© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/14 / 06. Juni 2014

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Ranges Entscheidung
Marcus Schmidt

Vor genau einem Jahr gab Edward Snowden den Journalisten Glenn Greenwald und Laura Poitras in einem Hotelzimmer in Hongkong ein Videointerview. Darin schilderte der gerade abgetauchte Mitarbeiter des amerikanischen Geheimdienstes NSA, warum er sich zum Geheimnisverrat entschlossen hat. Damals ahnte in Berlin noch niemand, daß wenige Wochen später in den deutsch-amerikanischen Beziehungen nichts mehr so sein würde wie zuvor und das Vertrauen der Deutschen in ihren amerikanischen Verbündeten bis in die Grundfesten erschüttert.

Mittlerweile beschäftigen die Enthüllungen Edward Snowdens einen Untersuchungsausschuß des Bundestages – und Generalbundesanwalt Harald Range. Dieser steht nun im Fokus der Aufmerksamkeit nicht nur von selbsternannten Netzaktivisten und Datenschützern. Denn Range muß darüber entscheiden, ob die oberste deutsche Anklagebehörde tatsächlich Ermittlungen gegen den mächtigen amerikanischen Geheimdienst NSA und seine führenden Mitarbeiter einleitet.

Bis zum Wochenende hatte es so ausgesehen, als werde Range in der NSA-Affäre keine Ermittlungen aufnehmen. Das legten zumindest in der vergangenen Woche veröffentlichte Recherchen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR nahe. Demnach stünden der Bundesanwaltschaft weder Zeugen noch Dokumente zur Verfügung, um im Fall der massenhaften Ausspähung von Daten deutscher Bürger durch die NSA und die Abhöraktion gegen das Handy von Bundeskanzlerin Angela Merkel belastbares Material zutage zu fördern. Die Ermittlungen würden daher nur symbolhaften Charakter haben, hieß es.

Die Berichte hatten für Range sogleich unangenehme Folgen. Laut Focus gingen beim Generalbundesanwalt mehrere Morddrohungen ein. Die Polizei verstärkte daraufhin den Personenschutz für Deutschlands höchsten Ankläger. Auch Hans-Christian Ströbele war sofort zur Stelle. Der Bundestagsabgeordnete der Grünen kündigte in der Saarbrücker Zeitung an, Justizminister Heiko Maas (SPD), der gegenüber der Bundesanwaltschaft weisungsbefugt ist, vor den Rechtsausschuß des Parlamentes zu zitieren. Dort sollte er nach Vorstellung von Ströbele erklären, ob er Einfluß auf Ranges Entscheidung genommen habe.

Doch am Wochenende stellte sich der Fall dann plötzlich wieder völlig anders dar. Der Spiegel berichtete nun, daß Range sehr wohl dazu tendiere, Ermittlungen aufzunehmen – und zwar wegen der Ausspähung des Handys der Kanzlerin. In der Bundesregierung habe er dafür politische Rückendeckung. Dort werde das Verhalten des amerikanischen Geheimdienstes auf deutschem Boden als „Souveränitätskränkung“ gewertet. Ein Ermittlungsverfahren, – auch wenn der Ausgang offen wäre – würde zumindest ein Zeichen setzen.

An diesem Mittwoch sollte Range dem Innenausschuß des Bundestages Bericht erstatten. Eine endgültige Entscheidung darüber, ob die Karlsruher Behörde in der NSA-Affäre Ermittlungen aufnimmt, wird in Berlin „in Kürze“ erwartet.

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