© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/14 / 30. Mai 2014

„Das ist ein gewaltiger Sprung“
Im Gespräch: Bernd Kölmel, Platz drei der AfD-Europaliste und nun einer ihrer sieben Europaabgeordneten, über den Wahlerfolg der jungen Partei
Moritz Schwarz

Herr Kölmel, „die AfD ist der Sieger des Wahlabends“ (Inforadio des RBB). Wieso wurde der „Sieger der Wahl“ nicht anschließend auch der Fernsehnation in der „Günther Jauch“-Sendung präsentiert?

Kölmel: Gute Frage, die Sie aber Günther Jauch stellen müßten.

Nach der Bundestagswahl durfte Herr Lucke in dessen Runde nicht Platz nehmen, weil Vertreter der Etablierten für diesen Fall mit Fernbleiben drohten.

Kölmel: Die Etablierten glauben immer noch, uns mit der Strategie des Totschweigens zum Scheitern zu bringen. Wie man sieht, funktioniert das nicht.

Intern hatte die Partei damit gerechnet, sechs Sitze zu gewinnen, jetzt sind es sieben geworden.

Kölmel: Viele Umfragen sahen uns bei sechs Prozent, daß es nun sieben Prozent sind, ist ein toller Achtungserfolg. Allerdings geht es nicht nur um die Prozentzahl. Jeder Abgeordnete mehr in Brüssel zählt! Denn wir wollen nicht nur ins Europaparlament einziehen, sondern dort auch Arbeit leisten. Sieben Abgeordnete, das bedeutet etwa 15 Prozent mehr Arbeitskraft, das bedeutet, daß wir in einem weiteren Ausschuß vertreten sein werden, und das bedeutet, eine Stimme mehr, um uns in der Fraktion durchzusetzen.

Steht endgültig fest, daß die AfD in die Fraktion der Konservativen will?

Kölmel: Endgültig noch nicht, aber die ECR, die Fraktion der Konservativen im Europäischen Parlament, ist unser Favorit. Die Parteien dort sind wie wir grundsätzlich europafreundlich, weil sie den Nutzen Europas erkannt haben. Sie haben aber auch erkannt, daß die EU zu groß, zu bürokratisch, zu undemokratisch und zu mächtig geworden ist und sie wollen mehr Eigenverantwortung, Demokratie und Subsidiarität – das ist auch unsere Linie.

Wäre am Sonntag allerdings Bundestagswahl gewesen, hätte die AfD den Einzug nicht geschafft. Denn die absolute Zahl ihrer Wähler konnte die AfD mit zwei Millionen nicht steigern. Die sieben Prozent ergeben sich lediglich wegen der im Vergleich zur Bundestagswahl niedrigeren Wahlbeteiligung.

Kölmel: Ich meine, so kann man nicht rechnen, denn die Wahlbeteiligung war ja für alle geringer – auch unsere Wähler sind zum Teil zu Hause geblieben. Entscheidend ist: Wir haben uns von 4,7 Prozent bei der Bundestagswahl auf sieben Prozent gesteigert! Wenn man vierzig Prozent hat, sind zwei Prozent nicht so viel, aber für eine so kleine Partei wie die AfD ist das ein gewaltiger Sprung. Und ich bin sicher, wären jetzt Bundestagswahlen, würden wir den Einzug schaffen.

Den Demoskopen zufolge hat die AfD die Hälfte der Wähler, die sie bei der Bundestagswahl gewonnen hatte, wieder verloren. Warum?

Kölmel: Es ist für eine neue Partei normal, daß sie zunächst auch viele Wähler anzieht, die sich Dinge erhoffen, die nicht realistisch sind und die dann wieder abspringen. Wichtig ist, daß wir einen Kern von Stammwählern gewinnen, auf den wir uns verlassen können.

Eben das ist Ihnen aber nun nicht gelungen. Ihre Stammwählerschaft – wenn man davon überhaupt schon sprechen kann – umfaßt nur die verbliebene Million, was lediglich etwa 2,5 Prozent entspricht.

Kölmel: Ich darf Sie daran erinnern, daß die AfD vor wenigen Wochen gerade mal ihren ersten Geburtstag gefeiert hat – da wären andere Parteien noch nicht mal in der Lage gewesen, an einer solchen Wahl teilzunehmen. Aber natürlich haben Sie recht, daß wir unseren Wählerstamm weiter ausbauen müssen, das ist die Aufgabe für die Zukunft! Was ich sagen wollte: Wenn ich mir ansehe, was wir in so kurzer Zeit schon auf die Beine gestellt haben, dann bin ich zuversichtlich, daß wir diesbezüglich gut vorankommen werden.

Die verlorene Million Wähler hat die Partei andererseits erfolgreich ausgeglichen: durch Wanderung von etwa einer Million Wählern von Union, SPD, Linken und FDP zur AfD.

Kölmel: Was beweist, daß die These Bernd Luckes, die AfD sei im Grunde eine Volkspartei, richtig ist. Natürlich sind wir das nicht zahlenmäßig, aber bezogen auf die Breite unseres Spektrums. Und wir sind eben nicht, wie einige Kritiker behaupten, an eine bestimmte Klientel gebunden, sondern wir sind eine sachorientierte Partei. Uns geht es um die Lösung von Problemen! Egal, ob diese inhaltlich als „rechts“, „links“ oder „mittig“ betrachtet werden. Deshalb, so glaube ich, gelingt es uns so erfolgreich, Wähler aus allen Schichten und Richtungen zu gewinnen. Ich selbst war ja 25 Jahre lang in der CDU.

Dabei gingen viele Beobachter zunächst davon aus, die AfD würde vor allem Nichtwähler mobilisieren – Stichwort Protestpartei – und so zur Stimme derer werden, die nicht repräsentiert sind.

Kölmel: Ein bißchen überrascht es mich auch, daß wir so viele Wähler anderer Parteien und vergleichsweise wenig Nichtwähler gewonnen haben. Aber offensichtlich ist es schwieriger als gedacht, diese überhaupt noch zu erreichen. Offenbar sind sie durch ihre Erfahrungen mit den Altparteien so enttäuscht worden, daß sie kaum noch zu einer Partei Vertrauen fassen können. Allerdings ist das sowieso immer so eine Sache mit der Theorie: Geht man etwa von der Unzufriedenheit der Bürger mit der Euro-Rettungspolitik aus, dann müßten wir 25 bis dreißig Prozent haben. So einfach ist es aber in der Realität nicht.

Die Bundestagswahl ging bekanntlich in NRW verloren, wo die AfD unter dem Durchschnitt blieb. Nun zeigt sich das Ergebnis im bevölkerungsreichsten Bundesland erneut vergleichsweise schwach. Warum bekommen Sie diese strategisch so bedeutsame Bastion nicht in den Griff?

Kölmel: Auch das müssen wir noch analysieren. Aber zugegeben, unser Wahlkampf dort hatte einfach noch Schwächen, der Landesverband NRW ist mit seiner Aufbauarbeit noch nicht soweit.

Das kann nicht der Grund sein, denn die größten Probleme gab es bekanntlich im Landesverband Hessen, und dort hat die AfD nun über neun Prozent geholt.

Kölmel: Das stimmt, und sicher gibt es auch noch andere politische Implikationen, die NRW betreffen. Aber da bin ich ehrlich gesagt, gerade mal zwölf Stunden nach der Europawahl, überfragt.

Ein anderer Landesverband der, wie schon bei der Bundestagswahl, ein unterdurchschnittliches Ergebnis erzielt hat, ist Niedersachsen – ausgerechnet der Heimatverband von Parteichef Lucke.

Kölmel: Auch da bin ich als Baden-Württemberger eigentlich nicht zuständig. Ich kann nur sagen: Entscheidend ist auch, wie mitgliederstark ein Landesverband ist. Und ein starker Verband wie unserer kann natürlich mehr Wahlkämpfer rekrutieren als ein eher schwacher Verband wie Niedersachsen.

Sie gehen nun nicht nur nach Brüssel, sondern führen weiterhin den Landesverband Baden-Württemberg. In der Partei gelten Sie als Pragmatiker. Wie würden Sie selbst Ihren politischen Standort beschreiben?

Kölmel: Pragmatisch trifft es für den politischen Alltag in der Tat sehr gut, ich sehe mich aber grundsätzlich als wirtschaftsliberal und gesellschaftspolitisch konservativ. Natürlich finden Sie bei mir aber auch etliche Punkte, die nicht in dieses Raster passen – doch ich verstehe, daß Medien und Bürger solche Schlagworte brauchen, um jemanden, den sie nicht persönlich kennen, politisch einzuordnen.

Die nächste Bundestagswahl ist erst in drei Jahren, wollen Sie trotzdem eine Prognose wagen?

Kölmel: Niemand kann voraussagen, was in drei Jahren ist.

Halten Sie dann ein zweistelliges Ergebnis für möglich?

Kölmel: Auf jeden Fall, allerdings hängt das von den Umständen ab.

Was bedeutet?

Kölmel: Die Euro-Krise birgt das Potential, noch erheblich mehr Wähler aufzuwecken. Nur was tatsächlich passieren wird, weiß keiner im voraus.

Aus dem Konrad-Adenauer-Haus hört man: Solange die AfD nicht zweistellig ist, bleibe man bei der Union gelassen.

Kölmel: Es geht uns nicht darum, die CDU/CSU zu erschrecken, sondern, dem Bürger Alternativen zu einer Politik anzubieten, die wir für verfehlt halten. Und wenn die Union gelassen bliebe, wäre das sogar schön, denn letztlich wollen wir mit den Altparteien auch ins Gespräch kommen, um bei ihnen für ein Umdenken zu werben. Jedenfalls konzentrieren wir uns jetzt erst mal auf das nächste Ziel, und das sind die drei Landtagswahlen im Sommer und Herbst in Sachsen, Thüringen und Brandenburg. Wenn es uns gelingt, dort die Ergebnisse der Europawahl zu wiederholen – die in allen drei Ländern über dem Bundesdurchschnitt lagen – dann haben wir gute Chancen einzuziehen, in Sachsen, wo wir am Sonntag 10,1 Prozent geholt haben, sogar zweistellig.

Anderseits wäre die AfD nicht die erste neue Partei, der die Luft ausgeht.

Kölmel: Theoretisch ist alles möglich, praktisch aber unterscheiden wir uns deutlich von bisherigen Parteigründungen, deshalb bin ich sicher, daß wir uns etablieren werden. Moritz Schwarz

 

Bernd Kölmel, 55, ist EU-Abgeordneter und Landeschef der AfD in Baden-Württemberg

 

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