© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/14 / 16. Mai 2014

Den verrückten Lauf der EU stoppen
Frankreich: Le Pens Front National setzt bei der EU-Wahl auf Sieg / Sozialisten und Bürgerliche paralysiert
Friedrich-Thorsten Müller

Marion Maréchal-Le Pen, eine der zwei Abgeordneten des FN in der Pariser Nationalversammlung und Nichte der Parteivorsitzenden Marine Le Pen, hofft auf bis zu einem Drittel „Euroskeptiker“ im neuen Europaparlament. Nach den letzten Umfragen wird Frankreich einen deutlichen Beitrag zu diesem Ziel leisten. Wenige Tage vor den Europawahlen sehen immer mehr Meinungsforschungsinstitute den Front National links des Rheins als stärkste Partei aus den Wahlen am 25. Mai hervorgehen.

Mehrheit der Franzosen ist gegen die EU

Nach den Erhebungen von Harris Interactive, veröffentlicht in der Zeitung Le Parisien, dürfte die Partei Marine Le Pens mit 22 Prozent der Stimmen noch vor den Konservativen der UMP (21 Prozent) Wahlsieger werden. Die regierenden Sozialisten erreichen trotz ihres durchaus populären neuen Regierungschefs Manuel Valls mit 17 Prozent abgeschlagen nur den dritten Platz. Andere Umfragen sahen den FN sogar schon bei 24 Prozent der Stimmen.

Es wäre ein prestigeträchtiges Ergebnis für die euro- und einwanderungskritische Partei, nach nur 6,3 Prozent bei der letzten EU-Wahl nun zur stärksten politischen Kraft Frankreichs aufzusteigen. Unabhängig davon, ob es zum ersten Platz reichen wird, ist von einem weiteren politischen Erdrutsch auszugehen.

Hintergrund dieser politischen Entwicklung sind in der Wahrnehmung der Franzosen das Versagen von sozialistischer Regierung und bürgerlicher Opposition. Die sozialistische Regierung Hollande war vor zwei Jahren mit einer satten Mehrheit mit dem Ziel angetreten, das Wachstum zu beleben. Darüber hinaus sollte ein ausgeglichener Haushalt erreicht werden, ohne die niedrigen und mittleren Einkommensgruppen mit neuen Steuern zu belasten. Tatsächlich stagnierte aber auch 2013 die Wirtschaft mit nur 0,3 Prozent Wirtschaftswachstum, trotz neuer Staatsschulden in Höhe von 4,3 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Die Arbeitslosigkeit erreicht mit 10,8 Prozent im Jahr 2013 einen neuen Rekordwert, wobei fast jeder vierte Jugendliche ohne Arbeit ist.

Gleichzeitig leistet sich die konservative UMP seit der Wahlniederlage von Nicolas Sarkozy einen mühsam befriedeten parteiinternen Machtkampf zwischen Jean-François Copé und François Fillon. Je nach Ausgang der juristischen Aufarbeitung der Skandale Sarkozys könnte dieser zur Rückkehr des Alt-präsidenten an die Parteispitze führen.

Aber auch bei den anderen beiden großen Problemfeldern der Politik, der Einwanderung und der stetig steigenden Kriminalität, überzeugen weder die Linken noch die Bürgerlichen. Es scheint, als würden sämtliche Probleme Frankreichs mit EU-Recht im Zusammenhang stehen. Entsprechend sind – so eine Gallup-Umfrage – nur 41 Prozent der Franzosen EU-freundlich eingestellt.

Le Pen möchte daher aus den Wahlen zum EU-Parlament ein Referendum nicht nur gegen François Hollande, sondern zugleich gegen die EU machen. So erklärte sie in Paris vor 20.000 Anhängern anläßlich der traditionellen 1. Mai-Kundgebung ihrer Partei zu Ehren von Jeanne d’Arc, der Retterin Frankreichs vor den Engländern: „Wenn das französische Volk uns am 25. Mai die meisten Stimmen gibt, dann kann der Präsident der Republik diese Ablehnung des heutigen Konstrukts Europa nicht ignorieren. Die europäischen Instanzen werden gezwungen sein, diesen verrückten Lauf zu stoppen. Wenn Sie nein sagen, wird die Regierung gezwungen sein, zurückzutreten.“

Daß es zu Neuwahlen der Nationalversammlung kommen wird, ist gleichwohl, unabhängig vom Ergebnis der Europawahlen, so kurz nach der Regierungsumbildung eher unwahrscheinlich. Tatsächlich steht der Front National bei den zentralen Fragen zur Europapolitik in Frankreich immer noch recht isoliert da. Keine bedeutende politische Gruppierung außer dem FN möchte bisher den Euro als Währung aufgeben. Viel zu groß ist die Angst vor den Finanzmärkten, die dies mit exorbitant hohen Zinsen für neue Staatsanleihen abstrafen dürften. Dasselbe gilt für die Arbeitnehmerfreizügigkeit, die nach wie vor außer vom FN von niemandem ernsthaft in Frage gestellt wird, da sie als nicht verhandelbarer Kern der europäischen Idee verstanden wird. Nicht ganz so isoliert steht der FN bei der Ablehnung von Eurobonds, einer durch die EU zu erhebenden Steuer und neuen EU-Erweiterungen da. Hier – wie auch bei dem Wunsch nach Wiedereinführung von Grenzkontrollen – teilt die bürgerliche UMP die strikte Haltung des FN.

Le Pen fischt rechts und links

All diese Themen stehen aber generell in Europa im Moment nicht wirklich oben auf der politischen Agenda, da es in Ländern wie Deutschland dafür keine parlamentarischen Mehrheiten gibt. Linker Mainstream ist der FN dagegen bei der Frage nach höheren Zöllen für Waren aus Nicht-EU-Ländern, was auch von den Sozialisten und der Linksfront befürwortet wird. Entsprechend ist es folgerichtig, wenn Marine Le Pen gegenüber der Zeitung Le Monde äußert: „Wir wollen beweisen, daß der Front National Stimmen im rechten wie im linken Lager gewinnen kann.“

Man darf gespannt sein, wie viele Abgeordnete der Front National am Ende tatsächlich zur kürzlich mit dem Holländer Geert Wilders geschmiedeten „Europäischen Allianz für die Freiheit“ besteuern wird und wie stark die EuroSkeptiker im neuen Europaparlament tatsächlich werden. Viel wird auch in Frankreich davon abhängen, ob die Wahlbeteiligung aus dem 2009 von nur 40,5 Prozent noch weiter sinkt, was in diesem Fall eher zugunsten der EU-Befürworter wirken würde.

Foto: Marine Le Pen bei 1.-Mai-Kundgebung des Front National in Paris: Unter dem Motto „Nein zu Brüssel – Ja zu Frankreich“ die EU-Wahl gewinnen

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