© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/14 / 16. Mai 2014

Eine ausgezeichnete Kampagne
Journalismus gegen die Kirche: Trotz unsauberer Recherche erhalten zwei Reporter den „Wächterpreis“
Rudolf Schöttler

Anfang vorigen Jahres durchlief eine Empörungswelle die Medienlandschaft: „Katholische Kliniken verweigern Hilfe für vergewaltigte Frau.“ Laut der vom Kölner Stadt-Anzeiger initiierten Kampagne hätten die christlichen Krankenhäuser der Frau die Pille verweigert. Nicht erwähnt wurde dagegen, daß die einen Monat früher mutmaßlich vergewaltigte Frau bereits von der Notfallärztin versorgt worden war und die „Pille danach“ schon erhalten hatte (JF 6/13).

Die fälschlicherweise beschuldigten katholischen Kliniken hatten die Frau lediglich für die forensische Spurensicherung an eine der fünf Kölner Kliniken verwiesen, die hierfür zugelassen und ausgestattet waren. Der WDR beteiligte sich wider besseren Wissens intensiv an der medialen Skandalisierung eines normalen Krankenhausvorgangs.

Den Tiefpunkt setzte die ARD am 3. Februar 2013 mit ihrer Sendung „Günther Jauch“. Statt den Programmgrundsätzen eines öffentlich-rechtlichen Senders entsprechend die Vorfälle für das Publikum aufzuklären, heizte man das Ganze einseitig weiter an.

Jeder schrieb vom anderen ab, niemand prüfte nach

Überrascht muß man nun ein Jahr später zur Kenntnis nehmen, daß der Kölner Stadt-Anzeiger für seine tendenziösen Recherchen mit zwei Preisen geehrt wird. Über den ersten Preis berichtete das Blatt am 31.Dezember 2013 in eigener Sache: „Peter Berger, NRW-Korrespondent des Kölner Stadt-Anzeigers, hat bei der vom Medium Magazin ausgeschriebenen Wahl zum Journalisten des Jahres in der Kategorie Lokales den zweiten Platz belegt. Die Jury würdigte, daß Berger gemeinsam mit Joachim Frank die Geschichte mindestens einer vergewaltigten Frau recherchierte, die von zwei katholischen Krankenhäusern in Köln abgewiesen wurde.“

Der zweite Preis ist der Wächterpreis 2014 der Stiftung „Freiheit der Presse“. Er wird am 16. Mai im Kaisersaal des Frankfurter Römers an Peter Berger und Joachim Frank verliehen. Ihr Beitrag wird von der Stiftung laut JournalistenPreise.de wie folgt geehrt: „Sie recherchierten die wesentlichen Fakten zu der Haltung katholischer Kliniken, vergewaltigte schwangere Frauen entsprechend den Vorgaben der Kirche abzuweisen. Unter dem Eindruck der Wirkung dieser Veröffentlichungen änderte die Kirche ihre Haltung.“

Bei beiden Preis-Begründungen gebraucht man das negative Signalwort „Abweisung einer Vergewaltigten“. Damit wird der tatsächliche Vorgang, nach dem eine Gynäkologin telefonisch die Überweisung in eine zur anonymen Spurensicherung (ASS) zugelassene Klinik empfahl, in sein Gegenteil verkehrt. In der Erklärung zum zweiten Preis wird sogar verallgemeinernd behauptet, daß die Vorgaben der Kirche generell die Abweisung von vergewaltigten Frauen forderten. Diese Behauptung hat allerdings wenig mit den genannten „wesentlichen Fakten“ zu tun. Anscheinend soll eine ideologisch geleitete Recherche prämiert werden.Wenn man aber aus einseitiger Sicht berichtet und die Ergebnisse nicht auf Wahrheit und Richtigkeit überprüft, dann werden wesentliche berufsethische Grundsätze verletzt.

Ist das preiswürdiger Journalismus? Mit dieser Prämierung von defizitärer Recherche wird auch das Renommee der Preise selbst in Mitleidenschaft gezogen, und die maßgeblichen Persönlichkeiten sollten darüber nachdenken. Hinsichtlich des ersten Preises wären zum Beispiel die Jury-Mitglieder Helmut Markwort (Focus) und Nils Minkmar, Feuilletonchef der FAZ, zu nennen – auch angesichts gewisser Boulevardisierungs- und Skandalisierungstendenzen in ihren eigenen Blättern.

Die Stiftung „Freiheit der Presse“ betont in ihren Texten über den „Wächterpreis der Tagespresse“ die Wächterfunktion als öffentliche Aufgabe der Medien. Der Preis habe „nichts mit Sensationsgier zu tun, er solle nicht der Skandalisierung dienen, sondern dem Allgemeinwohl und dem Recht der Bürger auf Information.“

Ferner hebt man auf Artikel 5 des Grundgesetzes und Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention betreffend den freien Informationsaustausch ab.

Interessanterweise wird dort auch über die Festrede von Verleger Dirk Ippen (unter anderem Münchner Merkur) anläßlich einer Verleihung des Wächterpreises berichtet. Er sagte: „Die größte Gefahr für die Pressefreiheit kommt von innen her. Ich meine den Hang zum Konformismus und zu einer Hörigkeit gegenüber dem Zeitgeist. Was nützt uns die schöne Pressevielfalt, wenn alle von Flensburg bis Garmisch über dasselbe schreiben und auch die selben Themen auslassen.“

Hans Mathias Kepplinger, der erfahrene und anerkannte Medienwissenschaftler, hat dieses Verhalten von Journalisten intensiv untersucht. In seiner Schrift „Die Mechanismen der Skandalisierung“ beschreibt er die typischen Merkmale eines Skandals, die auch bei dem sogenannten Kölner Klinikskandal festzustellen sind.

Erstens: Verstoß gegen die herrschende Moral oder in diesem Fall gegen die führende veröffentlichte Meinung.

Zweitens: Die skandalisierenden Vorwürfe wirken auch, wenn sie sich als falsch herausstellen (schlagkräftiges Etikett: „Abweisung“).

Drittens: Dramatisierung, also die Verbindung zur verbreiteten negativen Berichterstattung über die katholische Kirche.

Viertens: Übertreibungen werden in wichtigen Fällen von den meisten Journalisten als vertretbar bezeichnet.

Fünftens: Allgemeine Empörung – der schon erwähnte Konformismus, Kepplinger spricht von „Koorientierung“, beschreibt die intensive Orientierung von Journalisten aneinander, wenige Wortführer, einige Mitläufer, viele Chronisten, kaum Skeptiker. Dazu die Ächtung von Nonkonformisten und damit Isolierung des Skandalisierten – Kepplinger betrachtet die großen Skandale als demokratische Variante von Schauprozessen. Also der Aufbau eines unerträglichen Drucks der öffentlichen Angriffe, dem viele Skandalisierte nicht gewachsen seien.

Trifft dieses letzte von Kepplinger genannte Merkmal nicht auf das Verhalten von Kardinal Joachim Meisner zu? Kurz vor Beendigung seiner Amtszeit und ohnehin schon jahrelangen Attacken ausgesetzt, dürfte er wohl dem medialen Dauerbeschuß im aktuellen Fall erlegen sein und die berühmte Entscheidung zur Anwendung der „Pille danach“ bewirkt und damit auch die Deutsche Bischofskonferenz zum Handeln veranlaßt haben.

Die Bischöfe reagierten hilflos und überstürzt

Für diese Wertung spricht, wie sorgfältig normalerweise derartig gewichtige Fragen angegangen werden. Das Ergebnis bleibt in der Sache umstritten, siehe etwa die gründlichen Ausführungen von Rudolf Ehmann in Medizin und Ideologie (04/13), dem Informationsblatt der Europäischen Ärzteaktion. Wie ist die Rolle der Kölner Mediengruppe M. DuMont Schauberg, zu der der Kölner Stadt-Anzeiger gehört, zu bewerten?

Ihr Seniorchef Alfred Neven DuMont hat nicht zuletzt als Präsident des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger für Freiheit, Qualität und Verantwortung der Presse geworben. Der von seiner Zeitung inszenierte „Kölner Klinikskandal“ paßt nicht dazu. Das gilt ebenso für seine zweite Kölner Zeitung, das Boulevardblatt Express. Drei Mitarbeiter, an der Spitze der Chefredakteur, waren zum vergangenen Weihnachtsgottesdienst im Kölner Dom angerückt, um den Nacktprotest der Femen auf dem Hochaltar zu filmen.

Auf der Fachtagung „Täuschung, Inszenierung, Fälschung“ Anfang dieses Jahres in Köln bezeichnete der Medienwissenschaftler Alexander Filipovic die Zeitung zu Recht „praktisch als Mitveranstalter der fragwürdigen Protestaktion“. Rätselhaft bleibt, wie Alfred Neven DuMont die beiden Aktionen seiner Blätter mit der Herausgabe seines Buches „Wie kurieren wir die Kirche?“ verbindet. Rätsel gibt auch die Medienpolitik der katholischen Kirche auf. Auf eine Strafanzeige gegen den Express wegen seiner Involvierung in den Nacktprotest hat man verzichtet. Vielleicht wegen des gerühmten „guten Verhältnisses“?

In der Klinikdebatte agierte der kirchliche Medienapparat nicht glücklich. Bis heute gibt es für das interessierte Publikum keine seriöse Darstellung des ganzen Verlaufs wie auch keine Erklärung für die sonderbaren Entschuldigungen. Einzuräumen ist: Hat die Skandalisierungswelle volle Fahrt aufgenommen, ist aufklärender Widerstand schwierig. Die entscheidenden Fehler kirchlicherseits wurden gleich zu Anfang gemacht. Die katholische Publizistin Gabriele Kuby hat wohl recht: „Die deutschen Bischöfe haben vor den Medien mehr Angst als vor dem Teufel.“

Was hat das Ganze gebracht? Vor allem eine glänzend gelungene Verkaufsförderung für ein chemisches Präparat. Ist es aber Aufgabe des Kölner- Stadt-Anzeigers, laut Slogan „unabhängig, überparteilich“, mit einer solchen Kampagne die „Pille danach“ zu propagieren, dazu noch mit unlauteren Methoden? Ungerechtfertigte Angriffe gegen die katholische Kirche mit einer raffiniert betriebenen Empörungswelle, die vermutlich zu einer beträchtlichen Zahl von Kirchenaustritten geführt hat, sind dagegen journalistisch kaum vertretbar.

Die zwei talentierten ehrgeizigen Journalisten haben auf den ersten Blick ihr Erfolgserlebnis und ihre zwei Preise. In dem Maße, wie sich die Wahrheit durchsetzt, werden sie sich mit der Zeit weniger freuen können. Die Preise selbst und ihre Herausgeber sind beschädigt. Noch mehr gilt das für unsere allgemeine Diskurskultur. Helmut Markwort, Nils Minkmar und Alfred Neven DuMont, sollten ihrer Verantwortung gerecht werden.

Diese läßt sich auch nicht schmälern, etwa mit dem Hinweis auf zunehmenden Wettbewerb, Einfluß des Internets, Verlangen des Publikums nach Sensationen oder dessen Ergötzen an Skandalen. Das hohe Gut der Presse- und Informationsfreiheit ist eine zu wichtige Voraussetzung für ein gelingendes Gemeinwesen.

Foto: Preisverleihung (Dezember 2013): Peter Berger (links) vom „Kölner Stadtanzeiger“ wird für seine Recherche vom „Medium Magazin“ ausgezeichnet

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