© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/14 / 30. Mai 2014

„Wir wollen Flagge zeigen“
Am Samstag versammeln sich in der Hauptstadt erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik die Veteranen der Bundeswehr zu einem Veteranentag. Christian Bernhardt ist Vorsitzender ihres Verbandes, der damit eine neue Tradition begründen will.
Moritz Schwarz

Herr Bernhardt, was erwartet uns am ersten Bundeswehr-Veteranentag in der Geschichte der Bundesrepublik?

Bernhardt: Wir beginnen mit einer Motorradfahrt quer durch Berlin im Gedenken an unsere gefallenen Kameraden. Organisiert wird diese von den Recondo Vets, einem Military-Biker-Club unter dem Motto: „Erinnern an die, die ihr Leben in Pflichterfüllung gegeben haben.“

Aber diese Fahrten fanden schon in der Vergangenheit statt.

Bernhardt: Stimmt, und deshalb haben wir beschlossen, sie künftig in unsere Veteranentreffen zu integrieren. Wir hoffen, in diesem Jahr die Teilnehmerzahl von zweihundert Bikern zu erreichen und damit die der vorangegangen Jahre zu übertreffen. Außerdem werden die Fahrer erstmals Transparente mitführen, um bei den Bürgern für unser Anliegen Flagge zu zeigen. Die Gedenkfahrt führt zum Ehrenmal der Bundeswehr im ehemaligen Bendlerblock, dem Sitz des Bundesverteidigungsministeriums, wo wir mit einer Kundgebung und Kranzniederlegung unserer toten Kameraden gedenken. Am Nachmittag widmen wir uns dann den Lebenden mit einer Podiumsdiskussion zum Thema „Einsatzarmee der Zukunft“. Und abends steigt ein großes Grillfest mit Live-Musik.

Wer kann am Veteranentag teilnehmen?

Bernhardt: Wir hoffen auf bis zu 700 Veteranen aus ganz Deutschland, aber keineswegs ist das Treffen nur für uns da. Vielmehr sind alle Bürger herzlich eingeladen, mit uns zu gedenken und zu feiern. Der Eintritt ist kostenlos, allerdings nur mit Eintrittskarte nach Anmeldung beim Bund Deutscher Veteranen.

Die Orte des Tages sind der Hinterhof des Verteidigungsministeriums, der Konferenzsaal eines Hotels und ein Festplatz. Gehört der Veteranentag nicht auf den Platz vor dem Reichstag?

Bernhardt: Immerhin geht die Gedenkfahrt der Biker mitten durch die Hauptstadt. Aber im Grunde haben Sie recht, schließlich ist die Bundeswehr eine Parlamentsarmee, und der Bundestag ist es, der uns in Auslandseinsätze schickt. Der Platz vor dem Reichstag – das wäre eine Vision für die Zukunft, wenn es uns gelingt, den Veteranentag politisch durchzusetzen.

Schon 2012 hat die Politik die Einführung eines offiziellen Veteranentages versprochen. Verteidigungsminister de Maizière verkündete damals vollmundig: „Die Zeit dafür ist reif!“

Bernhardt: Ja, und wir warten immer noch. Aber Politik ist das Bohren dicker Bretter, da muß man Geduld haben.

Angeblich wollte de Maizière die Betreuung der Veteranen zu einem Schwerpunkt seiner Amtszeit machen. Angekündigt war, bis Ende 2012 ein Veteranenkonzept vorzulegen, das unter anderem die Einführung eines Veteranenabzeichens, die Gründung von Veteranenheimen oder das Amt eines Sonderbeauftragten umfassen sollte. Was ist daraus geworden?

Bernhardt: Das fragen Sie mal die Politik. Tatsache ist, daß wir zumindest, was das Veteranentreffen angeht, die Sache jetzt selbst in die Hand genommen haben. Denn lange haben wir gehofft, den ersten Veteranentag als einen gemeinsamen Tag der Politik und der Soldatenverbände – Bund Deutscher Veteranen, Reservistenverband und Deutscher Bundeswehrverband – begehen zu können.

Aber auch der Bundeswehrverband, der größte deutsche Soldatenverband, unterstützte den Vorschlag öffentlich: „Wir begrüßen das Vorhaben uneingeschränkt ... der Veteranentag bekommt von uns alle Unterstützung, die er braucht.“

Bernhardt: Tja, wie gesagt, bis heute warten wir. Aber wir wollen die Hand weiter ausgestreckt lassen. Deshalb – und da hätte ich Sie eigentlich gleich zu Beginn schon korrigieren müssen – sprechen wir offiziell nur vom ersten „Veteranentreffen“, in der Hoffnung, wenn die Politik endlich soweit ist, gemeinsam mit ihr in Zukunft den ersten offiziellen Veteranentag begehen zu können.

Aber im Werbevideo auf Ihrer Netzseite ist vom ersten „Veteranentag“ 2014 die Rede.

Bernhardt: Das Video wurde produziert, bevor wir uns in einem Gespräch mit dem Bundesverteidigungsministerium dann doch auf die provisorische Sprachregelung „Veteranentreffen“ geeinigt haben, um die Tür offenzuhalten.

Wo liegt eigentlich das Problem?

Bernhardt: Die Politik ist eben einfach noch nicht soweit.

Vielleicht will sie gar nicht soweit sein?

Bernhardt: Das frage ich mich manchmal auch.

Der Wehrbeauftragte des Bundestages hat seine Zusage für Ihre Podiumsdiskussion wieder zurückgezogen.

Bernhardt: Leider ja.

Warum?

Bernhardt: Terminprobleme.

Müßte der Veteranentag für einen Wehrbeauftragten nicht ganz oben rangieren?

Bernhardt: Eigentlich schon. Wir sind auch nicht begeistert, aber immerhin kommt etwa der verteidigungspolitische Sprecher der SPD, Rainer Arnold.

Die USA haben 2001 den Afghanistan-Feldzug binnen fünf Wochen auf die Beine gestellt. Warum kann die Bundespolitik nicht binnen zwei Jahren einen Veteranentag schaffen?

Bernhardt: Natürlich stimmt es, Politik und Parlament ducken sich weg, wo sie eigentlich die Verantwortung haben.

Warum?

Bernhardt: Jahrzehntelang hatten wir in Deutschland eine gesellschaftliche Entwicklung weg von allem Militärischen. So ist verständlich, daß sich bei dem Thema alle schwertun. Ich habe Verständnis, wenn die Politiker vor dem Problem stehen, daß die Bevölkerung mit Krieg, Tod, Verwundung und Traumatisierung ihrer Soldaten bei Kampfeinsätzen nichts zu tun haben möchte.

Also liegt die Schuld beim deutschen Volk?

Bernhardt: Nun ja, wir Deutschen sind in der Nachkriegszeit doch quasi in einer großen Friedensbewegung groß geworden, gesellschaftliche Devise: „Nie wieder Krieg!“ Natürlich können da weder Volk noch Politik richtig mit der Tatsache umgehen, daß Deutschland sich plötzlich wieder an Kampfeinsätzen beteiligt, daß es Bündssolidarität üben und eigene nationale Interessen definieren und verfolgen muß. Andererseits: Wir bekommen sowohl im Ministerium wie im Parlament öfter zu hören, daß die öffentliche Wertschätzung der Bundeswehr und der Soldaten im Einsatz aus der Bevölkerung erwachsen müsse. Und da sagen wir ganz klar: Nein! Den ersten Schritt hat die Politik zu machen. Ich kann von Otto Normalverbraucher nicht erwarten, daß er nach vierzig Jahren Friedensbewegung plötzlich anfängt, die Soldaten wertzuschätzen. Das muß ihm von Politik und Parlament erst mal erklärt und auch vorgelebt werden!

Dann ist es letztlich also doch die Politik, von der Sie enttäuscht sind?

Bernhardt: Also, wenn ich bedenke, daß die Politik bis heute zum Beispiel keine Bemühungen unternommen hat, um überhaupt einmal festzustellen, wie viele Bundeswehr-Veteranen es gibt. Wenn ich bedenke, daß sie bei uns, dem Bund Deutscher Veteranen, nicht mal nachfragt, was wir ehemaligen Kämpfer denken und fordern. Dann zeigt mir das allerdings, daß das Problem nicht nur eine historisch erklärbare Unzulänglichkeit ist, sondern daß wir Veteranen es in der Tat auch ganz einfach mit Desinteresse zu tun haben. Verteidigungsminister de Maizière sagte einmal, die Politik habe erkannt, daß hinter dem, was bürokratisch abzuarbeiten sei, immer auch ein Mensch steckt. Wenn man dies weiterdenkt, müßte die Politik ebenso erkennen, daß auch die Bundeswehreinsätze von Menschen und ihren Familien getragen werden.

Und was ist mit der neuen Verteidigungsministerin?

Bernhardt: Die muß sich verständlicherweise erst mal um die aktive Truppe kümmern, bevor sie sich mit den Veteranen beschäftigen kann. Allerdings hoffen wir, daß ihr Sinn für soziale Aspekte, den sie bisher in ihrem neuen Amt ja gezeigt hat, sie auch für die Belange der Veteranen empfänglich macht. Noch hatten wir kein Gespräch mit ihr. Wobei letztlich nicht der Kontakt zum einzelnen Minister entscheidend ist, sondern der zu den Arbeitsebenen des Ministeriums. Und das Ministerium wiederum stellt für uns das kleinere Problem dar, das größere ist das Parlament, wo die genannten Vorbehalte gegen das Thema „Folgen der Auslandseinsätze der Bundeswehr“ aus den schon genannten Gründen eher anzutreffen sind.

Warum überhaupt ein Veteranentag? Es gibt doch schon den nach dem Ersten Weltkrieg geschaffenen Volkstrauertag.

Bernhardt: Der Volkstrauertag ist wichtig, aber er ist traditionell der Tag der Gefallenen – die meisten Veteranen aber sind quicklebendig.

Der Volkstrauertag ist der Tag der Veteranen der Weltkriege. Treiben Sie also nicht einen Keil zwischen die Generationen, wenn Sie einen eigenen Tag etablieren?

Bernhardt: Es geht darum, daß wir nicht hinter dem Volkstrauertag verschwinden wollen. Denn dann wäre etwa von seiten der Politik am Volkstrauertag einfach ein Kranz mehr niedergelegt und noch ein Halbsatz ins Redemanuskript eingefügt worden, fertig. Nein, wir Bundeswehr-Veteranen wollen unseren eigenen Tag! Es gibt inzwischen vermutlich etwa 200.000 von uns und jährlich werden es etwa 15.000 bis 20.000 mehr.

Aber der Krieg in Afghanistan geht doch nun angeblich zu Ende.

Bernhardt: Dennoch bleibt ein Restkontingent am Hindukusch, und außerdem bin ich sicher, daß es immer wieder neue Auslandseinsätze geben wird.

Warum hat Ihr BDV nur knapp 1.000 Mitglieder, wenn es so viele Veteranen gibt?

Bernhardt: Das hat zwei Gründe: Zum einen helfen wir jedem Veteranen, der sich an uns wendet, ohne zu verlangen, daß er erst Mitglied wird. Also, anders als andere Verbände können wir nicht damit werben, daß die Mitgliedschaft bei uns einen Vorteil bringt. Mitglied ist man bei uns aus idealistischen Gründen. Zum anderen sind wir bei vielen Soldaten und Veteranen immer noch unbekannt. Einmal, weil wir immer noch nicht überall bei der Bundeswehr Zugang haben, aber auch weil wir ein kleiner Verband sind, der nicht die Ressourcen für eine große Öffentlichkeitsarbeit hat. Ein politisch unterstützter und öffentlich entsprechend begangener Veteranentag könnte da natürlich helfen!

Wann wird die Politik denn soweit sein?

Bernhardt: Ich hoffe nächstes Jahr – aber das haben wir letztes Jahr auch schon gehofft ...

Und wenn die Politik ein anderes Datum fordert?

Bernhardt: Dann müssen und werden wir uns einigen.

Das heißt, es bleibt vielleicht nicht beim ersten Juni-Wochenende?

Bernhardt: Möglicherweise nicht.

In der Diskussion waren alle möglichen historischen Daten.

Bernhardt: Ich weiß, aber egal ob man die Gründung der Bundeswehr am 12. November 1955 beziehungsweise am 22. Mai 1956 nimmt oder den Beginn der Auslandseinsätze am 1. Juli 1992, den Anschlag auf den Bundeswehrbus in Kabul am 7. Juni 2003 oder vielleicht das Karfreitagsgefecht von Kundus am 2. April 2010 – alle haben sie einen Nachteil: Immer gibt es zahlreiche Kameraden, die sich mit dem Datum nicht direkt identifizieren können. Deshalb haben wir uns für eine rein praktische Lösung entschieden: Das Wochenende nach Himmelfahrt ermöglicht den meisten Veteranen, die arbeiten müssen und oft auch Familie haben, frei- und am Treffen teilzunehmen. Denn darum soll es am Veteranentag ja schließlich gehen: um die Menschen!

 

Christian Bernhardt, ist Vorsitzender des Bundes Deutscher Veteranen (BDV). Der ehemalige Unteroffizier diente ab 1994 und war 2003 als Angehöriger eines ABC-Abwehrbataillons im Irak-Krieg im Einsatz, wo seine Einheit den Aufmarsch der US-geführten Koalition sicherte. Mehrfach war Bernhardt feindlichem Raketenfeuer ausgesetzt, kehrte nach 47 Tagen mit einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) in die Heimat zurück. Die Anerkennung seiner Kriegsversehrung mußte er erst vor Gericht durchsetzen. 2005 nahm er seinen Abschied von der Truppe und begann eine Ausbildung zum Berufsfeuerwehrmann, die er aber wegen seines Traumas abbrechen mußte. 2009 gründete er mit zehn Kameraden den ersten allgemeinen Veteranenverband ehemaliger Bundeswehrsoldaten (Logo oben), der sich für die Interessen sowohl ausgeschiedener wie aktiver Einsatzveteranen engagiert.

Foto: Veteranen der Bundeswehr gedenken ihrer gefallenen Kameraden (Mai 2013 in Berlin): „Erinnern an die, die ihr Leben in Pflichterfüllung gegeben haben“

 

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