© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/14 / 23. Mai 2014

Verstreute Feilspäne im Magnetfeld der Liebe
Quecksilbriger Johannisabend am Rhein: Verdis Komödie „Falstaff“ in einer Neuinszenierung am Nationaltheater Mannheim
Sebastian Hennig

Es gibt Huldigungen, die vom Gefeierten als Angriff empfunden werden. So hat keine Zurücksetzung Giuseppe Verdi so verletzt wie eine Ehrung durch die Aufstellung einer Büste von ihm im Foyer der Mailänder Scala. Es war für ihn unerträglich, sich derart musealisiert zu sehen. Als höchst lebendiger Künstler hat er sich zu einer Revanche herausgefordert gefühlt.

Als schöpferische Antwort gab es am nämlichen Ort ein Lebenszeichen von besonderer Rasanz. Seine letzte Oper „Falstaff“ von 1893 enthält keinen einzigen Ohrwurm zum Mitsingen und ist doch ein unausgesetzt pulsierender Gesang von den Irrungen und Wirrungen des Lebens selbst. Wie in Richard Wagners „Die Meistersinger von Nürnberg“ bändigt die Macht der Liebe gesellschaftliches Chaos in eine Ordnung. Wie verstreute Feilspäne im Magnetfeld zu harmonischer Bildung zusammenschießen, so flattern die triebhaften Menschen zu melodischen Figuren großer Anmut.

Hier wie da dreht sich das Geschehen um einen Hans. Doch anders als der weise Schuster Hans Sachs ist dieser John Falstaff ein Wanst, Vielfraß und Schwerenöter, wie er schon durch zwei Königsdramen Shakespeares taumelt. „Die lustigen Weiber von Windsor“ bildete die Vorlage für Boitos Libretto. Es ist die einzige Komödie von Shakespeare, die in England spielt.

In seiner Wagner/Verdi-Parallelbiographie (JF 19/13) schreibt Eberhard Straub über „Falstaff“: „... mächtiger als die Vernunft ist die Liebe, die einzig wahre Empfindung in diesem Stück, der Verdi betörende, herzbezwingende Töne verleiht.“ Am Staatstheater Mannheim dürfen diese Klänge so tönen, daß durch sie die Sinne des Publikums betört und seine Herzen bezwungen werden. Die Maskerade zur Täuschung des Verblendeten wird als echter Feenzauber gegeben. Falstaff (Thomas Jesatko) verfällt ihr nur beinahe.

Falstaffs Wünsche erfüllen sich nicht

Ganz hingegen vermag der Saal des Mannheimer Theaterbaus zu verzaubern. In der Inszenierung von Christof Nel sind die Damen und Herren auf der Bühne in den bundesrepublikanischen Chic der fünfziger Jahre gewandet. Eine Bühne auf der Bühne klafft als ein roter Mund. Nach jeder Szene wird aus ihr der Vorhang von hinten wie eine große Zunge herausgezogen. Nachdem er zuvor mit dem Bade ausgeschüttet wurde, wühlt sich Falstaff im letzten Aufzug aus diesen roten Tuchmassen wieder hervor und ruft sogleich nach Bedienung und Getränk. Ein solcher animalischer Instinkt wirkt fast schon heldenhaft angesichts der ratlosen Beflissenheit, mit der die anderen durchs Leben hasten.

Wenn auch unfreiwilliger als Hans Sachs, so erfüllen sich auch John Falstaffs Wünsche am Ende nicht. Er ist der Dumme und doch zugleich der Klügere. Denn im Beiseite- und Darüberstehen glückt ihm das Menschsein. Anders als Sachs gelingt ihm der Durchbruch zur Abgeklärtheit nicht im bedächtigen Nachsinnen. Es bedarf eines erfrischenden Schocks, um ihn seines Wahns inne werden zu lassen.

Aber auch Falstaff wird damit zum Anlaß des Glückes zweier junger Menschen. Die Menschheit gruppiert sich zuletzt um den höchsten Ausdruck ihrer Lebenskraft in Nannetta (Eunju Kwon) und Fenton (Juhan Tralla).

Die nächsten „Falstaff“-Vorstellungen am Nationaltheater Mannheim, Mozartstr. 9, finden statt an diesem Donnerstag und am 4. Juni um 19.30 Uhr. Kartentelefon: 0621 / 16 80-150

www.nationaltheater-mannheim.de

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