© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/14 / 06. Juni 2014

Da streiten die Gelehrten
Wende der Energiewende? / Zukunftsaussichten in Europa / Fracking soll es richten
Heiko Urbanzyk

Nicht die Wände, wohl aber „die Wende wackelt“, stellen die Herausgeber von Internationale Politik (IP) in der aktuellen Ausgabe 3/2014 fest. „Brauchen wir eine Wende der Wende?“, fragen sie in ihrem ausgewogenen Schwerpunkt zu den Zukunftsaussichten der Energiewende. Im Vordergrund steht vor allem die Kostenfrage. „Offensichtlich läßt sich das System nicht unreformiert fortschreiben“, gibt der Energiewendebefürworter Reinhard Bütikofer im IP-Gespräch zu. Die Kostenfrage mache das System angreifbar, wodurch seine Legitimität untergraben werde.

Der Sprecher der deutschen Grünen im Europäischen Parlament meint zu wissen, wo die Schuldigen sitzen. Seit 2007 habe die Regierung Merkel „keine Chancen versäumt, Chancen zu versäumen“. Immer wenn es zum Konflikt langfristiger Klimapolitik und kurzfristiger Wirtschaftsinteressen gekommen sei, habe die Wirtschaft den Vorrang erhalten.

In China stieg Strompreis nur um zehn Prozent

Weder ökonomische noch ökologische Verheißungen der Energiewende seien eingetroffen, meint Zeit-Redakteur Frank Drieschner. „Wer mit Vertretern des Regierungslagers spricht, trifft auf komplette Ratlosigkeit.“ Die Ener-giewende bräuchte für ein Gelingen europäische Unterstützung. Doch die Deutschen müßten sich fragen, ob sie sich die heutige Energiewende von der EU hätten diktieren lassen. Drieschner meint nein – „weshalb es absurd ist, anderen EU-Ländern Entscheidungen vergleichbarer Tragweite aufzwingen zu wollen“. Die Briten würden eher die EU verlassen, als ihre Atomkraftwerke abzuschalten.

Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung sieht in der EEG-Umlage nicht die Ursache für höhere Strompreise. Diese könnten schon heute sinken, „wenn auch die niedrigen Strombörsenpreise an die Verbraucher weitergegeben werden würden“.

Für Daniel Yergin und Ralf Wiegert von IHS Economics ist die Energiewende ein „Wirtschaftsklimakiller“, weil seit 2007 die deutschen Energiepreise um 60 Prozent gestiegen seien; in den USA und China seien es weniger als 10 Prozent. Dies gefährde unseren Exportstandort. Sie fordern daher neben den „Erneuerbaren“ das Schiefergas-Fracking in Deutschland. Bis 2020 könnten dadurch 270.000 Arbeitsplätze geschaffen werden, das BIP um 0,9 Prozent sowie das Pro-Kopf-Einkommen um 123 Euro jährlich steigen. Die Studie finanzierten mit Exxon und BP jedoch gerade solche ausländische Firmen, denen Deutschland sonst reichlich egal ist. Über die Gefahren der Grundwasservergiftung verlieren die Fracking-Befürworter daher kein Wort.

Im IP-Schwerpunkt halten alle Autoren die Energiewende für sinnvoll und technologisch richtungsweisend. Doch „die Lösung“ bleibt verborgen im Nebel von Ideologie und Interessenpolitik.

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