© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/14 / 23. Mai 2014

Pankraz,
die Soldaten und der vorgezogene Nachruf

Der Soldat – Ein Nachruf“ heißt ein neues Buch von Wolf Schneider, das bei Rowohlt erschienen ist. Der Untertitel verspricht „Eine Weltgeschichte von Helden, Opfern und Bestien“, was übertrieben sein mag, aber das Opus liefert immerhin eine Menge Fakten und liest sich flüssig, man bekommt einen guten Überblick über das kriegerische Gewerbe über die Zeiten hinweg. Doch was soll das Wort „Nachruf“, das den Titel ziert, im Text selbst aber durch nichts gerechtfertigt wird?

Schneider tut so, als erzähle er eine Geschichte von gestern, eine Art Märchen, das mit erfahrbarer Wirklichkeit nichts zu tun habe. „Der Soldat“ erscheint als durch und durch historische Figur, deren Erdengang uns Heutige kaum noch etwas angehe. Man brauche sich nicht mehr über sie aufzuregen, weder im Positiven noch im Negativen, man könne sie kalten Blutes wie in einem Kaleidoskop betrachten und seinen Spaß daran haben. Das ist nicht einmal mehr „Nachruf“ („Über Tote nur Gutes“), das ist reine „Historisierung“ im Sinne von Ernst Nolte.

In welchen Sphären lebt Schneider eigentlich? Der Durchschnittsbürger wird zur Zeit doch mit aktuellen Soldatenbildern regelrecht zugeschüttet! Im Fernsehen Tag für Tag Soldaten, von der Ukraine bis nach Nigeria, von Syrien bis in die Zentralafrikanische Republik. Hierzulande entwickelt sich gerade eine ernste Diskussion über die Aufstockung des Wehretats und wie man junge Leute nach Abschaffung der Wehrpflicht für den Soldatenberuf interessieren kann. Frau von der Leyen begrüßt Offiziere und Mannschaften in Afghanistan und ventiliert Pläne zur Entsendung deutscher Soldaten in den Südsudan.

Auch die Frage, ob und wann Soldaten nun Helden, Opfer oder Bestien seien, wird nicht historisiert, sondern löst leidenschaftliche Moraldebatten aus. Der alte 68er-Spruch „Soldaten sind Mörder“ ist längst passé, man feiert wieder soldatische Heldentaten, hat Mitleid mit „armen Frontschweinen“ oder empört sich über „soldatische Mord-Exzesse“, je nach Zugehörigkeit zu dieser oder jener der beteiligten Parteien. Der Mann (und auch schon die Frau) im Tarnanzug, mit Helm und schußbereiter Kalaschnikow, ist schon fast zu einem „Label“ tagtäglicher TV-Nachrichten in aller Welt geworden.

Kaschiert wird das in der Verlagswerbung für das Schneider-Buch durch den Hinweis, daß heute „ganz andere todbringende Instanzen“ an die Stelle des Soldaten getreten seien, ihn regelrecht „ersetzt“ hätten: Partisanen, Selbstmordattentäter, computergesteuerte Drohnen (...) Indes, schon eine oberflächliche Lektüre des Buches zeigt, daß es Schneider keineswegs darum geht, die Gestalt des Soldaten von anderen Gestalten kriegerischen Menschentötens abzuheben, im Gegenteil, der Soldat erscheint bei ihm als die Inkarnation des Kriegers schlechthin, einschließlich all seiner Waffen.

Vom Inhalt her hätte das Buch eher „Der Krieger“ (ohne „Nachruf“) heißen müssen. Der Begriff des „Soldaten“ kam ja erst im Europa der frühen Neuzeit Anfang des 16. Jahrhunderts auf, als Folge der modernen Staatengründungen! „Soldaten“ waren von damals an Angehörige regulärer Staatsarmeen, scharf abzugrenzen von bloßen Stammeskriegern und gemieteten Söldnern. Sie unterlagen strengen Verhaltensregeln, die auf eine „Hegung“ des Krieges hinausliefen, insbesondere auf eine reinliche Trennung von Kombattanten und Nichtkombattanten, Kriegern und Zivilisten.

Es war eine große Leistung Alt-Europas, die sich mit zunehmender Intensität bis ins 19. Jahrhundert fortsetzte. Das zwanzigste dann, das Jahrhundert der technisch hochgekitzelten Ideologien und Utopien, hat diese Leistung ruchloserweise wieder zunichte gemacht, es kam zum U-Boot-Krieg, zum Bombenkrieg, zum Partisanenkrieg. Und der Krieg verlagerte sich wieder auf das Umbringen von Nichtkombattanten, von Zivilisten. Nur, diejenigen, die ihn zu Lande, zu Wasser und in der Luft zu führen hatten, hießen nach wie vor und heißen weiterhin Soldaten.

Nehmen wir nur die „modernen“, hochtechnifizierten Streitkräfte des Westens. Deren Hauptschwert, die digital gesteuerten Bomber und Drohnen, werden wie selbstverständlich von mit Epauletten geschmückten Soldaten bedient, Sie stehen an weit von Einschlägen entfernten Abschußrampen oder sitzen in Bomberkanzeln, die für feindliche Abwehr faktisch unerreichbar sind, und drücken auf Knöpfe. Und der Tod, der dadurch ausgestreut wird, trifft kaum feindliche Soldaten und schon gar nicht feindliche Strategen, er trifft Zivilisten, die sprichwörtlichen „Greise, Frauen und Kinder“.

Kein Wort aus der neueren Semantik ist so heuchlerisch und irreführend wie das von den „Kollateralschäden“, von den angeblich unbeabsichtigten kriegerischen Nebenwirkungen. Der Sinn des Krieges im 21. Jahrhundert liegt eindeutig im Umbringen von Zivilisten: Der Nachruf, den Wolf Schneider so wortreich dem Soldaten darbringt, ist also nicht nur überflüssig (weil der angeblich Verstorbene ja noch lebt), sondern er klingt auch recht zynisch.

Frühere Soldaten streuten Tod und Verderben aus, aber sie setzten sich auch selbst dem Getötetwerden aus, bewährten sich als Helden und im besten Fall als tapfere Streiter für eine gerechte Sache. Heute sind sie vielerorts nur noch Totmacher, Knopfdruck-Totmacher. Und den Knopfdrucksoldaten stehen meistens sogenannte Taliban gegenüber, die aus dem Dunkeln heraus zuschlagen und bei ihren Attentaten bevorzugt Zivilisten umbringen. Auch diese „Kämpfer“ halten sich an keinerlei Konventionen – bezeichnen sich aber ebenfalls als Soldaten, als „Soldaten Allahs“.

Betrachtet man dies alles, so wird der Gedanke unabweisbar, daß wir wahrhaftig keine fiktiven Nachrufe auf den Soldaten brauchen, vielmehr eine klare Erinnerung an das, was dieser Begriff „Soldat“ ursprünglich bedeutete und was er – trotz aller Abgründe – Nobles bewirkt hat. Wenn es schon Kriege geben muß, so sollen sie wenigstens gehegt werden.

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