© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/14 / 30. Mai 2014

Umwelt
Radikales Umdenken
Tobias Schmidt

Wenn die Publizistin Hilal Sezgin nicht gerade ein Manifest gegen Thilo Sarrazin herausgibt, widmet sie ihre Arbeit dem Tierwohl. „Artgerecht ist nur die Freiheit“ heißt ihr aktuelles Buch, in dem sie nicht weniger fordert als ein radikales Umdenken. Tiere, so die Grundlage ihres Buches, dürfe der Mensch weder töten, noch nutzen, noch überhaupt besitzen. Die Perspektive auf das, was Tiere brauchen, dürfe nicht vom Grundzustand der Gefangenschaft ausgehen und wie man sie „artgerechter“ ausgestalten könne. Essentiell sei immer die Freiheit und ob es überhaupt gerechtfertigt sei, Tiere zu „halten“.

Sezgins Argumente sind verdammt treffend. Deswegen wird sie kaum jemand hören wollen.

Sezgin argumentiert vom Individuum her. Sie wirft der Ökologie dagegen eine artzentrierte Betrachtung vor. Diese bringe dem einzelnen Tier aber nichts. Was nützt es etwa dem Bentheimer Schwein, daß seine seltene Art erhalten bleibt, während es als betroffenes Individuum den Schlachter zu erwarten hat? Sollen sich etwa eines Tages die letzten Sumatratiger in ihrer Zoo-Gefangenschaft damit trösten, daß immerhin ihre Art überlebt, während ihr Bedürfnis die Freiheit ist? Steht das individuelle millionenfache Leiden und Sterben in Tierversuchen in einem Verhältnis zum medizinischen Erfolg?

„Artgerecht ist nur die Freiheit“ ist eine Zeremonie des schlechten Gewissens. Wer Biofleisch um der Tiere willen ißt, wird erfahren, warum das Bioschwein trotzdem kein Schnitzel werden möchte. Wer Vegetarier ist, wird damit konfrontiert, daß auch sein Glas Milch ein glückliches Kuhleben zerstört. Eltern könnten Sezgins Tier­ethik immerhin gegen ihre Kinder ins Feld führen, die sich ein Haustier wünschen. Doch im Ernst, Sezgins Argumente sind verdammt treffend. Deswegen wird sie kaum jemand hören wollen.

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