© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/14 / 23. Mai 2014

Empfindsam für das Kommende
Vorausgeahnt und gestaltet: Ausstellung in London zum Ersten Weltkrieg
Sebastian Hennig

Es ist nicht so, daß die Wandlungen im künstlerischen Ausdruck aus dem Fortschritt von Naturwissenschaft und Technik oder aus einschneidenden geschichtlichen Ereignissen resultieren. Die Künstler ziehen nicht wie blutdurstige Schnecken auf der Spur äußerer Katastrophen hinterdrein. Das Wissen um die Spaltbarkeit des Atoms oder die Raum-Zeit-Krümmung, die Erfindung des Lichtbildes oder der industrielle Stellungskrieg haben nicht die Formsprache der Maler erschüttert. Vielmehr verbindet sich bei den großen Künstlern ein starker Stilwille mit außergewöhnlicher Empfindsamkeit für das Kommende. Dieses wird vorausgewittert und seiner Gestalt nach geradezu prophetisch in Bild, Klang oder Verse gesetzt.

1959 veröffentlichte der US-amerikanische Dichter Ezra Pound seine „Rock Drill Cantos“. Sie entstanden noch während seiner Unterbringung in der Irrenanstalt für Kriminelle des St. Elizabeths-Krankenhauses in Wa-shington. Er skizzierte die Absicht dieser Folge: „Bellum cano perenne (Ich singe vom ewigen Krieg) – mit dem verglichen der Kampf um Troja nicht mehr als ein Mückenstich ist – zwischen den Wucherern und dem rechtschaffenen Mann.“

Wegen des unnachgiebigen Einsatzes in finanzpolitischen Belangen wurde Pound von seinem Kollegen Wyndham Lewis als Rock Drill, Fels-Bohrer, tituliert. „Rock Drill“ heißt auch eine fortizististische Skulptur von Jacob Epstein von 1913/14.

Es gibt wohl kein Kunstwerk, das mit so sturer Gewaltsamkeit den lebensfeindlichen Geist der Zeit ausdrückte. Ein schematisierter Affe mit Hundekopf steht auf einem Stativ und bedient einen Schlagbohrer. Der Oberkörper-Torso dieser Installation steht nun in der Ausstellung über den Großen Krieg in der National Portrait Gallery in London.

Wie die italienischen Futuristen huldigten auch die Londoner Fortizisten der Geschwindigkeit und der modernen Mechanik. Die Totalität des Krieges wurde nicht nur vorausgeahnt. Die künstlerische Avantgarde betätigte sich geradezu als Kriegstreiber. Rock Drill ist die fortizistische Entsprechung zum italienischen La Testa di Ferro. So hieß eine Zeitschrift des politischen Futurismus. Die Felsbohrer und Eisenschädel haben dann die Menschen in die Erde gepflügt am Isonzo wie an der Somme.

Malerisch haben die Deutschen dann doch den Krieg gewonnen. Die Ausstellung zeigt einen Max Beckmann mit rotem Schal, einen afrikanisierendes Soldaten-Selbstbildnis des Brücke-Malers Ernst Ludwig Kirchner. Lovis Corinth malte seinen 39jährigen Künstlerkollegen Hermann Struck im Waffenrock. Struck war als Referent für Jüdische Angelegenheiten beim Oberkommando Ost tätig.

Friedlich vereint hängen gemalte Feldherren-Bildnisse der Marschälle Haig, Hindenburg und Foch. Brusilov findet sich nur im Lichtbild, wie viele berühmte Soldaten. Neben Siegfried Sassoon begnen wir Wyndham Lewis wieder, dem die Zigarette lässig an der Unterlippe klebt. Sein Kollege als offizieller Kriegskünstler William Orpen leitet dann wieder zur farbenprächtigen Ölmalerei über. Er hat sich wiederholt als Dandy des Krieges mit Pelz und Siphonflasche dargestellt. Es ist nur der Anfang eines ganzen Reigens von Weltkriegsausstellungen in London.

Das Imperial War Museum wird bis zum 19. Juli überholt, um sich in völlig neuer Gestalt zum Jahrestag zu präsentieren. Bereits am 11. Juni wird im Cartoon Museum die dann bis Mitte Oktober laufende Ausstellung „Never Again! World War I in Cartoon and Comic Art“ eröffnet.

Auf der Internetseite www.1914.org werden die Veranstaltungen zusammengeführt.

Die Ausstellung „The Great War in Portraits“ ist noch bis 15. Juni in der Londoner National Portrait Gallery, St Martin’s Place, täglich von 10 bis 18 Uhr, Do./Fr. bis 21 Uhr, zu sehen. Telefon: 0044 / (0)20 / 73 06 00 55

Der Ausstellungskatalog mit 176 Seiten und 140 Abbildungen kostet 18,95 Pfund.

www.npg.org.uk

www.iwm.org.uk

www.cartoonmuseum.org

www.1914.org

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