© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/14 / 23. Mai 2014

Der Lachs aus der Nachbarschaft
Urbaner Gartenbau weiterentwickelt: Ernährung für die Stadt der Zukunft
Heiko Urbanzyk

Urban Farming“ ist den Deutschen als Trend aus Berlin bekannt. Junge Familien in linksalternativer Kleidung, Eltern mit Rastalocken oder „Undercut“ bauen ihr Gemüse auf Brachflächen mitten in der Stadt an. Das ist eigentlich nicht neu. Die Allmende, die gemeinschaftlich genutzte dörfliche Weide oder Obstwiese, ist eine jahrhundertealte deutsche Institution; das Gemüsebeet war noch fester Bestandteil im Garten unserer Großeltern. Das alte Wissen professionalisiert derzeit das Schweizer Unternehmen „Urban Farmers“. Fischzucht und Gemüseanbau für jedermann mitten in der Stadt ist das Ziel. Die Minibauernhöfe könnten einen wichtigen Beitrag zur Welternähung leisten.

Fischzucht mit integriertem Gemüseanbau

Mitten in Basel findet sich die Aquaponics-Dachfarm, also ein Bauernhof auf den Dächern der Schweizer Großstadt. Sie ist in ganz Europa das erste Projekt dieser Art und wird von der Urban Farmers AG (UF) des Schweizers Roman Gaus betrieben. Eigentlich gehe es beim „Urban Farming“ nur um die Begrünung der Stadt, meint Gaus. Weitere Ziele seien Selbstversorgung und die Ernährung der Stadtmenschen, sagt der Wirtschaftswissenschaftler. Die Dachfarm könne bereits einen Teil der Nahrungsproduktion Basels decken. Schon heute beliefert dieses Projekt fünf Restaurants in Basel.

Wie es der Name „Aquaponik“ im Deutschen nur bedingt andeutet (er verbindet die englischen Begriffe „aquaculture“ und „hydroponic cultivation of plants without soil“), geht es um eine Verbindung von Fischzucht in Aquakulturen mit Gemüseanbau in einem geschlossenen Kreislauf. Das mit dem Kot der Fische verunreinigte Wasser wird in Kanälen durch die Gemüsebeete auf den Dächern geleitet. Die Pflanzen nehmen die Nährstoffe aus dem Kot auf; zugleich wird das Wasser gereinigt und fließt wieder zu den Fischen zurück. Es werden keinerlei Kunstdünger, Pestizide oder Antibiotika benötigt. Die treibhausähnlichen Bauten nutzen neben der Sonneneinstrahlung sogar die Wärmeverluste des Gebäudedaches mit. Die Aquaponik-Anlage umfaßt gerade einmal 250 Quadratmeter – das entspricht einem ordentlichen Zweifamilienhaus. Die Fläche reicht zur jährlichen Erzeugung von 800 Kilo Fisch und fünf Tonnen Gemüse. Das sind nach Gaus „ungefähr Lebensmittel für 100 Leute“. Er rechnet hoch, wie viele Flachdächer es in der Stadt gibt und folgert, daß bis zu 30 Prozent der Lebensmittel, welche die Basler benötigen, in der Stadt selbst produziert werden könnten.

Doch wollen wir unsere Lebensmittel aus derartiger „Produktion“? Gemüse aus dem Gewächshaus schockiert heute niemanden mehr. Bei Fisch aus Aquakulturen ist die Akzeptanz niedriger. Informierte Verbraucher denken an eine maritime Form von Massentierhaltung, bei der die Tiere in ihren eigenen Fäkalien schwimmen. Chemikalien und Antibiotika in der Zucht verpesten die Umgebung der Fischfarmen. Die Zucht von einem Kilo Thunfisch benötigt 25 Kilogramm Futterfische. Trotzdem ist Fisch aus Aquakulturen auf unseren Tellern nicht ungewöhnlich. Nur knapp die Hälfte des Fisches wird noch im Meer gefangen: 80 Millionen Tonnen. Bereits das verkraften die natürlichen Fischbestände nicht. Die übrigen 65 Millionen Tonnen Fisch stammen aus Fischfarmen. Der Anteil steigt jährlich um acht Prozent.

Der Stadtbauernhof für jedermann

Die Aquaponik funktioniert fern von Massentierhaltung, Pestiziden und Antibiotika; ökologische Verträglichkeit zählt. Die Fisch- und Gemüsefarm mit integriertem Düngerkreislauf soll künftig als Komplettbausatz „schlüsselfertig“ an die Kunden geliefert werden. Ins Visier genommen werden unter anderem Supermärkte, die ihre Frischware direkt auf den Marktdächern anbauen wollen. Aber auch der Stadtbauernhof für jedermann soll eines Tages möglich sein. Besonders groß sei das Interesse in Singapur, Saudi-Arabien, überhaupt in Südostasien. Diese Länder seien stark importabhängig und erhoffen sich durch das „Urban Farming“ Lebensmittelsicherheit und mehr Unabhängigkeit.

Erste „UF“-Anlagen wurden bereits nach Berlin, Zürich und Den Haag geliefert. Im Schweizer Dreispitz, einem riesigen Gewerbe- und Dienstleistungsgebiet in Basel, hat UF eine Anlage samt eigenem Verkaufsstand in einem Einkaufszentrum stehen.

Im Jahr 2050 werden etwa 9,7 Milliarden Menschen auf der Erde leben, davon allein sechs Milliarden in den Städten. Gleichzeitig wird fruchtbares Ackerland immer seltener – jährlich „verschwindet“ weltweit eine Fläche von der Größe der Bundesrepublik unter Asphalt und Beton oder wird durch Katastrophen verseucht. Könnte „Urban Farming“ die Stadt der Zukunft zumindest zu einem erheblichen Teil ernähren? Wahrscheinlich muß es das sogar.

Foto: Tempelhofer Feld in Berlin, grün bebaut: Lebensmittel mitten in der Stadt erzeugen – früher gang und gäbe, heute ultrainnovativ

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen