© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/14 / 23. Mai 2014

Von „berüchtigten Freikorps“ und „fortschrittlichen Revolutionären“
Ein Sammelband untersucht die paramilitärische Gewalt in den europäischen Staaten nach dem Ende des Ersten Weltkriegs
Hans-Joachim von Leesen

Den an irischen Universitäten lehrenden Historikern Robert Gerwarth und John Horne gelang es, Kollegen aus Litauen, Deutschland, Italien, Finnland oder der Ukraine zu bewegen, Beiträge zu einem Sammelband über Bürgerkriege, Unruhen, Revolutionen nach dem Ersten Weltkrieg zu liefern, der jetzt in deutscher Übersetzung vorliegt.

Solche meist von paramilitärischen Verbänden ausgetragenen Konflikte, die in manchen Fällen noch Jahre nach Kriegsschluß die Länder erschütterten, belegen, daß es den Siegermächten nicht gelungen war, ihre vorgeblichen Kriegsziele – sei es das Selbstbestimmungsrecht der Völker, sei es einen gerechten Frieden – durchzusetzen. Die Beiträge schildern nicht nur den Verlauf der jeweiligen Konflikte, sondern man wollte auch die Frage beantworten, warum nach vierjährigem blutigen Krieg immer noch Millionen Männer bereit waren, anstatt die Waffen niederzulegen, weiterhin für ihre Ziele das Leben einzusetzen. Bislang wurde diese Frage häufig mit der Behauptung beantwortet, in den paramilitärischen Verbänden hätten sich Männer zusammengefunden, die besonders zu Brutalität neigten; ihre Anlage zur Gewaltanwendung mußte sich nach dem Kriege irgendwo anders Bahn brechen.

Der Kombattant wird zum politischen Soldaten

Eine solche Theorie wird von mehreren Autoren jedoch abgelehnt. Sie sehen stattdessen in der fehlenden „kulturellen Demobilisierung“ die Ursache weiterer militärischer Handlungen, wobei der Leser vergeblich nach einer schlüssigen Definition des Begriffes sucht. Tatsächlich dürften die Motive und Anlässe für den Nachkrieg, wie die Ereignisse in Deutschland bezeichnet wurden, von Land zu Land verschieden gewesen sein. Hier trat man ein für das Selbstbestimmungsrecht des eigenen Volkes, das ihm von den Siegern verweigert worden war, dort kämpfte man gegen eine Fremdherrschaft; hier wollte man die alte Ordnung stürzen, dort lehnte man neue Herrschaftsformen ab. So waren die Mitglieder der paramilitärischen Verbände – und darin sind sich die Verfasser der Beiträge einig – politische Soldaten.

Daß manche Autoren eine politische Schlagseite haben, kann man aus Kleinigkeiten schließen. So wird dem Begriff „Freikorps“ fast immer das Adjektiv „berüchtigt“ angeheftet, ohne diese „Anrüchigkeit“ näher zu begründen. Auch werden ausführlich wirkliche oder angebliche Untaten der „Konterrevolutionäre“ angeführt, während man vergebens nach einer Erwähnung jener Bluttaten sucht, die auf das Konto von „fortschrittlichen Revolutionären“ gehen wie etwa die Geiselmorde während der Münchener Räterepublik 1919. Bezeichnend auch, daß mehrmals behauptet wird, die Furcht vor dem Kommunismus sei „übertrieben“ oder „aus der Luft gegriffen“ gewesen.

Von paramilitärischen Verbänden ausgetragene revolutionäre Bewegungen fand man – Italien ausgenommen – hauptsächlich in Ländern, die zu den Verlierern des Ersten Weltkrieges zählten, was nicht verwundert, hatten doch dort die Sieger ihre Kriegsziele oft zum Nachteil dieser Völker durchgesetzt.

Einen weiteren Sonderfall stellte Großbritannien dar. Das Buch gibt Auskunft über den Aufstand der Iren auf ihrer Heimatinsel gegen die englische, seit vielen Jahrhunderten andauernde Unterdrückung und über die brutalen Methoden Londons, seine Herrschaft in Irland aufrechtzuerhalten. Es waren aus ehemaligen Soldaten gebildete Sondereinheiten, die sich unter dem Namen „Black and Tans“ als Gegenpartisanen gegen die irische IRA verstanden. Sie brannten Dörfer nieder, folterten Gefangene, vergewaltigten irische Frauen und Mädchen. Ein hoher britischer Offizier wird zitiert, der die Einsätze der „Black and Tans“ als die „dunkelste Seite des parlamentarischen Krieges, den Großbritannien 1920–21 in Irland geführt hat“, bezeichnete.

In fast allen Fällen war Voraussetzung für das Auftreten von paramilitärischen Verbänden das Fehlen einer funktionierenden Staatsgewalt, so auch in den ersten Nachkriegsjahren im Deutschen Reich. Die Darstellung des deutschen Nachkrieges ist unbefriedigend, was auch daran liegen mag, daß man unter der herangezogenen Quellenliteratur frühe Standardwerke wie Gustav Noskes „Von Kiel bis Kapp“ bis zu dem von Ernst Jünger herausgegebenen Sammelband „Der Kampf um das Reich“ vergeblich sucht. Aber auch die in der DDR erschienenen einschlägigen Werke oder populäre Publikationen aus der Bundesrepublik wie Hansjoachim Kochs „Der deutsche Bürgerkrieg“ (1978) wurden übergangen.

Robert Gerwarth, John Horne (Hrsg.): Krieg im Frieden. Paramilitärische Gewalt in Europa nach dem Ersten Weltkrieg. Wallstein Verlag, Göttingen 2013, gebunden, 347 Seiten, 29,90 Euro

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