© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/14 / 16. Mai 2014

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Der Obama aus Luxemburg
Marcus Schmidt

Jean-Claude Juncker braucht einen neuen Job. Deshalb steht der ehemalige Ministerpräsident von Luxemburg und frühere Chef der Euro-Gruppe bereits um halb neun am Morgen im Ballsaal eines noblen Berliner Hotels am Potsdamer Platz vor einer überschaubaren Schar von Hauptstadtjournalisten.

Juncker hat sich um einige Minuten verspätet. Der Luxemburger ist im Streß, denn als Spitzenkandidat der konservativen EVP für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten macht er Wahlkampf in ganz Europa. „Wien, Slowakei, Zypern, Malta, Finnland, Lettland“, zählt er seine Reiseziele der vergangenen Tage auf. „Ich komme mir vor wie Obama – nur ohne Air Force One“, sagt Juncker.

Auch heute ist sein Terminkalender prall gefüllt. Nach dem Treffen mit den Journalisten muß er weiter zur Jungen Union, am Abend dann steht das Fernsehduell mit seinem Kontrahenten Martin Schulz auf dem Programm, dem Spitzenkandidaten der europäischen Sozialdemokraten. Der Besuch beim CDU-Nachwuchs dürfte dabei noch der angenehmste Termin sein. Während in der Union die Personalie Juncker auf freundliches Desinteresse stößt und die Partei nicht einmal mit seinem relativ bekannten Gesicht Wahlkampf macht, legt sich die JU mehr ins Zeug. In der Nacht hatte sie eigens für die Pressekonferenz rund um das Hotel Plakate mit dem Konterfei Junckers aufgehängt. Doch offensichtlich hatte dieser die Werbetafeln gar nicht gesehen. Noch bevor der erste Journalist das leidige Thema ansprechen kann, legt Juncker von sich aus los: „Bitte keine Fragen zur Plakatierung in Deutschland. Mich langweilt das Thema noch mehr als sie“, sagt ein müde aussehender Spitzenkandidat.

Doch er wird sofort munter, als er zu den Erfolgsaussichten rechter und populistischer Parteien bei der Europawahl gefragt wird: „Dieses Thema langweilt mich überhaupt nicht.“ Er rechne damit, daß der Vormarsch der Rechtsextremen kein Durchmarsch wird. „Von denjenigen, die den Menschen Angst machen, werde ich mich nicht zum Kommissionspräsidenten wählen lassen“, sagt Juncker, der gleichwohl nicht alle über einen Kamm schert. „Aber mit EU-Kritikern möchte ich reden“, fügt er daher schnell hinzu. Diese griffen eine verbreitete Strömung in der Bevölkerung auf. „Skepsis in Sachen Europa ist erlaubt, wenn sie nicht aus einer negativen Grundhaltung heraus kommt“, stellt er klar.

Einen Seitenhieb auf die Union und Finanzminister Wolfgang Schäuble kann sich Juncker am Ende dann doch nicht verkneifen. Nein, von einer deutschen Dominanz in Europa wolle er nicht sprechen. Und überhaupt: Wenn es um Hilfen für Griechenland, Portugal oder Irland ging, war der „Finanzminister aus Deutschland“ nicht der unerbittlichste Verhandlungspartner, berichtete Juncker über die Brüsseler Nächte während der Euro-Rettung. Eine Aussage, die vor dem Hintergrund der wachsenden Kritik an der Rettungspolitk in Deutschland aufhorchen läßt und daher bestimmt nicht als Lob für Schäuble gedacht war. Oder hatte der vielgereiste Politikprofi Juncker für einen Augenblick vergessen, daß er in Berlin war?

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