© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/14 / 16. Mai 2014

Frisch gepresst

Demokratischer Kapitalismus. Nicht einem Ökonomen, sondern dem Kölner Soziologen Wolfgang Streeck ist es im Herbst 2013 gelungen, eines der am meisten diskutierten Bücher über die europäischen Schuldenkrise vorzulegen. Diese große Resonanz erklärt sich auch daraus, daß Streecks Werk die EU-Krise einbaut in den globalen Kontext der „Krise des demokratischen Kapitalismus“, deren Ursprünge er in die 1960er verlegt. Diese historische Tiefenschärfe und der weite Blick auf die Entwicklung des kapitalistischen Systems in den letzten 50 Jahren verführt den Autor, mit dem Gestus des „Welträtsel“-Lösers aufzutreten und mitunter allzu simple Deutungen anzubieten. Daraus resultiert auch die größte Schwäche dieses ideenreichen, viel „Durchblick“ vermittelnden, glänzend geschriebenen Buches: Streeck führt die zentrale Weichenstellung, die vor allem Europas Nationalstaaten den verhängnisvollen Weg in die Verschuldung beschreiten ließ, zurück auf Entscheidungsprozesse in der von ihm monolithisch konstruierten „Wirtschaft“, eine Vorstellung, die fatal an die marxistisch-leninistische Phrase vom alle Drähte ziehenden „Monopolkapitalismus“ erinnert. (wm)

Wolfgang Streeck: Gekaufte Zeit. Die vertagte Krise des demokratischen Kapitalismus. Suhrkamp Verlag, Berlin 2013, gebunden, 271 Seiten, 24,95 Euro

 

Frontsoldaten. Für Hitler waren sie Volksverräter: „Hätte man zu Kriegsbeginn und während des Krieges einmal zwölf- oder fünfzehntausend dieser hebräischen Volksverderber so unter Giftgas gehalten, wie Hunderttausende unserer allerbesten deutschen Arbeiter (...), dann wäre das Millionenopfer der Front nicht vergeblich gewesen“, schrieb er nach 1918. Längst sind Hitlers Worte als propagandistische Mär widerlegt. Fast 100.000 deutsche Juden kämpften im Ersten Weltkrieg, viele davon an der Front. Richard Johannsen hat Briefe jüdischer Korporierter zusammengestellt, die diese von der Front ihren Lieben im Reich schrieben. Alle eint eine brennende Leidenschaft für Deutschland. Viele glaubten, daß nach dem Krieg der Antisemitismus der Vergangenheit angehören würde und daß „die Geschichte zu würdigen weiß, was unsere Glaubensgenossen 1914 geleistet haben“, wie ein Frontsoldat im Dezember dieses Jahres festhielt. Einer der tragischsten Irrtümer des 20. Jahrhunderts. (tb)

Richard Johannsen (Hrsg.): Hauptsache ist, wir siegen. Kriegsbriefe jüdischer Korporierter. WJK-Verlag 2013, broschiert, 116 Seiten, Abbildungen, 10,90 Euro

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen