© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/14 / 16. Mai 2014

„Populismus“-Vorwurf
Wer die Demokratie stört
Dieter Stein

Mitten in den schläfrigen Europawahlkampf platzt ein Thema, das Brisanz entfaltet. In der vergangenen Woche griff die JF das Urteil des Europäischen Gerichtshofes auf („Antragsflut zur Spargelzeit“), wonach in Deutschland arbeitende EU-Ausländer deutsches Kindergeld auch für Kinder beziehen können, die gar nicht in Deutschland leben. Jetzt meldete am Montag die FAZ: „Eine Milliarde Euro Kindergeld für Ausländer“, am Dienstag titelt Bild: „So kassieren EU-Ausländer bei uns ab – Jährlich fast 3 Milliarden Euro für Kindergeld und Hartz IV“.

Bei den Wahlkampfstrategen von Union und SPD, in Berlin in einer Großen Koalition zum Konsens verdammt, schrillen die Alarmglocken. Während die Kanzlerin die Euro-Krise konsequent weglächelt, könnte sich der Kindergeld-Skandal zu einem Flächenbrand ausweiten. Das Versenken von Milliarden in für Laien undurchsichtigen „Rettungsschirmen“ ist zu abstrakt, die Obszönität der Ausplünderung deutscher Kassen im Falle des Kindergeldes jedoch mit Händen zu greifen.

Es ist niemandem zu erklären, weshalb Kinder einer polnischen Familie, die weiterhin in ihrer Heimat lebt und deren Vater lediglich in Deutschland arbeitet, nicht mit polnischem Kindergeld auskommen können sollen, warum diese Familie plötzlich Anspruch auf deutsches Kindergeld hat.

Hektisch wird nun gegengesteuert. Vorneweg die CSU, die für die Union die rechte Flanke sichern soll, kritisierte die ausufernden Sozialtransfers scharf. Parteigeneral Andreas Scheuer: „Der Kindergeldtransfer ins Ausland muß ein Ende haben.“ Tatsächlich muß das Problem Fachpolitikern lange bekannt gewesen sein. SPD, Grüne und Linke sind nun erwartungsgemäß „entsetzt“ über vermeintlich „rechtspopulistische Tendenzen“ der CSU.

Am Montag sollte sich bei „Hart aber fair“ AfD-Vize Hans-Olaf Henkel für ein Bundestagswahlplakat seiner Partei entschuldigen, weil dort stand: „Wir sind nicht das Weltsozialamt“. Schlimm, weil die NPD ähnlich plakatierte. Doch was ist an diesem Satz eigentlich falsch? Und warum soll man sich für eine richtige Feststellung entschuldigen?

Wahlen stellen ein Risiko für Etablierte dar. Immer wenn das Volk an die Urne darf, dämmert es, wer eigentlich der Souverän in der Demokratie ist: das Volk. Deshalb wird alarmistisch vor „Populisten“ gewarnt. Doch was meint „Populist“? Das Wort kommt von Populus, lateinisch für Volk. Ärgerlicherweise haben „Populisten“ nämlich ihr Ohr am Volk und erdreisten sich, hartnäckig den Unmut über Mißstände laut zu artikulieren, die Herrschende am liebsten ausblenden. Der Marsch in den zentralistischen europäischen Transferstaat und die Rettung von Pleitebanken wollen beispielsweise die meisten Bürger nicht. Es ist fraglich, ob man Kritikern mit der Populismuskeule den Mund stopfen kann.

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