© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/14 / 30. Mai 2014

Ätzend bis in die letzte Zeile
Mannigfaltiger Humor: Zur Erinnerung an den österreichischen Schriftsteller und Zeichner Fritz von Herzmanovsky-Orlando
Sebastian Hennig

Am 27. Mai vor sechzig Jahren starb im Schloß Rametz bei Meran der Architekt, Schriftsteller und Zeichner Fritz von Herzmanovsky-Orlando. In Wien zur Welt gekommen, vertraute er seinem Tagebuch schon als Fünfzehnjähriger an, seine Lieblingsbeschäftigung sei „das Betrachten alter Häuser“. Nach einem Hochbaustudium arbeitete er zunächst 1904/05 als angestellter Architekt. In dieser Zeit lernte er den Grafiker und Buchillustrator Alfred Kubin kennen und fand in München Anschluß an den Kreis der „Kosmiker“ um Karl Wolfskehl, Ludwig Klages und Alfred Schuler. Später machte er sich als Architekt selbständig, doch schon 1911 gab der finanziell Unabhängige krankheitsbedingt seinen Beruf auf, um fortan als Privatier erotische Zeichnungen und groteske Geschichten zu verfertigen.

Herzmanovsky läßt es nie zu retrospektiver Betulichkeit kommen. Während sein Altersgenosse Alfred Kubin nach einer giftigen Phase um die Jahrhundertwende später zunehmend milder wird, bleibt Herzmanovsky ätzend bis in die letzte Zeile. Oscar Schmitz bezeichnet klar den Platz des Freundes in der Riege der großen Real-Phantastiker: „Versucht es Herzmanovsky auch nicht wie Meyrink und Kubin, die Welträtsel zu lösen, so übertrifft er sie noch in der Mannigfaltigkeit seines Humors.“

Die vierbändige Leseausgabe des Prosawerks im Schmuckschuber, die im Residenz-Verlag erschienen ist, umfaßt die sogenannte Österreichische Trilogie – „Der Gaulschreck im Rosennetz“, „Rout am fliegenden Holländer“ und „Das Maskenspiel der Genien“ – sowie einen Band mit Kurzprosa. Die Herausgeberin Klaralinda Ma-Kircher hat sich tapfer gewehrt, die etymologische und phonetische Esoterik des Autors durch die Beigabe von Kommentaren zu entweihen. Außerdem möge doch jeder einen tschechischen Freund fragen, was eine Bramborivisage ist und warum der adelssüchtige Jüngling Charles Howniak so ungern an die eigentliche Bedeutung seines Namens erinnert wird.

Herzmanovskys kleine Impertinenzen nachträglich zu dechiffrieren wäre ebensolcher Unsinn, wie diese zu unterdrücken. So wurden die Entstellungen der ersten postumen Werkausgabe durch Friedrich Torberg entfernt. Torberg, der auch die Erzählungen von Ephraim Kishon ins Deutsche übersetzte, hat die Romane von Herzmanovsky gleichsam ins seinerzeit Zumutbare umgeformt. Und das ist der Mode unterworfen. So schrieb 1928 der erste Verleger an den selbst illustrierenden Autor: „Auffallend ist die Keuschheit Deiner Zeichnungen, und sie dürften schon etwas unmoralischer sein.“

Wir bekommen hier einfach auf den Büchertisch geworfen, was nach Willen des Autors da sein sollte. Der Leser dieser schönen Auswahlausgabe vermißt auch diese Zeichnungen nicht. Er wird der Bilder, die beim Lesen sich im Kopf übereinandertürmen und sich durchflechten, ohnehin nicht Herr. Diese Lektüre ist ein irrseliger Traum.

Die geordnete Verkehrtheit der Herzmanovskyschen Personage bringt etwas ungemein Tröstliches in die verkehrte Ordnung unserer Tage. Großartig kündet er schon auf der zweiten Seite von „Scoglio Pomo“ mit distanzierter Programmatik von einer Welt, „die das sinnverwirrende Märchenschloß ihrer Schönheit fast zu den Göttern emporzutürmen schien. Bis die Französische Revolution die trüben krätzhalsigen Nachtvögel des Dämons der Finsternis losließ und eine Woge von Komissknöpfen und Proletariern gebar, die dem Zaubermärchen ein Ende machten und schwere Dissonanzen schufen, die heute noch auf Europa lasten.“

Fritz von Herzmanovsky-Orlando, hrsg. von Klaralinda Ma-Kircher: Ausgewählte Werke, 4 Bände im Schuber, Residenz Verlag, St. Pölten 2013, gebunden, 1320 Seiten, 65 Euro

 

Zerbinettas Befreiung

Fritz von Herzmanovsky-Orlandos Komödie „Zerbinettas Befreiung“ unter der Regie von Alexander Kuchinka steht auf dem diesjährigen Programm des Theatersommers Haag (Niederösterreich). Die Premiere findet am 2. Juli statt, die Vorstellungen gehen bis zum 9. August. Beginn ist jeweils um 20.30 Uhr. Telefon: 0043 / 74 34 / 44600

www.theatersommer.at

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen