© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/14 / 30. Mai 2014

Dorn im Auge
Christian Dorn

Erstmals in der „O2 World“. Konzert von Sir Cliff Richard – einst Englands Antwort auf Elvis Presley, als die Beatles noch gar nicht existierten –, der hier sein jüngstes, inzwischen 100. Album seiner Karriere mit Rock’n’Roll-Klassikern vorstellt. Natürlich fehlt auch kaum einer der großen Hits. Die Saalordner sind unerbittlich: Ältere Damen, die den Weg zur Bühne suchen, werden von den Security-Leuten unerbittlich abgeführt, zurück auf ihren Sitzplatz. Im letzten Konzertdrittel aber strömt plötzlich eine Schar „junger Mädchen“ – Damen im Alter des Sängers – direkt vor die Bühne. Es geht doch: „Congratulations and Celebrations“!

In der obersten Etage des Springer-Hochhauses hochkarätig besetzte Konferenz zur „Zukunft der gemeinsamen Währung“. Jörg Eigendorf von der Welt-Chefredaktion ist im Gespräch mit Bundesbankpräsident Jens Weidmann überfordert und versucht das auf peinlich provokante Art auszugleichen. Als Weidmann bei einer seiner Ausführungen anfügt: „Es gibt da nicht mehr hineinzuinterpretieren, als da ist“, fährt ihm Eigendorf abermals ins Wort und bemerkt vorwitzig: „Das ist ja auch unsere Aufgabe“ – und erschrickt sogleich ob seines Freudschen Versprechers: „Na ja, nicht wirklich.“ Real indes ist der Anblick der Bundesdruckerei, die von hier oben durch das Fenster zu sehen ist: Unscheinbar, dabei dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, bis diese Institution wieder in die Geschichte eintritt.

Abstecher zur Wahlkampfkundgebung von SPD-Genosse Martin Schulz auf dem Alexanderplatz. Die hohle Propaganda erinnert mich an DDR-Zeiten, fast alle Umstehenden applaudieren. Erkundige mich bei Jüngeren, die Bier trinken, wo es diese „Medizin“ gäbe. Sie schmunzeln, offenbar ertragen sie diesen Auftritt auch nur mit Lethe. Ein älteres Paar schüttelt den Kopf: Wenn das nicht „Populismus“ sei, was der Schulz hier betreibe, was dann? Schließlich beklagt Schulz die Diskriminierung junger Frauen. Zwei, augenscheinlich ausländischer Herkunft, kommen gerade an. Ich frage die beiden sogleich nach geschlechtspezifischer Benachteiligung. Zur Antwort erhalte ich ungläubiges Kopfschütteln und die Bemerkung: „So ein Quatsch!“

Nachmittags sehe ich das Wahlplakat der Piraten mit Manneken-Pis und dem Satz „Ich kann nicht, wenn jemand zuschaut“, abends trifft mein Blick über dem Pissoir in der Kneipe „Courage“ auf die Werbung für einen – bereits gelaufenen – TV-Beitrag zum „Bashful Bladder Syndrome“, das angeblich eine Million Männer betrifft.

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