© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/14 / 13. Juni 2014

„Ich möchte der Partei einen Schub geben“
Alternative für Deutschland: Der Europaabgeordnete Marcus Pretzell führt künftig den mitgliederstarken Landesverband Nordrhein-Westfalen
Marcus Schmidt

Marcus Pretzell legt sich fest. „Ich bin jetzt ein Berufspolitiker“, sagt der frisch gewählte Europaabgeordnete der AfD. Für etwas anderes als Politik dürfte der 40 Jahre alte Rechtsanwalt aus Bielefeld seit dem vergangenen Wochenende noch weniger Zeit haben.

Die Delegierten des Landesparteitages der AfD Nordrhein-Westfalen wählten ihn zum neuen Landessprecher der Partei. Pretzell betrachtet dieses Amt neben der „politischen Bühne“ Brüssel vor allem als Arbeitsaufgabe. Denn NRW ist für die AfD ein schwieriges Pflaster. Zwar gelang es der Partei, bei der zeitgleich mit der Europawahl stattfindenden Kommunalwahl 140 Mandate zu erringen, doch das landesweite Ergebnis der Euro-Kritiker blieb mit 5,4 Prozent wie schon bei der Bundestagswahl unter dem Bundesdurchschnitt. „Die Lage ist nicht einfach“, sagte Pretzell, der auch die politischen Gegebenheiten in dem bevölkerungsreichsten Bundesland für den schwierigen Start seiner Partei zwischen Rhein und Ruhr verantwortlich macht. „Die Strukturen in NRW werde ich auch nicht ändern können“, sagte er der JUNGEN FREIHEIT. Innerhalb des Landesverbandes gebe es aber noch einiges zu verbessern, der Aufbau der Partei müsse weitergehen. Zeit dafür ist vorhanden: Erst 2017 steht die nächste Landtagswahl an.

Bis dahin will Pretzell der Partei in NRW zu mehr Eigenständigkeit verhelfen. „Es geht darum, Personal zu entwickeln“, sagte er mit Blick auf die noch immer dünne Personaldecke in der ersten und zweiten Reihe. „Auch programmatisch möchte ich der Partei einen Schub geben.“ Generell gebe es bei der politischen Arbeit aus den Landesverbänden der AfD noch Defizite.

Pretzell hat sich mit seiner Wahl zum Landessprecher in NRW endgültig in der ersten Reihe der AfD-Politiker etabliert. Auf dem Parteitag in Bottrop bewies er nicht zum erstenmal, daß er ein Talent dafür hat, den richtigen Ton zu treffen und die Themen anzusprechen, die die Mehrheit der Delegierten und Mitglieder bewegt. Innerhalb weniger Monate ist der Rechtsanwalt zum Beisitzer im Bundesvorstand, zum Europaabgeordneten und nun zum Sprecher eines der wichtigsten Landesverbände aufgestiegen. Selbst für die Verhältnisse der erst Anfang vergangenen Jahres gegründeten AfD eine Blitzkarriere.

Seine ersten Erfahrungen in Brüssel hat er mittlerweile auch gemacht. „Ich hatte den Eindruck, ich wußte schon nach einer Viertelstunde, warum es hier nicht funktioniert“, schilderte Pretzell seine Eindrücke im Brüsseler Parlamentsgebäude. Schon die Dimensionen seien verwirrend. „Man merkt an jeder Ecke, daß hier Geld rausgeschmissen wird“, sagte er. Die kleine Gruppe der AfD-Abgeordneten habe sich an den ersten Tagen ständig verlaufen. Auch sonst lief in den Wochen nach der Wahl noch nicht alles glatt für die AfD in Brüssel. Die von Parteisprecher Bernd Lucke favorisierte Aufnahme der AfD-Abgeordneten in die Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformisten (ECR), der auch die britischen Tories von Premierminister David Cameron angehören, mißlang. Während unter anderem die „Wahren Finnen“ (Interview Seite 8) und die Dänische Volkspartei am Mittwoch vergangener Woche aufgenommen wurden, mußte die AfD vorerst draußen bleiben. Sie war unversehens in das Gerangel um den Posten des EU-Kommisionspräsidenten geraten – und hatte den langen Arm von Angela Merkel gespürt. Diese will als Bundeskanzlerin Jean-Claude Juncker als Kommissionspräsidenten durchsetzen und als CDU-Chefin verhindern, daß die neue Konkurrenz von der AfD durch eine gemeinsame Fraktion mit Cameron innenpolitisch aufgewertet wird. Der britische Premier wiederum ist ein erklärter Gegner Junckers – und die AfD zum Spielball in Brüssel geworden. An diesem Mittwoch wollte sich die ECR-Fraktion noch einmal mit der AfD beschäftigen (das Ergebnis lag bei Redaktionsschluß noch nicht vor).

Von den Verhandlungen über den Fraktionsbeitritt, den Lucke und Hans-Olaf Henkel führten, hängt für die Partei einiges ab. Als fraktionslose Gruppe, und das ist bei einer einkalkulierten Absage der ECR die Alternative, müßten sich die AfD-Abgeordneten bei der Vergabe der Ausschußsitze ganz hinten anstellen. Auch finanziell und organisatorisch ergäben sich für die Abgeordneten um Bernd Lucke Nachteile. Doch auch ansonsten ist in Brüssel vieles in der Schwebe: Noch haben die neuen Parlamentarier nicht einmal ihre Büros bezogen.

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