkerungswissenschaftler schätzen, daß seit den Anfängen unserer Spezies bislang etwa 108 Milliarden Menschen das Licht der Welt erblickt haben. Sieben Milliarden von ihnen dürfen aktuell das Vergnügen empfinden, einander als Zeitgenossen zu betrachten.

Die Schlacht hat sich einmal ereignet. Die Zahl der Historiker, die sich mit ihr befaßt haben, ist aber uferlos.

Bei allem Respekt vor der Würde des unverwechselbaren Individuums ist es anhand dieser Quantität sehr unwahrscheinlich, daß irgendwer noch einmal auf einen Gedanken kommt, den nicht schon Tausende vor ihm hatten.

In besonderem Maße gilt dies für die Geschichtsschreibung. Eine Seeschlacht von Salamis hat sich nur einmal zugetragen. Die Zahl der Historiker, die sich mit ihr befaßt haben, ist aber uferlos. Wie soll ein Autor, der sich wieder einmal an ihr versucht, 2.500 Jahre später auch nur einen einzigen neuen Aspekt entdecken? Soll er vielleicht Zeitzeugen befragen?

Der Ehrgeiz von Autoren und Verlagen muß es aber gar nicht sein, mit neuen Erkenntnissen aufzuwarten. Ihre Aufgabe ist es, das, was bekannt und verifiziert ist, so aufzubereiten, daß Leser damit etwas anfangen können. Ohne massenhaftes Plagiat gibt es keine Wissensgesellschaft. Es sind die vielen, die voneinander abschreiben, die Bildung in breite Bevölkerungsschichten hineintragen. Wer sie diskreditiert, untergräbt unsere Zukunft.

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