© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/14 / 16. Mai 2014

Transatlantisches Freihandelsabkommen
Bloß nicht auf den Leim gehen
Heiko Urbanzyk

Das geplante Freihandelsabkommen (TTIP) zwischen der EU und den USA muß verhindert werden. Die Nachteile für uns Deutsche und Europäer werden die versprochenen Vorteile massiv überwiegen.

Barack Obama stellte sich im Jahr 2013 in seiner Rede zur Lage der Nation mit seiner vollen Amtsautorität hinter die TTI-Partnerschaft. Sie soll noch in seiner Amtszeit unter Dach und Fach gebracht werden. Sollte uns das allein nicht stutzig machen? Es mag insbesondere deutschen Politikern ein völlig fremdes Denken sein, aber ein US-Präsident würde niemals seine Nation an einen völkerrechtlichen Vertrag binden, der nicht dem hundertprozentigen Interesse der USA entspricht. Oder seit wann wäre etwa das Oval Office ein Ort weicher Kompromisse? Kompromisse verlangen Nachgeben. Die USA geben niemals nach, wenn es um ihre Position als Wirtschafts- und Militärmacht geht.

Was nach Abzug der US-Interessen für uns Europäer bei der TTIP abfällt, ist ein notwendiges Übel. Es sind die Brotkrumen, die uns Uncle Sam läßt, weil wir sonst nicht mitmachen würden.

Konzernpolitik ist in den USA Regierungspolitik. Die USA werden kein Abkommen unterzeichnen, welches der US-Wirtschaft neue Kosten durch höhere Standards auferlegt. Kein Wunder, daß die Verhandlungen hinter verschlossenen Türen erfolgen.

Eine Studie von Joseph Francois vom Londoner Centre for Economic Policy Research beschreibt die wirtschaftlichen Effekte des Freihandelsabkommens realistisch. Er errechnete, daß bei einem maximalen Abbau der Zölle und nichttarifären Beschränkungen ein Wachstum von jährlich 0,48 Prozent (120 Milliarden Euro) in der EU erwartet werden könne. Das ist viel Geld. Aber mit der Summe könnte nicht einmal der Bundeshaushalt für Arbeit und Soziales im Jahr 2014 finanziert werden. Und die 120 Milliarden Euro sind zudem auf sämtliche EU-Staaten zu verteilen. Was bleibt da wirklich übrig?

Wer in seinem Denken fest in der Standort-Logik verhaftet ist, wird jeden Arbeitsplatz und jeden zusätzlichen Euro gutheißen. Aber all das berücksichtigt nur die „Einnahmen“, nicht die „Kosten“. Letztere werden für uns Europäer gewaltig sein. Sie lassen sich vielleicht nicht unmittelbar in Euro beziffern. Aber der Wohlstand einer Nation zeichnet sich durch mehr als das nackte Bruttoinlandsprodukt aus.

Wir haben in Europa hohe Schutzstandards in den Bereichen Ernährung und Landwirtschaft, Medizin und Gesundheit, Forschung und Produktzulassung, Umwelt- und Tierschutz, Arbeit und Soziales, Normungen und vieles mehr. Da können die USA nicht mithalten. Bei uns gilt das Vorsorgeprinzip. Selbst innerhalb der EU muß dieses jeden Tag neu gegen die EU-Kommission und das EU-Parlament erkämpft werden. In den USA? „Anything goes!“, „Hire an Fire!“ Was das Säckel der Wall Street und der US-Wirtschaft füllt, ist erlaubt. Konzernpolitik ist in den USA Regierungspolitik. Da dürfen für Schiefergas-Fracking ganze Landstriche verseucht werden, und den besten Zuchtbullen und die beste Milchkuh im Stall klont man einfach hundertfach – dem Verbraucher sagt man das freilich nicht.

Wie soll der Abbau solcher nichttarifärer Handelshemmnisse im TTIP ablaufen? Wir öffnen zum Beispiel unseren Markt für amerikanischen Genmais, Gensoja, Gensonstwas und im Gegenzug werden die USA in ihrer „Fleischproduktion“ auf Hormone und Chlorwaschungen verzichten? Wer’s glaubt, wird selig. Das mit den Hormonen und den Chlorhühnchen wird gemacht, um Geld in der Produktion zu sparen. Die USA werden keine TTIP unterzeichnen, welche der US-Wirtschaft neue Kosten durch höhere Standards auferlegt. Fast 90 Prozent aller Deutschen wollen jedoch keine Gentechnik in ihrer Nahrung. Entgegen allen Bekundungen der EU-Kommission, wird es mit den USA die TTIP aber nur mit der Liberalisierung der europäischen Gentechnikvorschriften geben. Nur so kann die riesige US-Landwirtschaft ihre Überschüsse in die EU einführen.

Kein Wunder also, daß die gesamte TTIP hinter verschlossenen Türen verhandelt wird. Es ist unter anderem der Zeit zu danken, daß geheime Verhandlungspapiere nun im Netz zugänglich sind. Sie belegen, daß die EU-Kommission kein blindes Vertrauen verdient.

Man darf nicht glauben, es werde keine Klagerechte amerikanischer Konzerne gegen EU-Staaten vor dem Geheimgericht ICSID geben (JF 2/14). Im CETA-Abkommen mit Kanada verankerte man solche erst kürzlich trotz der aktuellen Proteste.

Noch ist es Zeit zu erkennen, daß wir alle mit der TTIP an die Interessen der USA und der Großkonzerne verhökert werden sollen.

 

Heiko Urbanzyk, Jahrgang 1979, arbeitet als Jurist und freier Autor im Ruhrgebiet. Seine journalistische Arbeit behandelt insbesondere Themen des Umwelt- und Naturschutzes.

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