© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/14 / 30. Mai 2014

Deutschland lockt Hunderttausende
Integration: Angesichts der stärksten Zuwanderung seit 20 Jahren wird über die Kosten für die Sozialkassen diskutiert
Christian Schreiber

Die Zuwanderung nach Deutschland ist auf den höchsten Stand seit 20 Jahren gestiegen. Wie das Statistische Bundesamt in der vergangenen Woche mitteilte, zogen 2013 mehr als 1,2 Millionen Menschen in die Bundesrepublik. Rechnet man die Wegzüge ab, ergibt sich immer noch ein Einwanderungsüberschuß von mehr als 500.000 Personen.

Die meisten Einwanderer kamen aus Ländern der Europäischen Union nach Deutschland, doch auch die Zahl der Migranten aus dem Nicht-EU-Ausland steigt. Und diese nehmen überproportional staatliche Hilfen in Anspruch. Im vergangenen Jahr haben sie Hartz-IV-Leistungen in Höhe von rund 6,7 Milliarden Euro bezogen. Auf die rund 900.000 Nicht-EU-Ausländer entfielen fünf Milliarden Euro, auf die

311.000 Zugewanderten aus den anderen EU-Ländern 1,7 Milliarden Euro. Dies teilte das Bundesarbeitsministerium auf eine Anfrage des stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden von CDU/CSU, Johannes Singhammer. „Es gibt aus Deutschland einen außerordentlich großen Solidaritätsbeitrag für Menschen, die aus ihrer Heimat wegziehen“, sagte Singhammer dem Münchner Merkur.

Das Arbeitsministerium teilte mit, ein Teil der ausländischen Hartz-IV-Bezieher arbeite, zahle Steuern und Sozialbeiträge. Die Betroffenen würden aber ihr nicht existenzsicherndes Einkommen durch staatliche Leistungen aufstocken.

Ungewohnte Töne von der Bundeskanzlerin

Angesichts dieser Fakten und der Debatte um die Kindergeldzahlungen an Saisonarbeiter hat sich Bundeskanzlerin Angela Merkel mit ungewohnten Tönen zu Wort gemeldet. In der Passauer Neuen Presse prangerte sie den Sozialmißbrauch durch Zuwanderer aus der Europäischen Union an. „Die EU ist keine Sozialunion“, sagte Merkel: „Wir wollen Hartz IV nicht für EU-Bürger zahlen, die sich allein zur Arbeitssuche in Deutschland aufhalten.“ Die Kindergeldzahlungen an EU-Bürger, deren Kinder im Heimatland der Eltern leben, verteidigte die Bundeskanzlerin mit Blick auf die Freizügigkeitsregelungen der EU sowie ein Urteil, welches der Europäische Gerichtshof vor einigen Wochen fällte.

Danach hätten EU-Bürger grundsätzlich Anspruch auf Kindergeld, wenn sie in Deutschland erwerbstätig sind. Dieses Urteil hatte in der Bundesrepublik für Verstimmungen gesorgt. „Wir arbeiten daran, hierbei bestmöglich Mißbrauch ausschließen zu können“, sagte die Kanzlerin, die auch einen Gesetzentwurf verteidigte, wonach die Regierung einen möglichen Sozialmißbrauch durch EU-Ausländer schärfer ahnden will. EU-Bürgern soll demnach die Wiedereinreise in die Bundesrepublik untersagt werden, wenn sie in Deutschland Sozialleistungen mißbrauchen. Der Maßnahmenkatalog sieht in extremen Fällen sogar Gefängnisstrafen vor.

Hilfe vom Europäischen Gerichtshof

Hilfe könnte nun tatsächlich von seiten der EU kommen. Denn ein Gutachter des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) kam in der vergangenen Woche zu dem Ergebnis, daß Deutschland die Zahlung von Hartz IV in bestimmten Fällen verweigern könne. Die entsprechenden deutschen Vorschriften seien mit EU-Recht vereinbar und erlaubten es, „Mißbräuche und eine gewisse Form von Sozialtourismus zu verhindern“, heißt es in einer Stellungnahme.

Auslöser war ein Rechtsstreit zwischen dem zuständigen Jobcenter in Leipzig und einer vor Jahren in die Bundesrepublik eingewanderten Rumänin, die mit ihrem in Deutschland geborenen Sohn seit mehreren Jahren in der Wohnung ihrer Schwester lebt. Die Rumänin hat keinen erlernten oder angelernten Beruf und war bislang weder in Deutschland noch in Rumänien erwerbstätig. Bei der Befragung gab sie zu Protokoll, daß sie weder zur Arbeitsaufnahme nach Deutschland gereist sei, noch an einer geregelten Arbeitsstelle interessiert sei. Das Jobcenter hatte ihr daraufhin die Grundsicherung verweigert.

Nach Ansicht von EuGH-Generalanwalt Melchior Wathelet sei es Absicht des Unionsrechts, zu verhindern, „daß Personen, die von ihrer Freizügigkeit Gebrauch machen, ohne sich integrieren zu wollen, eine Belastung für das Sozialhilfesystem werden“. Sein Gutachten ist zwar für die Richter des EuGH nicht bindend, könnte aber eine Zäsur in Sachen Transferleistungen für Zuwanderer werden.

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