© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/14 / 16. Mai 2014

Dorn im Auge
Christian Dorn

Mein Name ist Bond, Euro-Bond. Der an die Filmmusiken des Agenten 007 angelehnte Sieger-Song „Rise Like A Phoenix“ der austrischen Kunstfigur Conchita Wurst (Tom Neuwirth) ist für mich der richtige Gewinner des Eurovision Song Contest. Was sonst sollte in dieser Zeit triumphieren, in der das Spiel mit den geschlechtlichen Stereotypen als ein „Spiel ohne Grenzen“ zelebriert wird? Beim Barte des Propheten: Ich denke, daß diesem mit Neugier und zugleich Gelassenheit am besten zu begegnen ist. Jedenfalls hier. Geradezu nichtssagend und beliebig austauschbar erscheint dagegen der deutsche Beitrag von Elaiza mit dem Titel „Is it right“. Der ist mir wirklich Wurscht.

„Once I’m transformed / Once I’m reborn“: Zu den Zeilen aus Conchitas Song findet sich im Netz das entsprechende Video zur Verwandlung. „Tante Wurst“ schaut uns an, während sie ihr „Make up for everyone!“ vorexzerziert. Augenscheinlich ist genau dies der „Paradeschritt“ der gegenwärtigen Kultur.

Zur Premiere von Désirée Nicks tabulosem, zotigem Soloprogramm „Retro-Muschi“ im Tipi am Kanzleramt. Hier kriegt die schwule Community die – nicht nur verbalen – Peitschenhiebe der Großstadt-Dschungelkönigin zu spüren („Gebt doch zu, ihr kommt doch auch nicht aus dem Anus!“). Unter den Gästen ist auch die Travestie-Burlesque-Erscheinung Sheila Wolf, die unlängst an der Seite von A-ha-Sänger Morten Harket im Video zu dem Song „I’m the One“ zu sehen war. Die Monstranz der Devianz ist hier eine spielerische, frei vom ideologischen Diskurs „homonormativer“ Prägung.

Am „Tag der Befreiung“ Ausstellungseröffnung des am stärksten überwachten DDR-Fotografen Harald Hauswald in der Fotogalerie Friedrichshain, einst Club des Kulturbundes der DDR. Es spielt die Anarchistische Musikwirtschaft, eine Abspaltung der Bolschewistischen Kulturkapelle, die den von Peter Altenberg geschriebenen und von Hanns Eisler vertonten Text „Und endlich stirbt die Sehnsucht doch“ einfach als ein Lied Bertolt Brechts ankündigt. Fehlt nur noch das „Lied der preiswerten Lyriker“.

Im Babylon am Rosa-Luxemburg-Platz Konzert zum 50. Jahrestag der Gründung des einstigen DDR-Jugendradios DT64, unter anderen mit Sandow und ihrem Klassiker „Born in the G.D.R.“ Am Tresen lange Schlangen und – wegen Getränkemangels – nur kontingentierter Ausschank. Kommentar des Besuchers vor mir: „Das ist ja alles wie früher.“

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