© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/14 / 23. Mai 2014

Sächsische Polizei jagt Diebe in Schlesien
Kriminalität: Deutschland und Polen treten im Grenzgebiet wechselseitig Hoheitsrechte ab
Paul Leonhard

Die Kriminalität im Osten der Bundesrepublik ist seit dem Wegfall der Grenzkontrollen rapide angestiegen. Um trotz offener Grenzen und im Zuge der Polizeireformen in den Ländern sinkender Beamtenzahlen den Menschen im Grenzgebiet ein Mindestmaß an Sicherheit zu garantieren, hat Deutschland nun Hoheitsrechte aufgegeben. In Zgorzelec, dem polnischen Teil der Grenzstadt Görlitz, ist vergangene Woche ein deutsch-polnisches Polizeiabkommen unterzeichnet worden, nach dem die Polizisten und Zöllner jeweils auch im Nachbarland tätig werden können.

Erfolgreich praktiziert wird das mit Hilfe von Sonderbestimmungen bereits seit einigen Jahren. Auf den Autobahnen, in den Zügen und in den grenznahen Städten kontrollieren deutsch-polnische Streifen, aber erst mit dem von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) und seinem polnischen Amtskollegen Bartlomiej Sienkiewicz geschlossenen Vertrag gebe es „klare rechtliche Regelungen für die Einsätze der Beamten im jeweiligen Nachbarland“, sagt Oliver Malchow, Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP).

Das Abkommen ist nicht nur „längst überfällig“ (Malchow), sondern auch das Eingeständnis, daß ohne polnische und tschechische Polizisten – ein ähnlicher Vertrag soll mit Prag geschlossen werden – der bandenmäßig organisierten Kriminalität in den an Oder und Neiße grenzenden Bundesländern sowie Berlin nicht mehr Einhalt geboten werden kann, weil zu viele Stellen bei Bundes- und Landespolizei abgebaut worden sind. Eine Entwicklung, vor der die Polizeigewerkschaft seit Öffnung der Grenzen gewarnt hat. Als GdP-Vertreter 2007 ein „tendenziell steigendes Problem des überregional begangenen gewerbsmäßig schweren Diebstahls und der Bandenkriminalität“ vorhersagten, wurden sie dafür von der Politik als „Schwarzmaler“ beschimpft. Im Januar 2012 mußte der damalige Innenminister Brandenburgs, Dietmar Woidke (SPD), einräumen: „Wir haben ein Problem. Dieses Problem heißt grenzüberschreitende Kriminalität.“

Bewährt hat sich die 2008 in Sachsen gegründete „Gemeinsame Fahndungsgruppe Neiße“, die aktuell mit jeweils zehn deutschen und polnischen Polizisten besetzt ist. Die Hauptvorteile seien kurze Wege, die schnelles Reagieren ermöglichen, sagt André Schäfer von der Pressestelle der Polizeidirektion Görlitz. Möglich wurde diese binationale Einheit durch eine flexible Auslegung des deutsch-polnischen Polizeivertrages von 2002, der erste Rahmenbedingungen enthielt, wie die Zusammenarbeit der Polizeibehörden funktionieren könnte. Bisher aber durften Einsatzgruppen und Streifen im Nachbarland nur tätig werden, wenn dortige Polizisten mit vor Ort waren. Mit dem neuen Vertrag geben sowohl Deutschland als auch Polen hoheitliche Rechte zugunsten einer erfolgreichen Kriminalitätsbekämpfung auf. Künftig kann beispielsweise eine polnische Streife in Sachsen, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin verdächtige Personen kontrollieren. Oder sächsische Beamte dürfen in der Woiwodschaft Niederschlesien polnische Autodiebe festnehmen. Notfalls darf bei der Verfolgung Verdächtiger sogar die Waffe eingesetzt werden. Bisher war das undenkbar.

Die polnische Justiz greift härter durch

Polizeimaßnahmen können jetzt in Zügen oder Fahrgastschiffen über die Grenze hinaus fortgesetzt werden, lobt GdP-Chef Malchow. Aber er warnt gleichzeitig vor einer weiteren Ausdünnung der deutschen Polizei. Allein in Brandenburg sollen bis 2020 mindestens weitere 400 Stellen gestrichen werden. Die Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität, täter- und deliktorientiert, sei aber personalintensiv und erfordere eine dauerhaft angelegte Personalverstärkung der Ermittlungsbereiche sowie der operativen Unterstützungskräfte, hieß es auf einer Gewerkschaftsfachtagung Ende März in Potsdam.

Auf ein weiteres Problem macht der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Stephan Mayer (CSU), aufmerksam. „Ob der Autodieb von einem polnischen oder deutschen Polizisten gestellt wird, ist nicht entscheidend, wichtig ist, daß er gefaßt und seine Straftat von der Justiz geahndet wird.“ Genau an der Verurteilung hapert es aber auf deutscher Seite. In viel zuwenig Fällen werden in Deutschland gestellte Täter letztlich verurteilt, die polnische Justiz greift da härter durch. Was auch daran liegt, daß manche Tatbestände in Deutschland und Polen unterschiedlich gewertet werden.

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