© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/14 / 13. Juni 2014

„Spinner, Ideologen und Fanatiker“
Bundesverfassungsgericht: Nach Ansicht der Richter hat der Bundespräsident mit seinen Äußerungen über die NPD seine Kompetenzen nicht überschritten
Taras Maygutiak

Die Wahlen des Bundespräsidenten von 2009 und 2010 gehen in Ordnung, die Delegierten haben kein Rede- und Antragsrecht, hatte das Bundesverfassungsgericht am Dienstag in seiner ersten Urteilsverkündung an jenem Tag gleich zwei Anträge der NPD abgewiesen.

Um kurz nach 12 Uhr setzte sich der aus NPD-Sicht erfolglose Tag fort. „Die Klage wird zurückgewiesen“, sagte Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle zu Beginn der nächsten Urteilsverkündung. Auch hier hatte die NPD geklagt. Es ging um die „Äußerungsbefugnisse des Bundespräsidenten“. Die Partei hatte beantragt, daß Karlsruhe feststellen möge, daß Bundespräsident Joachim Gauck die Rechte der NPD aus den Artikeln 21 und 38 des Grundgesetzes verletzt habe. Die Klägerin hatte moniert, daß der Bundespräsident im Bundestagswahlkampf im Sommer 2013 die Pflicht zur parteipolitischen Neutralität zu Lasten der NPD verletzt habe.

Stein des Anstoßes war eine Veranstaltung Ende August vergangenen Jahres vor Schülern des Oberstufenzentrums in Berlin-Kreuzberg. Gauck hatte dort gegen die Proteste von Mitgliedern und Unterstützern der NPD gegen ein Asylbewerberheim in Berlin-Hellersdorf Partei ergriffen. Laut Medienberichten begrüßte Gauck damals die Gegendemonstrationen und sagte: „Wir brauchen Bürger, die auf die Straße gehen, die den Spinnern ihre Grenzen aufweisen und die sagen: bis hierher und nicht weiter. Und dazu sind Sie alle aufgefordert.“ Zudem soll er unter anderem in Richtung NPD gesagt haben, „sie sind unappetitlich und wir müssen sie bekämpfen“.

„Verfassungsrechtliche weiße Flecken“

Der Prozeßbevollmächtigte der NPD, Rechtsanwalt Peter Richter, hatte in der mündlichen Verhandlung im Februar die Tätigkeit des Bundespräsidenten nicht in Abrede gestellt: Natürlich dürfe dieser nicht nur Staatsnotar sein, der Gesetze unterschreibe. Es könne aber nicht sein, daß er sich zugunsten oder zu Lasten politischer Parteien äußern dürfe, hatte Richter kritisiert. Noch dazu in einer Diskussionsrunde vor Erstwählern. Dazu habe er weder die Zuständigkeit noch die Kompetenz. Bei Äußerungen müsse der Präsident die Verhältnismäßigkeit wahren. In dem Organstreitverfahren gebe es einige „verfassungsrechtliche weiße Flecken“ aufzuarbeiten, hatte der Anwalt mit Blick auf die fehlende Rechtsprechung bei Äußerungsbefugnissen des Bundespräsidenten hervorgehoben.

Gaucks Verhalten und Äußerungen seien im übrigen kein Einzelfall gewesen und hätten sich nicht nur auf die NPD bezogen, so Rechtsanwalt Richter damals: Auch bei der Alternative für Deutschland (AfD) habe es eine ähnliche Vorgehensweise gegeben. Richter verwies auf eine Äußerung Gaucks an der Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder. Er sei „sehr dankbar“, daß es in Deutschland keine solche Partei ins Parlament geschafft habe, hatte Gauck dort wenige Wochen nach der Bundestagswahl zum besten gegeben. Dafür war er nicht nur von AfD-Sprecher Bernd Lucke heftig kritisiert worden.

Auch namhafte Verfassungsrechtler wie Christoph Degenhart aus Leipzig hatten den Bundespräsidenten damals für diese Äußerung scharf kritisiert. Es sei also „eine fragwürdige Verhaltensweise“, die öfter vorkomme, hatte der Anwalt in der mündlichen Verhandlung resümiert. „Weiße Flecken“ machte das Gericht in seiner Urteilsverkündung keine aus, und an den Äußerungen des Bundespräsidenten wollten die Richter ebenfalls nichts kritisieren.

Integrationsaufgabe nicht vernachlässigt

„Aus dem Duktus“ der Äußerungen Gaucks ergebe sich, daß die Bezeichnungen „Spinner, Ideologen und Fanatiker“ als Sammelbegriff für diejenigen gälten, die die Geschichte nicht verstanden hätten und unbeeindruckt von den verheerenden Folgen des Nationalsozialismus rechtsradikale, nationalistische und antidemokratische Überzeugungen vertreten würden. Damit habe Gauck „die ihm von Verfassungs wegen gesetzten Grenzen negativer öffentlicher Äußerungen über politische Parteien nicht überschritten“, urteilten die Richter. „Wie der Bundespräsident seine Repräsentations- und Integrationsaufgaben mit Leben füllt, entscheidet der Amtsinhaber grundsätzlich selbst“, erklärte Voßkuhle. Er könne den mit dem Amt verbundenen Erwartungen nur gerecht werden, wenn er auf gesellschaftliche Entwicklungen und allgemeinpolitische Herausforderungen entsprechend seiner Einschätzung eingehen könne und dabei in der Wahl der Themen ebenso frei sei wie in der Entscheidung über die jeweils angemessene Kommunikationsform.

„Hierbei hat er die Verfassung und die Gesetze zu achten, darunter auch das Recht der politischen Chancengleichheit“, so der Gerichtspräsident. Einzelne Äußerungen des Bundespräsidenten könnten gerichtlich nur dann beanstandet werden, wenn er mit ihnen unter evidenter Vernachlässigung seiner Integrationsaufgabe und damit willkürlich Partei ergreife. „Dies war vorliegend nicht der Fall“, stellte Voßkuhle fest.

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