© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/14 / 13. Juni 2014

Die gespaltene Gesellschaft
Brasilien gilt vielen als Vorbild eines funktionierenden Multikulturalismus. Warum eigentlich?
Michael Paulwitz

All jene, die verzückt verkünden, Deutschland sei ein Einwanderungsland und im Multikulturalismus liege das Heil, sollten gut aufpassen, wenn während der Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien in den nächsten Wochen wieder mehr aus dem größten Flächenstaat Südamerikas zu hören ist. Das Einwanderungsland Brasilien definiert sich seit mehr als einem Dreivierteljahrhundert als „multirassisch“ und diskriminierungsfrei. Ein Paradies, in dem jeder mit jedem vorurteilslos Samba tanzt, ist das Land am Zuckerhut deswegen nicht geworden.

„Die multikulturelle Gesellschaft ist hart, schnell, grausam und wenig solidarisch, sie ist von beträchtlichen sozialen Ungleichgewichten geprägt und kennt Wanderungsgewinner ebenso wie Modernisierungsverlierer …“ – Daniel Cohn-Bendit, maßgeblicher Vordenker des Multikulturalismus, hat so schon 1991 beschrieben, was er und seinesgleichen mutwillig angerichtet haben und der Rest gefälligst als unabänderliches Fatum schlucken soll: den durch Einwanderung verursachten Verlust an innerem Zusammenhalt des Gemeinwesens durch eine Vielzahl neuer Konflikte.

Das klingt wenig erstrebenswert und ist den Bürgern auch kaum noch zu vermitteln. Was die Prediger der multikulturellen Gesellschaft gern verschweigen ist, daß es in Wahrheit um ökonomische und ideologische Partikularinteressen geht.

Das Ziel: die Umpflügung gewachsener europäischer Nationalstaaten durch ihre Öffnung für globale Wanderungsströme. An den klassischen Einwanderungsländern dieser Welt, die solchen Migrationsbewegungen von Anbeginn ausgesetzt sind, lassen sich Risiken und Nebenwirkungen dieses Gesellschaftsmodells studieren. Was in westlich-industrialisierten Einwanderungsländern wie den USA, Kanada oder Australien aufgrund des erreichten Wohlstands oft noch unter der Oberfläche bleibt, tritt in Schwellenländern wie Brasilien oder dem Ex-Industrieland Südafrika, Gastgeber der letzten Fifa-WM, ungeschminkt zutage.

Erste Erkenntnis: Ein friedliches, buntgemischtes Miteinander von Individuen verschiedener Herkunft, Volks- und Kulturzugehörigkeit ist auch dort eine Illusion, wo Multikulturalismus und Vermischung der Ethnien seit Jahrzehnten offiziell propagiert und gefördert werden.

Wo Raum genug vorhanden ist, leben einzelne Einwanderergruppen oft über Generationen in abgeschiedenen Regionen geschlossen unter Wahrung ihrer Identität, wie manche deutsche Auswandererkolonien in Brasilien. In urbanen Ballungsräumen entstehen dagegen ethnisch definierte Ghettos. Die Mechanismen, die dazu führen, sind schnell benannt. Auf der einen Seite der Hang neuer Einwanderer zur Ansiedlung unter Landsleuten gleicher Herkunft. Auf der anderen die in den USA schon Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts als „White flight“ beschriebene Tendenz unter Einheimischen, ab einer gewissen Konzentration zugezogener Fremder ihre angestammten Quartiere zu verlassen.

Eine Sonderform des „Ghettos“ ist die „gated community“, die abgesperrte und privat bewachte Siedlung für betuchte und meist weiße Einwohner, die sich auf diese Weise von steigender Kriminalität und Unsicherheit freikaufen, einer weiteren Nebenwirkung „multikultureller“ Gesellschaften. Brasilien, Südafrika, aber auch die USA und einzelne europäische Länder kennen das Phänomen der „gated communities“. Sie sind ein Symptom der Reprivatisierung und Refeudalisierung von Sicherheit in einer Situation, in der eine der wichtigsten abendländischen Errungenschaften, die vom staatlichen Gewaltmonopol garantierte öffentliche Sicherheit für alle, nicht oder nicht mehr gilt. Polizeiwillkür und Polizeiohnmacht sind oft zwei Seiten derselben Medaille. Wenn in von der explodierenden Einbruchskriminalität heimgesuchten Regionen Deutschlands Bürger sich zu Bürgerwehren zusammenschließen und private Sicherheitsdienste engagieren, weil der deutsche Staat ihr Eigentum nicht mehr schützen kann, ist das ein alarmierendes Warnsignal, das in diese Richtung weist.

Gruppen- und Verteilungskonflikte sind eine notwendige Begleiterscheinung multiethnischer Gesellschaften. Der Versuch, ethnische Gegensätze als „soziale“ Ungleichheiten wegzudefinieren, ist Verbalkosmetik, die falsche Therapien begünstigt. In europäischen Wohlfahrtsstaaten pflegt man das Drohpotential integrationsunwilliger Einwanderergruppen durch massive Umverteilung selbst um den Preis völliger Überdehnung der Sozialsysteme ruhigzustellen. Andernorts wird durch institutionalisierte Bevorzugungen wie die sogenannte „affirmative action“ gegengesteuert.

Wer Gerichtsurteile und öffentliche Gedenkkultur bei ausländer- und deutschenfeindlichen Gewalttaten vergleicht, erkennt solche Ansätze hierzulande ebenso wie in der politisch erwünschten Bevorzugung bestimmter Einwanderergruppen bei Einstellungen im öffentlichen Dienst oder bei der Erreichung höherer Bildungsabschlüsse. Gerade der Mißbrauch des Schulwesens als Integrationshilfsanstalt bewirkt, was er angeblich abstellen soll: Bildung und Aufstieg wurden stärker von Vermögen und Herkunft abhängig, weil die verordnete Niveauabsenkung jene, die es sich leisten können, zur Flucht aus dem staatlichen Bildungssystem treibt.

Natürlich können Gesellschaften auch ohne erstklassiges staatliches Bildungswesen, ohne wohlfahrtsstaatliche Absicherung, ausnahmslos durchgesetztes staatliches Gewaltmonopol, Rechtssicherheit und Rechtsgleichheit für alle funktionieren. Auch die Deutschen werden sich in ihrer Gutmütigkeit und Gründlichkeit damit arrangieren können. Der Anpassungsprozeß hat längst begonnen. Wer aber die Zukunft Deutschlands als multikulturelles Einwanderungsland preist, sollte so ehrlich sein und dazusagen, daß in diesem Deutschland vieles fehlen wird, was die meisten Zeitgenossen noch immer für gegeben und selbstverständlich halten.

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