© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/14 / 23. Mai 2014

Lehrstunden in Kapitalismus
Kino: „Zeit der Kannibalen“ von Johannes Naber
Andreas Zöllner

Es hat etwas von einem vergifteten Lob an sich, den Kinofilm „Zeit der Kannibalen“ als ein virtuoses Kammerspiel zu preisen. Freilich ist es so, daß hier nur drei Schauspieler miteinander und gegeneinander auftreten. Alle weiteren Menschen kommen lediglich als Assistenzpersonen, Kleindarsteller oder entfernte Korrespondenten vor. Und die Kammer ist eng. Die ganze Handlung ereignet sich in Hotelzimmern, seltener Konferenzräumen, die sich gleichbleiben. Nur der tamilische oder schwarzafrikanische Zimmerdienst schärft das geographische Profil. Kannibalen und Kannibalenfutter sind sie jedoch alle, blonde Bestien, schwarze Bestien, braune Bestien.

Mit knappen Worten hinrichten

Frank Öllers (Devid Striesow) und Kai Niederländer (Sebastian Blomberg) sind ein eingespieltes Duo von Unternehmensberatern. Wir sind Zeuge, wie sie abhängige Unternehmer mit knappen Worten hinrichten und ihnen zugleich die eigene Exekution als Lehrstunde in angewandtem Kapitalismus verkaufen. Dann wird die umweltbewegte Weltverbesserin Bianca März (Katharina Schüttler) zu ihnen entsandt, um den beiden Männern zur Seite zu stehen und einen von ihnen zugleich zu ersetzen. Diesmal sind sie selbst in das nervenaufreibende Spiel gezogen.

Regisseur Johannes Naber ist kein Einsicht erheischender Moralist. Er arbeitet als Filmautor mit den Stoffen, die ihm die Wirklichkeit anbietet und verschiebt dabei nur einige Anlässe, Folgen und Bedingtheiten ins ästhetisch Förmliche, das der Film als Kunstform gebietet. Sein knapper Kommentar lautet: „Diesem absurden Zustand kann man nur mit einem absurden Film begegnen.“

Mit „Zeit der Kannibalen“ steigt Naber in den Maschinenraum des absackenden Tankers Abendland. Es sind die Ungeheuer, welche der Schlaf der Vernunft geboren hat. Und es ist die Frau, die schließlich noch Versuche zur Wahrung unternimmt, indem sie einen schweren Brocken unter die Klinke der Zimmertür stemmt. Der clevere Triumph, vielleicht doch vom Werkzeug der Rache übergangen worden zu sein, ragt sogleich in das fassungslose Entsetzen. Der Fassung hat man sich entledigt, so muß es auf die letzte Frage: „Kann einer von euch ein Gebet. Ein Gebet bitte“ heißen: „Ich hab das nie gelernt.“ Schüsse krachen gegen die Tür. Die Leinwand fällt ins Dunkel. Filmriß für den Kannibalen-Kapitalismus. Und Nachspann. Denn auch die Untergangsparty wird noch von ihm gesponsert.

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