© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/14 / 16. Mai 2014

Der rehlose Wald das Ideal?
„Was gleicht wohl auf Erden dem Jägervergnügen“: Nicht alle mögen das Waidwerk leiden
Heiko Urbanzyk

Drängen die Bayerischen Staatsforste und Bauern aus Gewinnstreben das Rehwild in Bayern zurück? Der Vizepräsident des Bayerischen Jagdverbandes, Moritz Fürst zu Oettingen-Wallerstein, hat in der Augsburger Allgemeinen schwere Vorwürfe erhoben. Die Staatsforste würden einen „Vernichtungsfeldzug“ gegen das Wild führen.

Es habe sich ein „ideologischer Holzwurm“ in den Köpfen der Verwaltung eingenistet, der finanzielle Gewinne in den Vordergrund rücke. Es herrsche die Ansicht, daß diese nur in rehbefreiten Wäldern möglich seien. „Unter dem Deckmantel der Schutzwaldsanierung und der Bergwaldoffensive wird Feuer frei auf alles gegeben, was da umherrennt (…) Und im Winter gibt es keine Fütterungen mehr. Die Tiere sollen verhungern“, zitierte das Blatt den Fürsten. Es gelte derzeit die Losung „Wald vor Wild“ – sie ist im Bayerischen Jagdgesetz verankert. Es müsse jedoch richtigerweise „Wald und Wild“ heißen, da beides einander bedinge.

Es scheint, als lägen bei den Jägern die Nerven blank. Ihre schärfsten Gegner waren bisher militante Tierschützer. Nun kommen Gesetzgeber und Justiz hinzu, welche die Jägerschaft sonst stets auf ihrer Seite wußte. 2012 urteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entgegen dem jagdfreundlichen Bundesverfassungsgericht: Besitzer kleiner Landstücke dürfen nicht entgegen ethischer Bedenken hinsichtlich der Tiertötung dazu gezwungen werden, Mitglieder in Jagdgenossenschaften zu sein. Nach der entsprechenden Änderung des Bundesjagdgesetzes droht eine Austrittswelle. Weitere Verschärfungen des Jagdrechtes stehen an. Experten warnen davor, zunehmende Verbote und Bürokratisierung würden die Jagd künftig unmöglich machen.

„Alter Konflikt zwischen Jägern und Förstern“

Bei den Bayerischen Staatsforsten sind die Äußerungen des Fürsten zu Oettingen-Wallerstein wohl bekannt. Man fühlt sich zu Unrecht beschuldigt. Auf Anfrage der JUNGEN FREIHEIT wies Pressesprecher Philipp Bahnmüller die Vorwürfe eines „Vernichtungsfeldzugs“ daher entschieden zurück. Dennoch warb er um Verständnis für die Wortwahl des Fürsten. Die Jagd sei pure Emotion; das spiegle sich in der impulsiven Sprache wieder.

Es breche gerade bei diesem Thema „ein alter Konflikt zwischen Jägern und Förstern durch“, sagt Bahnmüller. „Die Förster haben natürlich vor allem den Wald im Blick.“ Im Vordergrund stehe ein gesunder Mischwald, der sich auf natürliche Art und Weise regelmäßig verjünge. Insbesondere junge Triebe der Weißtanne, der Eiche und des Ahorns seien jedoch die bevorzugte Spezialität des Rehwildes. Durch das Verbeißen der Triebe könne eine Baumgeneration vollständig verlorengehen. Es gelte daher, ein Gleichgewicht zwischen der Wildpopulation und dem Wald herzustellen. „Wir sagen nicht, wir wollen keine Rehe im Wald haben, sondern wir sagen, wir wollen eine Population, die waldverträglich ist.“ Bahnmüller betont, die rechtliche Festlegung „Wald vor Wild“ bedeute eigentlich „Wald und Wild“. Jedoch stehe der Schutz eines ganzen Ökosystems über der einzelnen Spezies. Rehe dürften selbstverständlich Triebe verbeißen. Das dürfe jedoch nicht zum Ausfall ganzer Baumgenerationen führen.

Die Praxis der Staatsforste sei rechtlich und ökologisch korrekt. Im Netz werde jedes Jahr veröffentlicht, wie viele Rehe durch die Förster geschossen würden. Das Niveau sei bis auf witterungsbedingte Schwankungen konstant. Wenn der Vorwurf eines „Vernichtungsfeldzuges“ zuträfe, müßte die Zahl der erlegten Tiere jährlich zurückgehen. „Das ist aber nicht der Fall. Wir schöpfen nachhaltig ab“, stellt Bahnmüller klar.

Den Privatjägern wirft Bahnmüller vor, daß sie sich einzig auf ihr Eigeninteresse konzentrierten: gerne auf die Jagd zu gehen. Privatjäger hätten ihren Blick dabei nicht auf das gesamte Ökosystem gerichtet. Dies zeige sich auch beim Vorwurf des Fürsten, daß Winterfütterungen verweigert würden. Diese Forderung gelte interessanterweise stets nur Tieren, welche Jäger bejagen können, nicht anderen Wildtieren. Und um Wildtiere gehe es ja gerade. Wildtiere füttert man im Winter nicht – sonst wären es keine Wildtiere.

Den Landwirten wirft der Fürst vor, daß sie wegen ihres Maisanbaus am liebsten kein Schwarzwild mehr hätten. Brigitte Scholz vom Bayerischen Bauernverband erklärte der JUNGEN FREIHEIT auf Anfrage, daß sie hierin keinen schweren Vorwurf erblicke. „Dem Bayerischen Bauernverband ist daran gelegen, gemeinsam mit den Jägern in Kulturlandschaften Lebensraum für Wildtiere zu schaffen.“ Dies werde ausweislich zahlreicher Pressemeldungen auch praktiziert.

Wildschweine drücken den bäuerlichen Schuh nicht. Der Existenzdruck kommt aus ganz anderer Richtung: „Probleme bereiten den Bauernfamilien vor allem überbordende Bürokratie und Kontrollvorgaben sowie ein existenzbedrohender Preiskampf des Lebensmitteleinzelhandels“, sagt Scholz. Bei der täglichen Arbeit auf den Feldern und Höfen gehe es um Nachhaltigkeit, was man von der Politik und Einkaufsentscheidungen im Supermarkt nicht sagen könne.

Ist am Ende doch alles nur Verbands­politik für die eigene Klientel? Moritz Fürst Oettingen-Wallerstein sitzt zwischen den Stühlen und sollte über jeden Verdacht erhaben sein. Er ist selbst Besitzer von 10.000 Hektar Wald und dürfte die Probleme der Staatsforste nachvollziehen können. Kritik übt er auch an den eigenen Jägersleuten. Der Umgang mit der Waffe müsse besser geübt werden, um den Tieren unnötiges Leid zu ersparen. Schlechte Schützen lassen Tiere leiden? Einen schlimmeren Vorwurf kann es unter Jägern kaum geben.

Foto: Förster im Thüringer Wald mit Ahorn-, Buchen- und Eichensteck-lingen: Spezielle Wuchshüllen schützen vor Wildverbiß wie auch vor Borkenkäfern und Mäusen

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