© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/14 / 06. Juni 2014

„Kämpfen, damit Deutschland verschwindet“
Vorabdruck aus dem Buch von Karlheinz Weißmann über die alliierte Kriegspropaganda im Ersten Weltkrieg / Teil 3
Karlheinz Weissmann

Bereits in einem Bulletin der französischen Armee vom 24. August 1914 war geäußert worden, daß es „die Menschheit“ sei, die „Deutschland vernichten“ müsse. Seit 1916 lief die Formel des „unconditional surrender“ – der „bedingungslosen Kapitulation“ um, gepaart mit radikalen Bestrafungswünschen, die während des Krieges entstanden und in einem schwer klärbaren Verhältnis zu den Plänen der politischen Führungen standen. Das gilt vor allem für Frankreich und Rußland, die es keineswegs bei Grenzkorrekturen – also etwa der Rückgliederung Elsaß-Lothringens – und Reparationsforderungen bewenden lassen wollten, sondern einen Beutezug, insbesondere die Abtrennung großer Teile West- und Ostdeutschlands, planten. Der Öffentlichkeit offenbarte man solche Programme nicht in vollem Umfang, ließ aber immer wieder durchblicken, daß ein von den Alliierten bestimmter Frieden sich eher an den Ideen des antideutschen Rassismus als an der Vorstellung eines weltweiten Kreuzzuges für die Demokratie ausrichten werde.

Zerstücklung Deutschlands als französisches Kriegsziel

In Frankreich wurde früh und offen über territoriale Kriegsziele diskutiert, wobei deren Tendenz ganz von der „fixen Idee der Geschichte Frankreichs“ (Maurice Barrès) – der Gewinnung der Rheinlinie – bestimmt war. Nicht nur die Ligue des Patriotes, sondern auch andere nationalistische Organisationen wie die zahlreichen Comités de la rive gauche du Rhin – „Komitees des linken Rheinufers“ propagierten die Annexion des Rheinlandes entweder offen oder verschleiert im Sinn einer „Garantie“-Option, die verlangte, daß der Westen des Reiches in eine entmilitarisierte Zone oder eine Menge selbständiger Republiken umgewandelt würde. Zuletzt betrachtete man die Rheinfrage aber auch nur als Teil der Deutschen Frage aus französischer Perspektive, und die war ganz von der Überzeugung bestimmt, „daß die Existenz eines geeinten Deutschlands eine anomale Erscheinung“ sei (Jacques Bainville).

Die harmlos wirkende Forderung, daß man die „Völker Deutschlands“ möglichst „strikt vom preußischen Volk, dem exzentrischsten und am wenigsten deutschen Volk trennen“ (Charles Maur-ras) müsse, um das Reich wieder in eine Menge kleiner und mittlerer Staaten zu verwandeln, konnte aber kaum darüber hinwegtäuschen, daß es letztlich darum ging, den verhaßten Erzfeind „endgültig auszuradieren“. Diese Zielsetzung ist auch der Schrift des französischen Geographen Onésime Reclus zu entnehmen, der bereits 1915 eine Broschüre unter dem Titel „L’Allemagne en morceaux“ – „Deutschland in Stücken“ veröffentlichte. Reclus war übrigens kein Stubengelehrter, seine Schrift erschien in hoher Auflage, ungehindert durch die Zensur, und brachte offenbar die Ansicht der Mehrheit seiner Landsleute zum Ausdruck: daß man kämpfe, „damit Deutschland verschwindet“.

Ein großer Teil von Reclus Text bezog sich auf die Notwendigkeit umfangreicher territorialer Veränderungen nach der Niederlage Deutschlands: Frankreich sollte Elsaß-Lothringen, aber auch das Saargebiet und Luxemburg erhalten; die deutsche Bevölkerung des linken Rheinufers könne sich Frankreich anschließen oder in Selbständigkeit leben; Rußland erhalte für sein polnisches Protektorat West- und Ostpreußen, außerdem Posen und Schlesien; Österreich-Ungarn verschwinde und werde in seine Nationalitäten aufgelöst; der deutsche Rest möge sich mit dem südlichen Deutschland vereinigen, das vom nördlichen abgetrennt werde. Entscheidend sei die „Hinrichtung Preußens“, damit verbunden die vollständige Entmilitarisierung des Reiches samt Abschaffung der Flotte; nur eine „Polizeitruppe“ solle erhalten bleiben.

Schließlich forderte der Verfasser eine „Überbuße“ von 101 Milliarden Goldmark, zahlbar in 101 Jahren und schloß mit der Forderung: „Sie würden es wirklich verdienen, auf dem Sklavenmarkt verkauft zu werden, nachdem man sie, den Strick um den Hals, dorthin getrieben hat.“ Reclus beschränkte sich dann allerdings darauf, die Verwirklichung dieser Forderung auf die Führungsschicht zu beschränken: „Die Theoretiker und Praktiker des Präventivkrieges müssen präventiv vernichtet werden.“

Karlheinz Weißmann: Die Erfindung des häßlichen Deutschen. JF Edition, Berlin 2014, gebunden, ca. 200 Seiten, Abbildungen, 34,90 Euro

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