© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/14 / 30. Mai 2014

Am Ende werden die Sparer bezahlen
Negativsinsen: Die Europäische Zentralbank plant eine schleichende Enteignung
Thorsten Polleit

Die Zeichen mehren sich, daß die Europäische Zentralbank (EZB) den Leitzins auf ihrem Ratstreffen am 5. Juni absenken wird – von derzeit 0,25 Prozent auf möglicherweise 0,15 Prozent oder auf eine „Bandbreite“ von null bis 0,25 Prozent. Die Befürworter eines solchen Schrittes erhoffen sich vielerlei: eine Belebung von Produktion und Beschäftigung, eine Schwächung des Euro-Wechselkurses, um die Exportindustrie zu entlasten, und daß die allseits gefürchtete Deflationsgefahr gebannt wird.

Doch es gibt eine Reihe von negativen Wirkungen, für die die Zinsdrückerei sorgen wird. Tiefe Zinsen reißen Lücken in die Altersvorsorge. Sie bringen Lebensversicherungsunterneh-men in eine zusehends schwierige Lage, weil keine angemessene Rendite mehr ausgezahlt werden kann. Auch die barwertigen Pensionsverpflichtungen der Unternehmen schwellen an, wenn die Zinsen herabgedrückt werden, und das schmälert deren Eigenkapital. Und weil die Inflation schon heute vielfach höher ist als der Zins, werden die Ersparnisse noch stärker entwertet.

Niedrige Zinsen provozieren nicht zuletzt auch wirtschaftliche Fehlentwicklungen. Sie verleiten zum Beispiel zu „Flop“-Investitionen, und sie lassen Spekulationsblasen auf den Finanzmärkten entstehen, die nachfolgend platzen und die Wirtschaft schwer schädigen.

Negativzinsen hätten schwere Folgen für Anleger

Doch die EZB will nicht nur den Leitzins senken, sie denkt auch darüber nach, einen negativen Einlagezins zu erheben: Banken sollen einen „Strafzins“ entrichten, wenn sie „Überschuß-guthaben“ bei der EZB halten. Das soll Banken antreiben, neue Kredite an die lahmende Euro-Wirtschaft zu vergeben. Ein negativer Einlagenzins hätte jedoch ebenfalls heikle Folgen.

Erstens: Ein negativer Einlagenzins reduziert die Gewinne der Banken, aus denen sie neues Eigenkapital bilden können. Da die Eigenkapitaldecke der Banken nur hauchdünn ist, müssen die Steuerzahler verstärkt zur Kasse gebeten werden und/oder die Europäische Zentralbank muß mehr Geld „aus dem Nichts“ in Umlauf bringen, wenn marode Euro-Banken mit Eigenkapital aufgepolstert werden.

Zweitens: Ein Negativzins erhöht den Anreiz für Banken, in relativ „risikoarme“ Wertpapiere, also Staatsanleihen, zu investieren. Banken werden dadurch ermutigt, vor allem Staatsschulden zu monetisieren – also etwas zu tun, was mit Fug und Recht als Inflationspolitik zu bezeichnen ist.

Drittens: Die Euro-Banken reichen den negativen Einlagenzins an ihre Privatkundschaft weiter. In einem Nullzinsumfeld steigt so die Verzinsung auf Bankeinlagen. Die Bankkunden werden die Geschädigten sein, wenn ihre Tagesgeldkonten keine Zinsen abwerfen, die über der Inflationsrate liegen.

Viertens: Wenn die Einlagenverzinsung negativ wird, könnte den Banken sogar ein Abzug von Depositen (Festgelder und ähnliche Terminanlagen) drohen, und zwar dann, wenn die Kunden erkennen, daß sie mit Bargeldhaltung besser aufgestellt sind als mit dem Halten von Bankguthaben. Erleiden Banken dadurch Finanzierungslücken, müßte die EZB die elektronische Notenpresse anwerfen.

Fünftens: Auslandsinvestoren fragen weniger Euro nach, wenn ihnen die Euro-Banken, bei denen sie ihre Guthaben halten, einen negativen Einlagenzins berechnen. Eine nachlassende Euro-Nachfrage aus dem Ausland spräche für eine Abwertung des Euro-Wechselkurses. Das mag Exporteuren kurzfristig helfen, gleichzeitig werden die Importgüter teurer.

Die Geldpolitik der EZB folgt der Keynesianischen Lehre – vermutlich zur allergrößten Verzückung all derjenigen, die die Zentralbank schon immer in den Dienst der Tagespolitiker stellen wollten: Der EZB-Rat und seine Ratgeber sind beseelt von der Idee, daß immer tiefere Zinsen die Wirtschaft beleben. Und wenn diese Idee nicht zündet, muß man die Zinsen so weit absenken, daß sie negativ werden. Und wenn auch das nicht hilft, muß man eben zu „noch aggressiveren“ Maßnahmen greifen.

Über letzteres denkt der EZB-Rat auch bereits nach. Das Heilsversprechen heißt „Quantitative Easing“, etwas, das sich am treffendsten als Geldvermehrungspolitik übersetzen läßt: Die Zentralbank kauft Wertpapiere und bezahlt die Käufe mit neuem, „aus dem Nichts“ geschaffenem Geld.

Am Ende wird die Inflation weiter ansteigen

Die EZB kann im Zuge dieser Geldpolitik die Währungsmenge jederzeit und in jedem gewünschten Umfang ausweiten. Zudem kann sie damit die Anleihezinsen absenken und so strauchelnden Staats- und Bankschuldnern Erleichterung verschaffen.

Wenn die EZB zu dieser Maßnahme greift, was vermutlich noch in diesem Jahr geschehen wird, stehen dem Euroraum japanische Zinsverhältnisse ins Haus: also ungeahnt niedrige Zinsen, mit allen negativen Wirkungen.

Aber nicht nur das. Die Europäische Zentralbank wird letztlich auch die Inflation in die Höhe treiben müssen, damit die Euro-Schuldenpyramide nicht unter ihrer eigenen Last zusammensackt. Niedrige Zinsen und steigende Inflation bedeuten Entwertung der Ersparnisse – die vor allem diejenigen treffen wird, die gutgläubig auf das Versprechen eines stabilen Euro gesetzt haben.

 

Prof. Dr. Thorsten Polleit ist Chefökonom von Degussa Goldhandel und Präsident des Ludwig von Mises Instituts Deutschland.

Kommentar Seite 2

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