© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/14 / 06. Juni 2014

Das Geheimnis der suggestiven Gewalt
Ein Triumphator im Reich der musikalischen Schönheit: Zum 150. Geburtstag des Komponisten und Dirigenten Richard Strauss
Sebastian Hennig

Das alldurchdringende Netz zieht allerlei Scheußlichkeiten aus Tiefseegräben und Sandbänken der Geistlosigkeit. In alledem stehen auch majestätische Riffe aus dem trüben Flat hervor. Wir können den achtzigjährigen Richard Strauss sehen, wie er mit einem durch den Krieg verminderten Wiener Philharmonischen Orchester seine fünfzig Jahre zuvor entstandene Tondichtung „Till Eulenspiegels lustige Streiche“ dirigiert. Die ehrwürdige Gestalt ragt hier in die gefährliche Luft von 1944, die bereits von strahlgetriebenen Jagdfliegern und Panzern mit meterlangen Funkantennen durchdrungen wird.

Auch der Meister hat sich während der Aufnahme mehrfach in die Anweisung von unsichtbar bleibenden Technikern zu fügen, was er mit ungeheurer Geduld trägt. Während sein linker Arm meist reglos von der Seite hängt, gibt die Rechte den Musikern knappste Hinweise. Wenn der abwesende Blick überhaupt einen Ausdruck zeigt, dann ist es der des Gelangweiltseins. Beteiligte Musiker berichten von einer suggestiven Gewalt. Das historische Dokument offenbart etwas vom Geheimnis Richard Strauss.

Der Vater Franz Strauss ist geschätzter Waldhornist des königlichen Hof-opernorchesters zu München und der erste Berater seines Sohnes. Während dessen Opernerstling „Guntram“ noch ganz im ungeklärten Wagnerschen Dunst verschwimmt, gerät der junge Tonsetzer bald unter dem Einfluß der Gedanken Friedrich Nietzsches und Max Stirners zu einer eigenwilligen Künstlerpersönlichkeit. Sinfonische Dichtungen wie „Also sprach Zarathustra“ (1896) und „Ein Heldenleben“ (1899) künden das neue Selbstbewußtsein.

Als junger Mann wurde er durch Hans von Bülow gefördert, der damals Musikdirektor in Meiningen war. Auf dessen Empfehlung kommt er als Korrepetitor für „Parsifal“-Aufführungen nach Bayreuth. Cosima wünschte ihn als Schwiegersohn und damit als geistigen und leiblichen Stammhalter der Wagnerschen Welt. Doch der junge Mann hatte sich anders entschieden. Die Gefährtin und wichtigste Person in seinem Leben wurde die Sängerin Pauline de Ahna, die er nach Widerstreben ihrerseits im Herbst 1894 heiratete. Ihre gebieterische Art war legendär, aber sie hat ihm und seinem Werk, ja der gesamten Musikgeschichte damit gutgetan. Sie wurden gemeinsam alt, und das „geliebte Bauxerl“ sollte ihrem Richard binnen weniger Monate im Mai 1950 nachfolgen.

Generalmusikdirektor der Berliner Hofoper

Komponistenruhm ist immer vor allem der Ruhm der Opernbühne. Die meisten seiner musikdramatischen Werke werden in Dresden uraufgeführt, „Salome“ (1905), „Elektra“ (1909) und schließlich 1911 überhaupt eine der erfolgreichsten Opern der Epoche: „Der Rosenkavalier“. 1908 wird er Generalmusikdirektor der Berliner Hofoper und damit als letzter preußischer Hofkapellmeister ein würdiger Nachfolger von Gaspare Spontini und Otto Nicolai.

Der große Komponist war einer der berühmtesten Dirigenten seiner Zeit. Als Kapellmeister hat er eine Mozart-Welle entfesselt, auf der später dann Karl Böhm und Herbert von Karajan mit vollem Rückenwind der Plattenindustrie weitersegeln konnten. Ebenso aber hat er sich für die Werke der deutschen und ausländischen Zeitgenossen eingesetzt. Er brachte Arnold Schönberg, bevor dessen Musik ganz entschieden graute, als Harmonielehrer ans Sternsche Konservatorium nach Berlin.

Strauss ist ganz bewußt nie so weit gegangen, das Tischtuch zwischen sich und dem allgemeinen Publikum zu zerreißen. Ein „Verein für musikalische Privataufführungen“ war es gewiß nicht, was ihm als Wirkungsradius vorschwebte. Adorno meinte später, er würde es den Konservativen leichtmachen, sich als modern zu empfinden. Wenn Ernst Bloch ihn als „Meister der Oberfläche“ bezeichnet hat, dann wäre das Strauss möglicherweise recht gewesen. Er hätte mit einem Ausspruch des Dichters seines Schockstücks „Salome“, Oscar Wilde, kontern können: „Der Schein trügt nie.“ Der Dirigent Fritz Busch bestätigt alle Klischees vom aufdringlichen Geschäftssinn, dem „philisterhaften Behagen“ des Skatspielers, kommt aber schließlich zu der Feststellung: „Daß dieser Schein dennoch trog, merkte man im stillen, intimen Zusammensein, zum Beispiel wenn man auf seinen Lieblingskomponisten Mozart zu sprechen kam.“

Schwiegertochter Alice, die wichtigste Gehilfin bei der Verwaltung seines Ruhms („Gell, Alicerl, wir beiden sind die einzigen, die hier was arbeiten“) wurde von den nationalsozialistischen Rassegesetzen zur Jüdin gemacht. Und da im provinziellen Garmisch die „Einig’hockten“ jeder höheren Protektion entbehrten, ist die Familie mit Kriegsbeginn nach Wien gezogen, wo der kunstsinnige Gauleiter von Schirach und der mäzenatische Fabrikant Man-fred Mautner Markhof den Gefährdeten immer wieder half. Anfang Mai erlebten sie das Einrücken der Amerikaner in Garmisch. Der Enkel Christian Strauss erzählt: „Dann ist Großpapa rausgegangen und sagte zu Major Miller: I am the composer of ‘The Rosenkavalier’.“ Damit wurde das Strauss’sche Heim von der Einquartierung verschont.

Der deutsche Geist hat alle Kriege überlebt

In der unnachahmlichen Mischung von Opportunismus und Unbedingtheit sagte Strauss: „Sub specie aeternitatis gesehen, hat es ein deutsches Volk nur deshalb gegeben, damit es Bach, Mozart und Wagner hervorbringe. Diese einzigartige Leistung hat das deutsche Volk unsterblich gemacht. Und wiederum, wie immer, ist nüchtern festzustellen: Nach dieser Leistung hatte das deutsche Volk seine wesentliche Zweckaufgabe erfüllt. Es konnte, durfte und mußte abtreten. (…) Dieses Volk musizierte nicht mehr. Es ging verblendet darauf aus, die Welt mit Panzerwagen und Bombenflugzeugen zu erobern. Nun liegen heute seine Konzertsäle und Opernhäuser in Schutt und Asche.“ Darum geht Strauss 1947 auf eine Konzerttournee durch Großbritannien. Und seine „Vier letzten Lieder“ wurden nach seinem Tod uraufgeführt – in London. Wo aber ist nun die Oper von Edward Elgar, Gustav Holst oder Frederick Delius, die sich heute an internationaler Beliebtheit mit „Rosenkavalier“ oder „Elektra“ messen könnte?

Unter dem Gesichtspunkt der Dauer hat also, auch und vor allem dank Richard Strauss, der deutsche Geist alle Kriege überlebt. Die Theater sind wieder aufgebaut, das Regietheater unterdessen in die Krise geraten und die künstlich beatmete Avantgarde inzwischen gealtert. Ein vormaliger Darmstädter Neutöner wie Helmut Lachenmann äußerte unlängst über die Musik von Richard Strauss: „Ich empfehle Respekt und hellhörig mitdenkende Ohren. Auch banal ist komplex. Die Musik strahlt bis heute. Strukturell sind wir ohnehin gar nicht so viel weiter gekommen. Wir fortgeschrittenen Komponisten blicken zwar fleißig in die Abgründe, aber letztlich stehen wir am Geländer der Tonalität und halten uns fest.(…) Wir starren herablassend auf das Programm und übergehen die Intensität dieser Musik als Struktur, vor deren Reichtum unsere zeitgenössischen Klangfarbeningenieure alt aussehen.“

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