© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/14 / 16. Mai 2014

Von der Selbständigkeit träumen
Somaliland: Seit Jahren kämpft die ostafrikanische Republik vergebens um die Anerkennung ihrer Eigenstaatlichkeit
Marc Zöllner

Ob Volksbegehren in Venetien, Wahlen zur Unabhängigkeit in Katalonien und Schottland, oder auch das umstrittene Referenden auf der Halbinsel Krim: In Europas Hauptstädten wächst die Angst vor einem neuen Entflammen Unabhängigkeitsbewegungen.

Nicht nur in Europa. Allein auf dem schwarzen Kontinent agieren Unabhängigkeitsbewegungen in dreistelliger Zahl. Doch abgesehen von der südsudanesischen Volksbefreiungsarmee, die nach einem dreißig Jahre währenden, verlust-reichen Bürgerkrieg im Juli 2011 ihre ersehnte Eigenständigkeit vom Norden verkünden konnte, oder den Tuareg des Mali, deren Erhebung gegen den Mutterstaat im April 2012 ein direktes Eingreifen französischer Truppen in der Sahara provozierte, finden diese kaum Einzug in die Schlagzeilen der europäischen Presse.

Die separatistischen Bewegungen Afrikas sind so facettenreich wie der Kontinent selbst. Nationalisten, Kommunisten, Islamisten und Regionalisten geben sich hier die Klinke in die Hand. Nicht wenige ihrer Ziele klingen gar unterstützenswert. Beispielsweise in Darfur, wo sich Freischärler der Fur und Masalit von der Zentralregierung in Khartum lossagen wollen, um einem Völkermord an ihren Stämmen zu entgehen. Auch die seit 1984 bestehende Ogaden-Befreiungsfront ONLF findet in ihrem Kampf um die Unabhängigkeit der von Somalis bewohnten östlichen Provinzen Äthiopiens international höchste Sympathien.

Doch kaum eine der derzeitig aktiven Separatistenbewegungen Afrikas – von den Einwohnern des Casamance im Senegal über die Igbo im Südosten Nigerias bis hin zur von Buren und Briten dominierten Kap-Partei in Südafrika – konnte bislang nennenswerte Erfolge verzeichnen. Eine der wenigen Ausnahmen ist die ostafrikanische Republik Somaliland. Diese hatte sich nach dem Sturz des somalischen Diktators Siad Barre im Mai 1991 von Mogadischu gelöst und entwickelte sich seitdem im Gegensatz zum Rest des Landes, welches noch immer unter den kriegsähnlichen Auseinandersetzungen zwischen Islamisten, Regierungstreuen sowie kenianischen, ugandischen und äthiopischen Truppen leidet, zu einer Oase des relativen Wohlstands und Friedens. Doch um die Anerkennung seiner Eigenstaatlichkeit muß es noch immer kämpfen.

Dabei habe Somaliland, so Mohamed Bihi Yonis, seine Grenzen, seine Einwohner, seine Währung, die Unabhängigkeit, Wahlen, Demokratie, seine eigene Gesetzgebung und die Menschenrechte“. Der Außenminister Somalilands weilte im April mehrere Tage in Großbritannien. Mit rund 100.000 Menschen zählt das Königreich die größte Anzahl an Diaspora-Somalis weltweit nach den Vereinigten Staaten. Sie zur finanziellen sowie politischen Unterstützung der Heimat zu gewinnen, stellt für die Regierung Somalilands eine der größten internationalen Herausforderungen dar.

„Wir haben eine hervorragend funktionierende Regierung, während der Rest Somalias in Flammen aufgeht und seine Probleme mit Piraten, Terrorismus und den Al-Shabaab-Milizen nicht in den Griff bekommt“, berichtet Yonis. Doch aufgrund mangelnder Investitionen kränkelt der Binnenmarkt noch immer in seinen Kinderschuhen. Zwar konnte die etwa 3,5 Millionen Einwohner zählende abtrünnige Provinz das Mutterland im Bruttoinlandsprodukt mit umgerechnet rund einer Milliarde Euro bereits überflügeln. Doch noch immer bestimmt die Landwirtschaft die Ökonomie. Nennenswerte Industrie- und Textilanlagen gibt es im Land keine. Der Bedarf muß über Importe aus dem Nahen Osten und China gedeckt werden. Um die sich jährlich anhäufenden rund 400 Millionen Euro Handelsdefizit nicht zur katastrophalen Staatsverschuldung ausufern zu lassen, ist die Regierung in Hargeysa noch immer auf die Mittel und Einkommen ihrer Diaspora-Somalis in Europa und Übersee angewiesen.

Eine internationale Anerkennung der Republik würde die wirtschaftliche Vorarbeit der Regierung Somalilands wesentlich vereinfachen. Nicht nur Investoren wüßten sich dann auf rechtlich sicherem Terrain, auch Kredite bei der Weltbank würden somit ermöglicht. Das Zögern der Staatengemeinschaft in dieser Hinsicht trifft jedoch nicht nur bei den Somaliländern auf Unverständnis.

„Auf internationaler Ebene sagt jeder, daß dieser Schritt von den afrikanischen Staaten angeführt gehört“, erläutert auch Alex Vines aus der britischen Denkfabrik Chatham House im Gespräch mit Voice of America. „Doch wenn man mit afrikanischen Anführern spricht, sagen sie lediglich: Klar würden wir es befürworten, aber wir wollen nicht die ersten sein.“

Große Hoffnungen ruhen auf Großbritannien

Mit Somaliland befinden sich viele afrikanische Nationen in einem dialektischen Teufelskreis. Zwar könnten gerade Binnenstaaten wie das Nachbarland Äthiopien vom eigenen Export über Somalilands Hafen in Berbera profitieren. Doch die Bestätigung der Souveränität von Provinzen anderer Länder würde ebenso für Rückenwind bei den eigenen Separatisten sorgen. „Eine Anerkennung der Unabhängigkeit Somalilands wäre keinesfalls wider die Interessen Äthiopiens“, bestätigt auch Vines. „Dieser Präzedenzfall würde jedoch komplex auf Äthiopien zurückschlagen.“

Mohamed Yonis, Außenminister Somalilands, gibt den Mut nicht auf. Zwar käme von der Regierung Großbritanniens noch immer kein positives Signal. Als erste Stadt des einstigen Kolonialherren beschloß dieser Tage jedoch das Rathaus von Sheffield in einer gemeinsamen Sitzung der Abgeordneten die Anerkennung Somalilands als selbständige Nation. Zwar sei diese Entscheidung lediglich symbolischer Natur, betont der Stadtrat Sheffields. Doch für die Regierung in Hargeysa ist damit ein wichtiger erster Schritt in eine hoffnungsvolle Zukunft getan worden. Überdies beweist die Entscheidung Sheffields, daß eine Zusammenarbeit der Regierung Somalilands mit der Diaspora in Europa gerade aufgrund deren wachsenden politischen Einflusses durchaus fruchtbar sein kann.

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